THE MITCHELLS vs THE MACHINES

Mitchells Machines 3 - Copyright SONY PICTURES ANIMATION NETFLIX seit 29.04.2021

Eine dysfunktionale Familie soll die Menschheit vor der Roboter-Apokalypse retten. Die Mitchells sind alles andere als bereit dazu, aber ihnen bleibt auch kein Ausweg. Wenn man Filmen mit Superhelden also etwas entgegen setzen will, dann muss dies durch entgegen laufende Mechanismen geschehen. Die funktionale Logik der Chip gesteuerten Tyrannen, sollte demnach durch Irrationalität und Unvermögen ausgehebelt werden, um das Genre auf den Kopf zu stellen. Ein klein wenig nach dem Prinzip von Inspektor Clouseau. Oder aus den Polizeiakten von Frank Drebin. Aber anders als von Sony, und Netflix, und Regisseur und Drehbuchautor Michael Rianda, und Regisseur und Drehbuchautor Jeff Rowe propagiert, sind die Mitchells eine ganz normale, amerikanische Durchschnittsfamilie.

Wer also Chaos und Anarchie erwartet, bekommt stattdessen den typisch alltäglichen Wahnsinn. Mutter Linda und Vater Rick sind in der ehelichen Routine festgefahren. Der vorpubertäre Aaron errichtet gerade seinen emotionalen Schutzwall gegen Mädchen gleichen Alters. Und Teenager Katie kann es kaum erwarten aus dem Mief den Vorstadtlebens auszubrechen, und zu Gleichgesinnten auf die Filmhochschule zu gehen. In einem verzweifelten Versuch, die Beziehung wieder in Bahnen früherer Tage zu lenken, wollen die Eltern ihre Tochter persönlich auf der weit entfernten Schule abliefern. Doch die neueste Innovation des Chip-, Software- und Geräteherstellers PAL macht mit seiner außerplanmäßigen Übernahme der Weltherrschaft, die angedachte Familientherapie zunichte.

Man kann schon anhand kurzer Inhaltsangaben erahnen, was die Familie Mitchell zu bieten haben wird. Nimmt man noch die Faktoren Sony und Animation hinzu, hat man solide Familienunterhaltung. Sony hinkt da immer noch weit hinter der ungeschlagenen Kreativität von Pixar hinterher, aber unterhaltend sind sie stets, nie langweilig, aber auch um keine aufdringlich moralische Botschaft verlegen. Mit SPIDER-MAN: INTO THE SPIDER-VERSE hat Sony dann tatsächlich etwas bahnbrechendes geleistet, das weit über allgemein verträglichen Spaß hinausging. Man hat Kinder und Eltern erst einmal weit hinten angestellt, sich auf die Essenz und ihren Möglichkeiten konzentriert, und nicht danach gegiert den Superhelden maßen tauglich zu machen.

Wer jetzt denkt, die Prämisse von MITCHELLS vs MACHINES wäre der Kampf gegen die Weltherrschaft der Roboter, der irrt gewaltig. Auch wenn es ein wesentliches Element der Handlung bleibt. Wer bei dem gewaltigen Überschuss an Informationen, atemlosen Bildwechseln, popkulturellen Querverweisen, wechselnden Stilelementen, ironischen Zeitkommentaren und satirischen Zitaten wirklich folgen kann, wird viel tiefer blicken können. Spätestens nach dem zweiten Ansehen muss man einen leichten Anflug von Genialität erkennen. Denn die Mitchells haben durchaus das Potential für das Bedürfnis nach einer nochmaligen Sichtung.

Schon das normale Columbia Pictures-Logo ist mit zappelnden Buntstiftzeichnungen verziert. Das erste Filmbild ist ein reales Familienfoto. Katie Mitchell erzählt ihre Geschichte, und sie erzählt wie ein TikTok Video, oder eine Smartphone-Spielerei. Der Film selbst ist in gängiger Computer Animation umgesetzt (nur zur Spezifizierung, weil mittlerweile eigentlich alle Animationen am Computer entstehen). Die Handlung ist filmisch erzählt, etwaige Verständniserklärungen, oder bildlich dargestellte Zwischengedanken sind mit kindlichen Handzeichnung, echten Fotos oder Videoschnipsel angereichert. Es fehlen auch keine Emojis, oder durch Smartphones geprägte Layouts. Eigentlich sind alle denkbaren Zeichen-, Foto- und Filmstile vorhanden, und wild gemischt.

Das alles ist in einem Höllentempo geschnitten, dass die MITCHELLS wirken wie eine Blaupause für sämtliche Social-Media Selbstverwirklichungen. Erstaunlicherweise haben aber die Initiatoren Michael Rianda und Jeff Rowe ihren Stoff und ihre Erzählform wirklich im Griff. Man wird der prasselnden Flut an Bildern, Schnittfolgen und in den Dialogen eingearbeitet soziopolitischen Anspielungen nicht überdrüssig. Wie bei einer Rallye schalten Rianda und Rowe im richtigen Moment herunter, um dann bei passender Gelegenheit hart Gas zu geben.

Mitchells Machines 2 - Copyright SONY PICTURES ANIMATION

 

Man muss sich eigentlich wundern, wenn jemand Kritik an den gesellschaftlichen Kommunikationsformen üben will, in einem Film der sich hauptsächlich an das diese Formen nutzende Klientel wendet. Aber genau diese Stilmittel und Mechanismen verwenden die MITCHELLS, was sich wie ein Widerspruch ausnimmt. Aber es gelingt außerordentlich gut, sogar sehr gut. Weil es keine mahnende Kritik gibt, und stets ein Augenzwinkern dabei ist, weil sich Rianda und Rowe selbst nicht so wichtig nehmen. Als würden sie mit einem Achselzucken meinen, ’nur mal so nachgedacht‘. Das hat sehr viel Sympathisches.

Was allerdings überhaupt nicht funktioniert, ist die Penetranz der moralischen Botschaft die Mantra artig den notwendigen Zusammenhalt der Familie predigt. Da gibt es kaum Metaphern sondern nur abgedroschene Aufdringlichkeit, in der nichts nur einfach so passiert, sondern später in der Geschichte wichtig wird. Die Mutter verliert ihren Neid gegenüber den perfekten Nachbarn. Der Mädchen abweisende Bruder wird durch erlangtes Selbstbewusstsein eine Freundin finden. Und die Pubertät bedingte Entfremdung von Vater und Tochter wird durch gemeinsame Erinnerungen wieder ins Lot gebracht. Das Leben funktioniert nur mit Familie, denn die Familie ist das Wichtigste. Man hat es nicht etwa schon viel besser gesehen, sondern viel zu oft so schonungslos unverblümt.

Doch hauptsächlich kämpft man gegen Roboter, die unkontrollierte Technik, und die Weltherrschaft der Maschinen. Und ausgerechnet zu dieser Zeit gibt es auch noch ein Revival des hässlichen Mischwesens Furby. Die Mitchells haben es da nicht leicht. Die ganze Geschichte erklärt aber Katie mit ihren knallig bunten Videos wesentlich besser. Der Technikversessenheit und dem Social Media Druck kann man hinterher immer noch abschwören.

Mitchells Machines 1 - Copyright SONY PICTURES ANIMATION

 

Stimmen:
Katie: Abbi Jacobson
Vater Rick: Danny McBride
Mutter Linda: Maya Rudolph
Bruder Aaron: Michael Rianda
PAL: Olivia Colman
Mark Bowman: Eric André
Hailey Posey: Chrissy Teigen
Jim Posey: John Legend
u.a.

Regie & Drehbuch: Michael Rianda, Jeff Rowe
Bildschnitt: Greg Levitan
Musik: Mark Mothersbaugh
Produktionsdesign: Lindsey Olivares
Kanada – Frankreich – USA / 2021
103 Minuten

Bildrechte: SONY PICTURS ANIMATION
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