WOLFWALKERS

WolfWalkers - Copyright APPLE ORIGINAL FILMSApple TV+
Oscar Animationsfilm

Wir schreiben das Jahr 1690 in Kilkenny, Irland. Es wird also noch ein bisschen Zeit vergehen, bis Filmemacher Tomm Moore dort aufwächst. Es ist also kein Zufall, dass die mystischen Abenteuer von Robyn Goodfellowe dort angesiedelt sind. Wie viel Details von Tomm Moores Jugenderinnerungen in das ummauerte Städtchen unter britischen Protektorat vor 330 Jahren eingeflossen sind, weiß der Künstler allein. Und vielleicht seine Mitstreiter Will Collins, Ross Stewart und Nora Twomey. Letztere, bei GEHEIMNIS VON KELLS noch Co-Regisseurin, hat 2017 mit BREADWINNER ihr eigenständiges Regiedebut ebenfalls bei der Produktionsfirma Cartoon Saloon gefeiert. Dieser zählt allerdings nicht zu Moores Irland Trilogie, die mit DAS GEHEIMNIS VON KELLS ihren Anfang nahm, dem MELODIE DES MEERES folgte, und nun mit WOLFWALKERS beendet wird. Alle Drei mit Nominierungen für den Oscar als beste Animationsfilme ausgezeichnet.

Als Kind aus England hat es Robyn in der irischen Gemeinde nicht einfach. Ihr Vater Bill ist exzellenter Jäger, und deshalb nach Irland beordert worden, um die Wolfsrudel um Kilkenny zu bejagen. Das eigenwillige Kind folgt eines Tage unerlaubt dem Vater in die Wälder, und wird prompt von Wölfen angefallen. Auf mysteriöse Weise von der quirligen Mebh gerettet, erfährt Robyn die Wahrheit über die Legende der Wolfwandler. Menschen, deren Wesen in die Hülle von Wölfen wechseln können. Ohne es wahrhaben zu wollen, wird Robyn unvermittelt selbst zur Beute des Jägers, ihrem Vater.

Noch ausgeprägter als in den beiden Vorgängerfilmen, orientiert sich die Animation an mittelalterlichen Holzstichen mit irischen Motiven und deren Geschichte. Das ist für das Disney und Pixar verwöhnte Publikum natürlich sehr gewöhnungsbedürftig. Aber WOLFWALKER zählt schließlich auch nicht zu der gewohnten Familienunterhaltung, die mit drolligen Figuren und farbenfrohen Bildern die Zeit vertreiben wollen. Außerhalb des Mainstream sind solche klassisch alten oder abstrakteren Zeichenstile noch wesentlicher vertreten.

Der Stil bei WOLFWALKER allerdings, ist nicht einfach nur Mittel, sondern integraler Bestand der Erzählung im Gesamten. Zudem findet man sehr schnell Gefallen an den klaren Strukturen und den weniger verkünstelten Zeichnungen, und nimmt diese auch in ihrer symbiotischen Form wahr. Noch dazu haben die Autoren den Film vollgepackt mit Versatzstücken irischer Legenden und Mythen, Anspielungen auf historische und politische Ereignisse, und unzähligen folkloristischen Hin- und Querverweisen.

Trotz der vermeintlich Erwachsenen orientierten Ausrichtung, erzählt WOLFWALKERS seine Geschichte Kind gerecht. Allerdings wäre es nicht ratsam, ganz junge Zuschauer den Film unbegleitet sehen zu lassen. Dafür kann er aber auch zu Diskussionen anregen, moralischer wie ethischer Art. Die klare Botschaft in dieser Fabel ist nicht kompliziert, aber weniger aufdringlich als bei Mitbewerbern in der Unterhaltungsindustrie. Dazu lässt die Geschichte immer mehrere Aspekte gleichzeitig einfließen, von Verantwortung über Respekt, Integrität, Empathie, oder Toleranz, aber auch Autorität, Loyalität und Courage.

WolfWalkers 2 - Copyright APPLE ORIGINAL FILMS

 

Mit Gespür inszenierten Tomm Moore und Ross Stewart ihren Film fast schon rasant, mit präzisem Tempo, die Erzählung als solche ebenso wenig vernachlässigend, wie die charakterlichen Entwicklungen. Obwohl jung in Jahren, bleibt Robyn ein ungestümes Kind ihrer Zeit. Das macht es ihr schwer den Grat von Eigenverantwortung und Gehorsam zu begreifen. Dazu muss sie sich allerdings erst einmal selbst verstehen.

So gestaltet sich die Geschichte tatsächlich komplexer als man sie eigentlich wahr nimmt. In der Umsetzung sogar anspruchsvoller als Filme für ein ähnliches Publikum. Moore und Stewarts Drehbuch, dass zuerst von Will Collins entworfen wurde, verzichtet auf überflüssige Dialoge. Was möglich ist, wird über Bilder erzählt. Aber auch der schwellende englisch-irische Konflikt ist erkennbar, muss aber nicht vertieft werden. Eine Aufmerksamkeitsspanne ist demnach ratsam.

Nur in den letzten dreißig Minuten verlieren die Regisseure, das Tempo und den stringenten Erzählfluss aus den Augen. Der Film zieht sich hier durch merkliche Längen, und bauscht das dramatische Finale sehr unnötig auf. Das ist ausgerechnet nach der adäquaten ersten Stunde nicht förderlich. Mit 103 Minuten für das Genre ohnehin bedenklich, zeigt sich hier, dass die ehemals 90 Minuten Marke für Kinder orientierte Filme ihre Berechtigung hatte.

WOLFWALKERS ist keiner der Zeichentrickfilme, die sofort ein breiteres Publikum ansprechen, aber sollte. Die Hauptmotive wurden klassisch mit Kohle und Tinte auf Papier gezeichnet, lediglich die Hintergründe mit Photoshop in Aquarelle-Anmut erstellt. Was heute nicht mehr zeitgemäß erscheint, gewinnt genau dadurch einen ganz einnehmenden Reiz. Nicht nur Freunde des Fantastischen und irischer Folklore dürften über diesen optischen und erzählerischen Leckerbissen erfreut sein.

WolfWalkers 1 - Copyright APPLE ORIGINAL FILMS

 

Stimmen:
Robyn Goodfellowe: Honor Kneafsey
Mebh MacTíre: Eva Whittaker
Bill Goodfellow: Sean Bean – Torsten Michaelis
Moll MacTíre: Maria Doyle Kennedy
Protector Cromwell: Simon McBurney – Gudo Hoegel
Sean Óg: Tommy Tiernan – Hans-Rainer Müller
Wirtschafterin Bridget: Nora Twomey
u.a.

Regie: Tomm Moore, Ross Stewart
Drehbuch: Will Collins & Tomm Moore, Ross Stewart
Bildschnitt: Darragh Byrne, Richie Cody, Darren T. Holmes
Musik: Bruno Coulais & Kíla
Art Direction: Maria Pareja, Ross Stewart, Tomm Moore
Irland, Frankreich, Großbritannien, Luxenburg / 2020
103 Minuten

Bildrechte: AMAZON ORIGINAL FILMS
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Im Fernsehen gesehen abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar