Disney+ wöchentlich ab 15.02.2021
WANDAVISION
Kaum eine TV-Serie hatte soviel Trailer, und kaum eine TV-Serie hatte soviel Trailer die nichts über die Show selbst preis gaben. Eine schnelle Szene da, eine mysteriöser Satz dort, der Anreiz einer Grundprämisse. Eigentlich scheint alles so durchschaubar. Man kennt die Figuren, aber nicht ihr Umfeld. Nach AGENTS OF S.H.I.E.L.D. ist es die zweite Serie der Marvel Studios im Kanon der Marvel Cinematic Universe. Wobei das C in MCU auch schon wieder für Verwirrung sorgen könnte, aber ignoriert werden kann. Wichtig ist, ob WANDAVISION den Erwartungen und seinem Universum gerecht werden kann. Die Verwirrung reißt nicht ab, die Spekulationen nehmen nur zu. Und das Schlimmste, nach den ersten zwei der neun Episoden ist man nicht schlauer. Aber extrem angefixt.
Die Hexe mit dem Hang zur Telekinese und der Androide mit den synthetischen Körper sind ein glückliches Paar. Ein zufriedenes und belangloses Vorstadtpaar, mit einem banalem Haus in einer stereotypen Nachbarschaft. Ihr Welt ist noch in Ordnung und in Schwarzweiß, die Melodie ihres Lebens klassische Töne einer Fernsehunterhaltung der Fünfzigerjahre. Alles wirkt steril und viel zu makellos, nur die Lacher sind echt.
Aufgezeichnet vor einem Live-Publikum, wird geworben. Ob nur die Pilotfolge, oder die gesamte erste Staffel, da widersprechen sich die Macher und das Presseheft. Was relativ irrelevant für den Unterhaltungswert ist, denn Matt Shakman hat zumindest die ersten beiden Folgen sehr vehement nach den klassischen Sitcoms im Sinne der Mutter aller Situationskomödien I LOVE LUCY inszeniert. Und das funktioniert paradoxerweise gerade wegen des biederen Humors und der stark eingestaubten Atmosphäre unglaublich gut.
Die Pointen sind ganz auf die Anhänger und Kenner von Marvels Comics und Verfilmungen zugeschrieben. Das bereitet dem Kundigen viel Freude, lässt aber den Quereinsteiger und Gelegenheitskonsumenten ziemlich ratlos zurück. So wie es zumindest die ersten beiden Episoden in ihrem vollen Umfang auch bei Charakterentwicklung und Handlungsaufbau tun. Aber was immer an obskuren Elementen in die Geschichte eingewoben ist, sollte man nicht unbedingt nur als detailverliebtes Gimmick im Hinterkopf behalten.
Da ist ein Hubschrauber mit einem verräterischen Logo, als einziges farbiges Objekt in der schwarzweißen Welt. Werbepausen sind mit zeitgemäßen Spots für Allround-Toastern der Stark Industries oder edlen Uhren mit dem Hydra Logo gefüllt. Wer das MCU bis hierher verfolgt hat, muss davon ausgehen, dass die kreativen Köpfe damit gezielt undurchsichtige Hinweise für die Auflösung der Geschichte offerieren.
Nur durch das Presseheft lässt sich WANDAVISION in den zeitlichen Ablauf des MCU einordnen, und der ist nach AVENGERS: ENDGAME angesetzt. Vision wäre demnach eigentlich tot, was die Spekulationen nur noch befeuert. Doch so lebendig und unerwartet quirlig Paul Bettany hier agiert, muss etwas Großes in folgenden Episoden im Kommen sein. Die Trailer geben reichlich Bildmotive und kryptische Möglichkeiten, aber die Frage nach plausiblen Zusammenhängen bleibt unbeantwortet.
Zumindest die Umsetzung bleibt frei von Kritik oder offener Fragen. Christophe Becks Musik ist trefflicher Gute-Laune-Sound der Fünfzigerjahre. Auch auf das meist unwiderstehliche 16:9 Bildformat wurde zugunsten des originalen 4:3 verzichtet. Die Special Effects sind nicht nach dem heutigen Standard, sondern der Optik und den Möglichkeiten der damaligen Zeit angepasst. Komplizierte Vorgänge und Komplikationen, wie Visions körperliches Innenleben, werden nicht durch abgehobenes Technikgeschwurbel erklärt, sondern mit lustigen Trickfilmen versinnbildlicht.
Das Setting ist aufgeräumt, schlicht und als praktikable Spielfläche konzipiert. In der bildlichen Auflösung wird auch die für Mehr-Kamera-Produktionen übliche Kulisse mit nur drei sichtbaren Wänden beibehalten. Die Macher haben nicht nur ihre Hausaufgaben gemacht, sondern das Setting auch dramaturgisch zu nutzen verstanden. Denn der leicht beschwingte Ton des Handlungsablaufes wird immer wieder unterbrochen, und ein beunruhigender Moment zerstört die Stimmung. Manchmal hört Wanda undefinierte Stimmen, oder die Figuren haben keine Erinnerung mehr an ihre Vergangenheit. Doch unvermittelt befindet man sich wieder im Fluss der leichten Unterhaltung.
Das sich Aufbau und Einrichtung von Wandas und Visions Haus in der zweiten Folge ohne erkennbare Erklärung vollkommen geändert hat, erweist sich als weiteres Puzzleteil. Das alles, was beim Zuschauer Fragen aufwirft, im Handlungsverlauf ignoriert wird oder unkommentiert bleibt, unterstreicht nur den schrägen Charakter dieser Serie. Soweit sie sich nach nur zwei Episoden beurteilen lässt.
In jedem Fall ist die Spielfreude bei Elizabeth Olson und Paul Bettany offensichtlich und ansteckend. Bei Bettany vielleicht noch eine Spur exzessiver, der dem Vorbild Lucille Ball, durchaus das Wasser reichen kann. Ob das soweit ersichtliche Konzept die Geschmäcker aller geneigten Freunde von MCU und Marvel im Allgemeinen treffen wird, sei dahingestellt. Sicherlich nicht. Allerdings ist es sehr schwer sich diesem verrückten Mix an innovativer Erzählweise zu widersetzen.
Die ersten 50 ausgestrahlten Minuten, die überlangen Abspänne und die unverhältnismäßig ausführliche Rückblende abgezogen, machen sehr schnell heiß und hungrig. Soweit man zum anvisierten Zielpublikum zählt. Andere könnten schnell das Interesse verlieren. Allerdings ist nach nunmehr 12 Jahren Genre bestimmender Marvel-Action, eine allgemeingültigere Serienschöpfung tatsächlich nur schwer vorstellbar.
Auch wenn diese Jac Schaeffer Kreation eine Brücke zu DOCTOR STRANGE AND THE MULTIVERSE OF MADNESS bildet, sollte dennoch wenig Sorge herrschen. Bisher durfte man jeden Film und jede Serie im MCU als Ergänzung zueinander erleben, aber selten abhängig voneinander. Wenngleich es im Laufe der Jahre zugegebenermaßen schwieriger wurde, die einzelnen Komponenten dieses Universums tatsächlich als unabhängig zu bezeichnen.
Im Groben wird die erste Staffel von WANDAVISION zirka viereinhalb Stunden laufen. Das Disney seine Zuschauer erneut einem wöchentlichen Rhythmus aussetzt, wird zweifellos eine möglicherweise fehlende Akzeptanz nur noch verstärken. Wer auch immer im Maus-Haus noch glaubt, mit dieser Taktik längerfristig Abonnenten akquirieren zu können, sollte dringend Wochenendseminare in Medienwissenschaft besuchen.
Darsteller: Paul Bettany, Elizabeth Olson, Kat Dennings, Kathryn Hahn, Randall Park, Shane Berengue u.a
Regie: Matt Shakman
Drehbuch: Jac Schaeffer (1 Episode)
nach Charakteren von Stan Lee und Roy Thomas
Kamera: Jess Hall (6 Episoden)
Musik: Christophe Beck
Produktionsdesign: Mark Worthington
USA / 2021
9 Episoden
je circa 30 Minuten