NO MAN OF GOD
– Bundesstart 23.09.2021
Die Faszination des Unbeschreiblichen, des Unerklärlichen, des Widernatürlichen. Selten befassen sich Presse, oder fiktive Adaptionen mit den Opfern dessen, was man im allgemeinen als das Böse beschreibt. Der 1946 geborene Jura- und Psychologiestudent Theodore Bundy ist im Wesen von Serienkillern, das bisher am intensivsten untersuchte und häufigsten beschriebene Individuum. Das lag zum einen an seinem relativ guten Bildungsgrad, und in den, seinen perversen Leidenschaft widersprüchlich scheinenden akademischen Interessen. Und zum anderen lag es an seiner einnehmenden, charismatischen Art. Doch ausschlaggebend waren zweifellos seine drei nachgewiesenen und dreißig gestandenen Ermordungen von vornehmlich jungen Frauen. Hier, wie eigentlich bei den meisten Serienkillern, bleiben die Opfer anonym im Hintergrund. Romanautor Thomas Harris brachte diesen Zustand etwas ins Wanken, als er seinerzeit den FBI-Profiler Will Graham auf die Jagd nach dem roten Drachen schickte, und damit in den Vordergrund stellte.
Die Abteilung für Verhaltensanalyse beim FBI steckt 1986 mit erst fünf Agenten noch in den Kinderschuhen. Als neuester Zuwachs, übernimmt Bill Hagmaier die Befragung des Serienmörders Ted Bundy. Die Behavioral Science Unit erstellt anhand möglichst vieler und tiefgehender Fragen an Einzeltäter und Serienverbrecher bestimmte Verhaltensmuster. Damit können zwar Verbrechen nur mäßig oft verhindert werden, doch man kann sie dafür wesentlich schneller und effektiver aufklären. John E. Douglas und sein älterer Kollege Robert Ressler haben 1977 begonnen, diese Methode entwickelt. Nach deren Vorbild entstand auch die überaus beeindruckende Serie MINDHUNTER, die ebenfalls aus der Sicht der Analysten erzählt, und ihren wahren Schrecken durch eine nüchterne und sehr realistische Umsetzung erfährt.
Auch NO MAN OF GOD verzichtet weitgehend auf die immer wieder vernachlässigte Opferperspektive. Lediglich in kurzen Zwischenschnittcollagen werden Frauen in allen Lebenslagen und -bereichen gezeigt, als Synonym für potenzielle Opfer von Bundy. Die Filmfragmente als sublime Botschaft der allgegenwärtigen Bedrohung. Es ist jede Frau gemeint, unabhängig von Alter, Herkunft und Aussehen. Doch Bill Hagmaiers Ziel der Befragung ist nicht das Warum, sondern eine ehrliche Selbstreflexion des Täters. Bundy willigt nur sehr zögerlich ein, weil er einen weiteren Versuch der Behörden vermutet, die nicht aufgeklärten dreißig Mordfälle zu gestehen.
Amber Sealey inszeniert die sich über drei Jahre hinziehenden Begegnungen zwischen Bill Hagmaier und Ted Bundy mit sehr eindringlichen Nahaufnahmen. Aber nicht immer funktioniert das Konzept der Gesichter im Vollformat. Was der Umsetzung wirklich fehlt, ist ein effektiveres Spiel mit der Kamera. So muss sich der Zuschauer auf die Emotionen der jeweiligen Figur verlassen. Will Hagmaier sein Gegenüber vielleicht doch hereinlegen? Ist Bundys nüchtern kontrolliertes Wesen doch nur Fassade? Während die Zwei im Verhörraum nur jeweils ein einzuschätzendes Gegenüber haben, bleibt dem Beobachter jenseits der vierten Wand, nur ein abwägen zwischen den beiden Charakteren.
Geschrieben und gespielt nach den Original-Protokollen von Hagmaier, ergeben sich sehr viele Gänsehautmomente, schockierende Einsichten, aber auch überraschend menschliche Augenblicke. Der immer wieder wandelbare Elijah Wood überzeugt mit seiner ewigen Jugendhaftigkeit, als wissbegieriger und im Verlauf doch sehr aufrichtiger Bill Hagmaier. Wood braucht dazu nicht viel Dialog, und noch seltener ausschweifende Gesten. Es sind seine wachen Augen, die immer wieder den Blick standhalten, und sein explizites Timing im agieren und reagieren.
Doch dem steht ein ebenso überzeugender, dafür aber unberechenbarer Luke Kirby gegenüber. Er muss nicht unbedingt die beste Film-Inkarnation des charismatischen Mörders sein, aber er beherrscht seine teuflischen Nuancen von Manipulation und aufrichtiger Zwischenmenschlichkeit. Nur weil sich Wood als Hagmaier nicht von ihm beeindrucken lässt, öffnet sich Kirby mit einer immer entspannteren Körpersprache, und damit auch gegenüber dem Zuschauer. NO MAN OF GOD befällt das Dilemma der meisten Auseinandersetzungen mit Serienkillern, dem auch die Regisseurin hier nicht entgegen inszenieren kann. Die Faszination für das unerklärliche Böse erhebt sich auch hier klar über die erstrebenswerte Aufrichtigkeit eines standhaften Menschen. Auch wenn sich Hagmaier als die überlegene Persönlichkeit heraus stellt, weil er mit seiner unerschrockenen Art auf zwischenmenschliche Augenhöhe mit Bundy geht.
So erging es auch Profiler Will Graham, bei dessen ersten Fall 1986 Hannibal Lecter nur eine Nebenfigur war, der wiederrum nach Ted Bundy gezeichnet war. Schon im zweiten Film fünf Jahre später, avancierte das absolut Böse zum weit interessanteren Aspekt der Geschichte. Bill Hagmaier war ein großer Mann, der sehr viel mehr erreicht hat, als jeder seiner anderen Kollegen. Aber die dominierende Anziehungskraft für Theodore Robert Bundy bleibt ungebrochen, gerade weil sein absurd unmenschliches Wesen so unverständlich bleibt. Und die Faszination des Schreckens überwiegt.
Darsteller: Elijah Wood, Luke Kirby, Aleksa Palladino, Robert Patrick, W. Earl Brown, Gilbert Owuor u.a.
Regie: Amber Sealey
Drehbuch: Kit Lesser (C. Robert Cargill)
Kamera: Karina Silva
Bildschnitt: Patrick Nelson Barnes
Musik: Clarice Jensen
Produktionsdesign: Michael Fitzgerald
USA / 2021
100 Minuten