THE GUILTY

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Menschen die eine pathologische Abneigung gegen Neuverfilmungen haben, deswegen sofort in Tränen ausbrechen, gerne auch mit den Füßen aufstampfen, können sofort hier aufhören zu lesen, und zurück nach Mussschlechtsein gehen.
Mit ihrem dänischen Hochleistungsthriller haben Gustav Möller und Emil Nygaard Albertsen ein außergewöhnliches Werk geschaffen, welches der breiten Öffentlichkeit trotz allem verborgen blieb. Dafür begeisterte THE GUILTY Jake Gyllenhaal so sehr, dass er sich umgehend die Rechte an einem Remake sicherte. Der Schauspieler war 2007 mit BROTHERS schon einmal in einem Remake eines dänischen Dramas zu sehen, was ihm allerdings weniger Aufmerksamkeit einbrachte, als seinen Mitspielern. Bei THE GUILTY nimmt das mit der Aufmerksamkeit ganz andere Ausmaße an.

Wegen eines anstehenden Verfahrens wurde Officer Joe Baylor vorübergehend vom Streifendienst in die Notrufzentrale versetzt. Eigentlich reagiert Joe gereizt und mit zynischen Sprüchen auf die Anrufe der Hilfesuchenden. Aber bei Emily wird er hellhörig. Zuerst glaubt er, sie hätte sich verwählt. Doch der erfahrene Cop merkt schnell, dass an diesem Anruf etwas ganz anders ist. Mit geschickten Ja-Nein-Fragen wird Joe klar, dass Emily entführt wurde, der Entführer mit einer Waffe neben ihr in einem Auto auf dem Freeway unterwegs ist, und das ihm nur noch sehr wenig Zeit bleibt.

Für einen Filmemacher und ebenso für einen Schauspieler liegt der Reiz dieser Geschichte auf der Hand. Das allein ist schon ein Grund, der für ein Remake spricht. Das ist Kino, vielmehr Film in seiner reinsten Form. Eigentlich ist alles da, und doch fehlt so viel. Eine Location, ein Darsteller. Nebendarsteller nimmt man mehr als Schatten wahr, die Anrufer werden nie gezeigt, wir hören sie nur. Was der Zuschauer sonst sehen würde, muss Jake Gyllenhaal darstellerisch vermitteln. Was man hört, muss man selbst abwägen und zuordnen. Und doch ist man nicht unbedingt gleich auf mit Joe Baylor. Denn hinter der eigentlichen Geschichte, kommt immer wieder das persönliche Schicksal des in Ungnade gefallenen Officers hervor.

Guilty 1 - Copyright NETFLIX

Es ist allerdings nicht das typische Durchbrechen der vierten Wand, in dem sich ein Akteur direkt an den Zuschauer wendet. Joe muss versuchen, die Lage mit Emily den Griff zu bekommen, Hinweise zu sammeln, Hilfe zu organisieren. Dass alles nur mit dem Polizeicomputer und seinem Headset. Aber mit jedem neuen Hinweis verschiebt sich auch die Gefahrenlage. Und auf ähnliche Weise wird auch der Zuschauer gefordert. Er muss das verarbeiten, was Joe über Emily herausfindet, aber auch immer neue Fakten über Joes privates Dilemma in die Gesamtsituation mit einarbeiten. Denn der eine Handlungsstrang beeinflusst zweifellos den Anderen wesentlich mehr als man vermutet. Hör genau hin, denn oftmals wurde nicht gesagt, was wir glauben gehört zu haben.

Das dieser extrem intensive Thriller auf dieses hohe Niveau kommt, und diese Spannung auch 90 Minuten halten kann, ist in erster Linie drei Komponenten zu verdanken. Gyllenhaal, der so viel mehr als nur seine Figur spielen muss, sondern auch die Dialoge der nicht sichtbaren Anrufer darstellerisch kommentiert. Fuqua, der begriffen hat, dass Action nicht nur mit Krawall erzielt wird, und Spannungsspitzen auch ohne technische Manipulation von Schnitt und Musik funktionieren müssen. Und Maz Makhanis Kamera, die für den Hauptdarsteller eine physische Erweiterung wird, gleich einer zusätzlichen Ebene. Schließlich beschränkt sich die hauptsächliche Handlung auf zwei Sets, aber Makhani gibt einem das Gefühl, dass sich keine Einstellung und kein Kamerawinkel wiederholen.

Ob es einen erst zwei Jahre alten Film als Remake gebraucht hätte, sei einfach dahin gestellt. Wobei das lautstarke Gewimmer wegen der angeblichen Einfallslosigkeit Hollywoods einmal überdacht werden sollte. Denn geht man einmal zurück ins Jahr 1965, hat da schon Sidney Poitier in SLENDER THREAD – STIMME AM TELEFON als überforderter Telefonseelsorger versucht mit allen technischen Möglichkeiten den Selbstmord von Anne Bancroft zu verhindern. Ein Raum, ein Darsteller, und ein extrem motiviertes Team, dass ist Spannungskino auf obersten Niveau. Besser hat das bisher nur Steven Knights NO TURNING BACK mit Tom Hardy gemacht. Und würde Antoine Fuqua nicht zwei mal während des Films die Notrufzentrale für unnötige, nicht nachvollziehbare Szenen verlassen, könnte man THE GUILTY fast schon perfekt nennen.

Guilty 2 - Copyright NETFLIX

 

Darsteller: Jake Gyllenhaal, Christina Vidal,  Adrian Martinez und den Stimmen von Riley Keough, Peter Sarsgaard, Ethan Hawke, Eli Goree, Da’Vine Joy Randolph u.a.
Regie: Antoine Fuqua
Drehbuch: Nic Pizzolatto
nach dem Film DEN SKYLDIGE von
Gustav Möller & Amil Nygaard Albertsen
Kamera: Maz Makhani
Bildschnitt: Jason Ballatine
Musik: Marcelo Zarvos
Produktionsdesign: Peter Wenham
USA / 2021
90 Minuten

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