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Obwohl bereits während der Produktion mit vielen Vorschusslorbeeren verziert, führt diese Dokumentation nicht wirklich auf neue Felder der Erkenntnis. Für treue und langjährige, oder besser gesagt Jahrzehnte lange Fans, ist es eher eine nostalgische Auffrischung. Aber auch der zufällige Quereinsteiger dürfte schon mit der ein oder anderen Anekdote, manchen Welthits, oder historischen Eckpunkten in Berührung gekommen sein.
Neben der Geschichte selbst, liegt ein großes Interesse an dieser Produktion wohl auch auf dem Filmgiganten Frank Marshall. Als einer der Ziehväter nicht nur von Indiana Jones, Jason Bourne oder dem Jurassic Park, vergisst man bei dem Überproduzenten leicht, dass seine bisherigen Langfilm-Regiearbeiten nicht den Markt erschüttert haben.
„An diesem Punkt im Leben habe ich fantastische Erinnerung. Aber jeder erinnert sich anders. So sind das nur meine Erinnerungen. Ich weiß das Maurice und Robin eine andere Art von Wahrnehmung hätten.“ – Barry Gibb
Inszenatorisch präsentieren sich die 111 Minuten als klassische Dokumentation. Es gibt zur Einführung einige Gedanken von Barry Gibb im Heute, bevor der Film zurück springt und den Werdegang der drei Brüder chronologisch verfolgt. Der vierte Bruder wird inhaltlich erst später von Bedeutung. Erzählt wird mit den Originalstimmen aus Interviews. Auf böse Worte wird man vergebens warten. Sollte es Schuldzuweisungen über gewisse Situationen und Ereignisse geben, zieht jeder der Brüder vorrangig sich selbst heran.
Es gibt eine klare Aufteilung in den Interviewsequenzen. So sprechen Barry, Robin und Maurice Gibb über familiäre Angelegenheiten und persönliche Probleme, aber erörtern auch den Umgang mit dem Erfolg und ihren brüderliche Harmonie. Größen wie Chris Martin, Justin Timberlake oder Eric Clapton hingegen erklären aus professioneller Musikersicht den Einfluss und die Besonderheiten der Musik von den Gibb Brüdern.
Am interessantesten gestalten sich aber tatsächlich die Aussagen von Schlagzeuger Dennis Byron, Keyboarder Blue Weaver und Studiotechniker Carl Richardson. Sie erzählen sehr eindringlich und verständlich die Art und Entwicklung des Musikstils, philosophieren über die Einmaligkeit in der Harmonie der Stimmen, und sie erläutern die unglaubliche Effizienz und spontane Auffassung beim der Entwicklung einzelner Songs.
Frank Marshall hat seine Stärken sicherlich nicht in der Originalität von Inszenierung, aber in der Kombination mit einer der erfolgreichsten Musikgruppen unserer Zeit, gewinnt es fast schon einen ‚must-see‘ Charakter. Der Film umgeht geschickt und sehr fokussiert alle Möglichkeiten von überhöhtem Pathos und lähmender Gelassenheit. An manchen Punkten würde man sich sogar wünschen, Regie und Buch wären weiter in Tiefe vorgedrungen.
„Wir alle drei haben uns gegenseitig Dinge angetan, die uns später unheimlich leid taten.“ – Barry Gibb
Es ist aber genauso offensichtlich, dass Marshall nicht im Geringsten so etwas wie eine Enthüllungsgeschichte schaffen wollte. Wirft die Handlung negative Aspekte auf, kommen dafür die Protagonisten im Interview selbst zu Wort. Das Unvermögen mit dem unvermittelten Erfolg umzugehen, eventuelle Drogen- und Alkoholprobleme, oder die sich wiederholende Auflösung der Gruppe wegen persönlicher Differenzen. Es sind definierende Lebenspunkte, die aber nie zu Skandalen aufgeblasen, oder dramaturgisch überhöht werden.
Als Fan, aber auch als neutraler Beobachter, wünscht man sich das einige Ausschnitte aus dem unermesslichen Fundus von Archivmaterial länger stehen würde. Viele Musikstücke sind trotz ihres hohen Bekanntheitsgrades zu kurz geschnitten. Und manche geschichtlichen Eckpunkte und problematischen Phasen hätten mehr Gewichtung vertragen. Doch in jedem Fall wird sehr deutlich, was die starke Faszination für die Musik der Bee Gees ausmacht, warum sie noch immer so eindringlich auf einen wirkt, oder man sie vielleicht auch ablehnt. Das einnehmende Charisma der Brüder, auf der Bühne sowie in den Interviews spielt dabei in diesen 111 Minuten die gewichtigste Rolle. Wobei sich allerdings Maurice als der besonnenste und tiefsinnigste Erzähler heraus stellt. Auch wenn Barry, als letzter der Brüder, den größeren Teil bestreitet.
„Ich kann mich nur nicht damit abfinden, dass sie nicht mehr hier sind. Was ich vorher schon sagen wollte, ich hätte sie viel lieber hier zurück, als auch nur einen Hit.“ – Barry Gibb
Nur am Ende verrennt sich Marshall in einen Schluss, der nicht wirklich funktioniert. Emotional hätte er noch einen denkwürdigen Abschluss setzen können. Aber da waren ihm wohl die bildlichen und textlichen Informationen wichtiger. Viermal gibt es Punkte, um ein berührendes Ende zu finden, nur um dann noch einmal neu anzusetzen. Auch hier ein Zeichen, dass mehr Zeit von Vorteil gewesen wäre. Und mit den Emotionen des Zuschauers zu spielen ist sicherlich nie verkehrt, gerade wenn ein Großteil vor dem Bildschirm, zumindest ansatzweise, den Bee Gees wohlgesonnen ist. Oder weil man generell an Musik interessiert ist.
Darsteller: The Brothers Gibb & eine Vielzahl bekannter Persönlichkeiten
Regie: Frank Marshall
Drehbuch: Mark Monroe
Kamera: Michael Dwyer
Bildschnitt: Derek Boonstra, Robert A. Martinez
Ton: Jonathan Null
Ton-Schnitt: Jonathan Greber
USA / 2021
111 Minuten