AFTERSUN

Aftersun 2 - Copyright A2– Bundesstart 16.12.2022

Calum macht mit seiner Tochter Sophie Urlaub. Sie kommen aus Schottland, was für die Geschichte uninteressant ist, und verbringen einige Tage in einem Ferien-Resort irgendwo in der Türkei, auch dieses Land ist irrelevant. Die Erzählung ist ganz auf Calum und Sophie konzentriert. Ein liebevoller, eher zurückhaltender Vater mit noch nicht einmal 40 Jahren, und seine zufriedene, sehr aufmerksame Tochter mit 11 Jahren, die merklich am Beginn ihrer Pubertät steht. Es sind unbeschwerte Urlaubstage, an denen nicht wirklich etwas besonders passiert. Sie machen Ausflüge, gehen schwimmen, dösen am Pool oder auf ihrer Zimmerterrasse, manchmal lachen sie gemeinsam, manchmal zickt sie etwas, aber nur ganz kurz und sehr wenig. Eigentlich passiert nicht viel, denkt man. Erst nach und nach lässt Langfilmdebütantin Charlotte Wells erkennen, dass gerade die unaufgeregten und ereignislos scheinenden Bilder von Bedeutung sind.

Die Stärke in AFTERSUN liegt in seiner meditativen Ruhe. Der Film ist dabei nie langweilig oder langatmig. Die Regisseurin erzählt aus dem Blickwinkel von Sophie. Frankie Corie als Sophie ist ebenfalls Debütantin, laut Presseheft aus 800 Mitbewerberinnen besetzt. Für Sophie zeigt sich im Rückblick eine ganz einfache und normale Welt, denn so beginnt der Film, in dem das Video8-Band eines ständig begleitenden Camcorders vom Ende des Urlaubs im schnellen Rücklauf zum Beginn dieser Tage spult.

In fast jeder Szene stecken subtile Botschaften. Diese sind an die ältere Sophie gerichtet, die wir erst später im Film kennen lernen. Da teilt sich auch der Film in zwei Wahrnehmungsebenen innerhalb der geradlinigen Erzählung. Auch dieser Kunstkniff entfaltet sich behutsam, subtil. Charlotte Wells will sich den Zuschauerinnen und Zuschauern nicht einfach nur mitteilen, sondern sie teilnehmen lassen. Wenn immer die junge Sophie mit ihrem Vater zusammen ist, wenn sie nicht gerade schläft, dann ist es die unbedarfte Sichtweise eines unbedarften fast-Teenagers.

Im Erzählen ist Kamermann Gregory Oke der beste Freund von Wells, der diverse Sequenzen inszenatorisch unscheinbar, dafür im Nachklang umso eindringlicher voneinander zu trennen versteht. Er unterbricht nie den atmosphärischen Fluss und die konzentrierte, aber unbeschwerte Stimmung. Spiegel und Reflexionen sind ein wunderbar eingesetztes Stilmittel, in denen bestimmte Szenen eine tiefere Betrachtung fordern, sich für die junge Sophie aber als unscheinbar ausspielen. Erst im Rückblick erwirken solche Sequenzen für die ältere Sophie ein anderen Blick auf ihren Vater.

Aftersun 1 - Copyright MUBI

 

In einer Szene räumt Sophie auf der Terrasse etwas auf, und hebt dabei ein Streichholzbriefchen auf, um es ohne weiteren Gedanken in den Abfall zu werfen. Aus einer früheren Szene wissen wir aber, dass die Tochter ihren Vater für einen Nichtraucher hält, er allerdings gut verborgen raucht. Diese Erkenntnis trifft erst die ältere Sophie, weil ihr junges Alter Ego schläft, wenn Calum auf der Terrasse raucht. Calum ist ein liebevoller Vater, der nicht einfach nur die Zeit mit seiner Tochter genießt, sondern auch nutzt, um sie spielerisch auf das Leben vorzubereiten.

Was Calum in Wirklichkeit umtreibt, können wir nur erahnen. Nur schleichend können wir uns selbst an das herantasten, was der jungen Sophie verborgen bleibt. Das Duo Paul Mescal und Frankie Corie überzeugt mit perfekter Chemie, die auf die Zuschauerinnen und Zuschauer überspringt. Von den ersten Bildern an, sind sie keine Darsteller, sondern Vater und Tochter die mit einer faszinierenden Natürlichkeit gefangen nehmen. Genau das macht AFTERSUN so unglaublich spannend, weil er mit und wegen seiner zwei Protagonisten auf realistische, aber auch berührende Weise anspricht.

Aftersun - Copyright MUBIEs ist ein Film über das Suchen und Finden eines tieferen Verständnisses, das in seinem Szenario nur unspektakulär scheint. Aber Charlotte Wells offenbart das Zwischenmenschliche in seiner schlichten Form einfach als das Wichtigste, womit ihr ein fantastisches Debüt gelungen ist.

Darsteller: Paul Mescal & Frankie Corie, sowie Celia Rowlson-Hall, Sally Messham, Spike Fearn, Brookly Toulson u.a
Regie & Drehbuch: Charlotte Wells
Kamera: Gregory Oke
Bildschnitt: Blair McClendon
Musik: Oliver Coates
Produktionsdesign: Billur Turan
Großbritannien – USA / 2022
102 Minuten

Bildrechte: MUBI / A24
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