SUPERNOVA

Supernova - Copyright WELTKINO FILMVERLEIH– Bundesstart 14.10.2021

In einem Interview mit der LA Times erzählt Stanley Tucci, wie er und Colin Firth ihre Rollen getauscht haben. Vor 20 Jahren hatten sich beide beim Dreh von DIE WANNSEEKONFERENZ kennen gelernt, woraus eine tiefe Freundschaft entstand. Was an sich nichts besonderes ist. Nur das es einen entscheidenden Einfluss auf die Produktion von SUPERNOVA hatte. Noch in den Vorbesprechungen stellten beide fest, die Rollen eigentlich tauschen zu müssen. Für Filmemacher Harry Macqueen war es ein wundervoller Prozess und einmalige Erfahrungen, Colin Firth und Stanley Tucci bei den Drehbuchlesungen immer wieder die Figuren wechseln zu lassen. Und die alten Hasen behielten Recht. Das hatte aber nichts mit gesteigerter Überheblichkeit oder fehlender Erfahrung von Macqueen zu tun. Es rührte von einem tieferen Verständnis, dass auf ihre innige Freundschaft zurück zu führen ist.

„Traurig über etwas zu sein, dass nicht mehr da ist, bedeutet doch, dass es großartig war als es noch da war, oder?“ – Tusker, Stanley Tucci
Nach einer zwanzigjährigen Partnerschaft, bereisen Sam und Tusker in ihrem Wohnmobil diverse Orte aus ihrer gemeinsamen Vergangenheit. Es ist eine mentale Abschiedstour, welche sich die Männer mittleren Alters selbst widmen. Sich und ihrer starken Beziehung. Eine Supernova ist ein sterbender Stern, der in seinen letzten Augenblicken heller als eine ganze Galaxie leuchtet. Tusker ist nicht dabei zu sterben, aber er beginnt zu vergessen, durch früh einsetzende Demenz.

Viel Hintergrund gibt uns Harry Macqueen nicht. Aber wir lernen Sam und Tusker auf einem viel innigeren Level kennen. Ihre Geschichte entfaltet der Filmemacher ganz behutsam, wobei auf unnötige Aha-Effekte verzichtet wird. Überraschende Erkenntnisse bleiben aus, weil sie auch nichts zu dem Kern der Erzählung betragen würden. Es geht darum was die Zukunft für zwei Menschen bereit halten wird, und nicht was hinter ihnen liegt. Was sie tatsächlich verlieren werden erklärt sich ohnehin von selbst, was darüber hinaus geht bleibt irrelevant.

Kommt man in die Versuchung abzuwägen wie eine umgekehrte Rollenverteilung ausgesehen hätte, wäre für entsprechenden Darsteller die jeweils andere Figur sicherlich reizvoller und fordernder gewesen. Wir beobachten Firth als Sam und Tuccis Tusker, und man kann gar nicht anders als ihnen fasziniert zuzusehen. Und wir spüren, dass es nicht um die Herausforderung ging. Beide erzeugen eine perfekte Harmonie, die sich jenseits ihres Spiels hinaus für uns Zuschauer öffnet. Macqueen kann die für den Betrachter oberflächliche Typisierung von Firth‘ distinguierter Zurückhaltung und Tuccis verschmitzten Charme dramaturgisch perfekt nutzen.

Supernova 2 - Copyright WELTKINO FILMVERLEIH

Ein beeindruckender und bleibender Höhepunkt ist eine Dinner-Sequenz, auf die einer aber nicht näher eingehen darf, um die definierende Essenz des Momentes nicht vorweg zu nehmen. Doch diese Szene ist ein Beispiel für herausragende Schauspielkunst, die noch mit geschicktem Schnitt und ganz sensiblen Kameraeinstellungen gesteigert wird. Hier kommt alles zusammen was auch über die Charakterisierung der Figuren hinaus geht. Wie ein Mensch seine Würde bewahren kann, und ob wir ihm seine Selbstbestimmung tatsächlich zugestehen würden. Nicht einfach nur so dahin gesagt, sondern wirklich an unser Inneres gerichtet.

Es überrascht, wie feinfühlig Harry Macqueen die Balance hält, dass nicht nur Tusker ein Opfer der Krankheit wird, ohne dies allerdings zu schmälern. Die Ängste wiegen sich auf. Tusker befürchtet zu Recht seinen Partner bald nicht mehr zu erkennen, während Sam die Panik treibt, dass lediglich die Erinnerung an die Vergangenheit bleiben wird. Da die Inszenierung jeden Versuch von Melodramatik vermeidet, bleiben wir Beobachter auch fokussierter durch den steten Fluss welcher feinsinnigen Humor und Spitzen immer gegenüber stellt. Und genau das scheint manchmal nicht genug.

Gerade was SUPERNOVA durch seine unaufgeregte und bodenständige Inszenierung so ungewöhnlich macht, lässt ihn im Gesamten auch beliebig wirken. Wir erfahren keine Entwicklung der Charaktere, sondern beobachten die Beziehung durch den Status Quo. Kino ist ein Medium mit überhöhten Emotionen, die hier bewusst umgangen sind. Genau deshalb funktioniert der Film auch in seinen selbst gesteckten Grenzen. Allerdings gibt es essenziellere Filme über Demenz, und es gibt aufwühlendere Beziehungsportraits. Das Besondere an SUPERNOVA ist das Spiel und die Chemie von Firth und Tucci, was ihre Reputation als Darsteller weiter festigt. Dies bleibt bei uns auf jeden Fall hängen, der Titel des Films allerdings nicht zwangsläufig.

Supernova 1 - Copyright WELTKINO FILMVERLEIH

 

Darsteller: Colin Firth, Stanley Tucci, Pippa Haywood, Peter MacQueen, James Dreyfus u.a.
Regie & Drehbuch: Harry Macqueen
Kamera: Dick Pope
Bildschnitt: Chris Wyatt
Musik: Keaton Henson
Produktionsdesign: Sarah Finlay
Großbritannien / 2020
95 Minuten

Bildrechte: WELTKINO FILMVERLEIH
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