– ab 05.11.2021 bei NETFLIX
Es braucht einige Zeit, bis man in Jeymes Samuels THE HARDER THEY FALL reinkommt. Da gehen am Anfang konzeptionell einige Dinge nicht richtig zusammen. Erst wenn man die Struktur in der Inkonsistenz zu nehmen versteht, kann man sich dem Genuss hingebend zurücklehnen. THE HARDER THEY FALL ist ein wahnsinnig unterhaltsames Vergnügen und ein irrsinnig stilistisches Chaos. In der Zeit des sogenannten Wilden Westen, machen sich konkurrierende Verbrecherbanden das Leben schwer. Die Gang von Rufus Buck raubt Banken und Züge aus, und eine andere Truppe nimmt ihnen die Beute ab. Diese Truppe wird wiederrum von der Bande um Nat Love bestohlen. Im Zirkelschluss hat Love also Buck erleichtert. Das ist alles im Rahmen der Ethik von Gesetzeslosen. Dann wird es aber persönlich, weil Nat Love noch eine Rechnung aus Kindstagen mit Rufus Buck offen hat.
Jeymes Samuel hat mit THEY DIE BY NIGHT 2013 schon einmal einen Western gedreht, der heute wie eine Fingerübung anmutet. Fünf von den acht Figuren welche nach realen Persönlichkeiten benannt sind, waren damals schon aufgedrehten. Mit viel gutem Willen kann man von diesen acht tatsächlich nur drei ihren wirklichen Vorbildern zuordnen. Aber das scheint auch zu Samuels schwer zu durchschauenden Konzept zu gehören. Er schafft mit THE HARDER THEY FALL ein historisches Niemandsland. Die ist kein Western, sondern ein Alternative zu einem Western.
Bei einer Gefängnisüberführung wird Rufus Buck von seinen Leuten aus dem Zug befreit. Seine Gang formiert sich wieder um ihn, und zusammen übernehmen sie erneut die Stadt Redwood, als eine Art offenkundigen Unterschlupf. Obwohl die Nat-Love-Gang eigentlich fein raus wäre, folgen sie loyal ihrem Anführer auf seinem persönlichen Rachefeldzug. Und da Jeymes Samuel seine Hausaufgaben mit drei Fleißsternchen erledigt hat, weiß man genau, dass es Opfer geben wird. Welche Opfer das sein werden, kann und soll nicht vorweg genommen werden, weil die Inszenierung es zum Teil des Unterhaltungskonzeptes für Western-Fans macht.
Würde man an den richtigen Stellen kürzen, oder bei bestimmten Momenten den Ton abdrehen, könnte man meinen, einen Western par excellence zu erleben. Die Bilder, die Dramaturgie, die Motivationen, das Panoptikum an Charakteren. Aber alles in THE HARDER THEY FALL ist überstilisiert. Die Darsteller tragen allesamt auffallend individuelle Kostüme. Kameratechnisch geht Mikai Malaimare bei Landschaftsaufnahmen und Naheinstellungen immer ans Äußereste der Brennweiten. Jede Zeile an Dialog ist perfekt auf die Mentalität der Figur herunter gebrochen. Alle Figuren sind in ihrer arroganten Selbstüberschätzung überhöht. Jeder filmische und darstellerische Aspekt ist auf den maximalen Effekt ausgelegt.
Die extreme Auslegung von ‚Style Over Substance‘ kann dem Film-Buff des klassischen Kinos leicht, oder mitunter schwer aufstoßen. Als Blockbuster-Produktion hätte kein Studio den Film in dieser Form ins Kino gebracht. Was traurig macht, weil gerade die optischen Extravaganzen und stilistischen Überhöhungen auf einer richtigen Leinwand erst richtig zur Geltung kommen würden. Und es würde auch wesentlich besser die verschiedenen Elemente in einen zusammenfassenden Kontext bringen. Denn Jeymes Samuel hat durchaus etwas zu sagen. Er überlässt es aber seinem Publikum, darüber zu reden.
Die Darsteller einzeln, oder ausgesucht zu behandeln, würde den Rahmen sprengen, und auch keinem gerecht werden. Selbstverständlich stehen Elba, King und Stanfield in vorderster Front der Aufmerksamkeit. Aber grundsätzlich hat THE HARDER THEY FALL ein enormes Aufgebot versammelt, welches ohne weiteres die Besten im schwarze Kino repräsentiert. Und wenn man den Film außerhalb seiner mitreißenden Inszenierung betrachtet, finden sich auf einer übergeordneten Ebene viele Kommentare zur schwarzen Gesellschaft. Zumindest seinem Herkunftsland betreffend.
Die Städte in diesem Western sind allesamt ausschließlich von Schwarzen bevölkert. Mit Ausnahme einer Ortschaft, und das Set-Design macht mehr als deutlich, dass dies eine weiße Stadt ist. Die abstrakte Trennung ist kein politische Erklärung, sondern soziologische Zustandsbeschreibung. Ob sich die Figuren deswegen alle in neuzeitlicher Sprache ausdrücken, kann man nur vermuten. Aber das die erfundenen, meist kriminellen Hauptfiguren die Namen von realen Personen tragen, kann nur Statement gegenüber einer allgemeinen, hauptsächlich weißen Wahrnehmung für die Beliebigkeit von Schwarzen sein. Der gesellschaftliche Beitrag dieser Menschen aus der Zeit vor und nach dem Bürgerkrieg, wie zum Beispiel Stagecoach Mary, wurde erst lange nach ihrem Tod wirklich bekannt gemacht.
Aber genau dies sind auch die Punkte, die den starken Unterhaltungswert und die Lust am zuschauen aus machen. Dieser Film ist keineswegs anders weil er ein rein schwarzer Film ist, sondern weil er ein vornehmlich weißes Genre ins Gegenteil verkehrt, was ein ebenso vornehmlich weißes Publikum zum Umdenken in der Wahrnehmung heraus fordert. Das Beste daran ist aber, dass er nichts von all dem von seinen Zuschauern erzwingt. Und er auch keine zeitgeistigen Korrektheiten vor sich herträgt. Denn in erster Linie will dies ein Film sein, der richtig mitreißt, Spaß machen soll, und im Gedächtnis bleibt. Mit seinen vielfältigen und wild durcheinander gewirbelten Anleihen an alle Jahrzehnte und Versatzstücke des klassischen und modernen Westerns, erfüllt THE HARDER THEY FALL genau diese Ansprüche.
Darsteller: Jonathan Majors, Idris Elba, Regina King, LaKeith Stanfield, Zazie Beetz, Delroy Lindo, RJ Cyler, Danielle Deadwyler u.a.
Regie: Jeymes Samuel
Drehbuch: Jeymes Samuel & Boaz Yakin
Kamera: Mikai Malaimare Jr.
Bildschnitt: Tom Eagles
Musik: Jeymes Samuel
Produktionsdesign: Martin Whist
USA / 2021
130 Minuten