– Bundesstart 15.12.2021
So hat uns SPIDER-MAN: FAR FROM HOME zurückgelassen: Der Sensationsreporter J. Jonah Jameson hat mit einem Video der Welt offenbart, dass Peter Parker Spider-Man ist. Genau hier setzt NO WAY HOME an, den der niederträchtige Jameson lässt Peter als den Mörder des angeblichen guten Mysterio erscheinen. Mit seiner Identität enthüllt und als Mörder beschimpft, wird Spider-Mans Tun und Parkers Privatleben zunehmend komplizierter, bisweilen unerträglich. Sein ganzes soziales Umfeld beginnt unter den falschen Anschuldigungen zu leiden, was die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft zum Äußersten treibt. Der Mystiker Doctor Strange soll die Realität so verändern, dass niemand mehr die Identität von Spider-Man kennt. Und weil Peter Parker eben noch immer nicht der gefestigte, kluge und besonnene Superheld ist, bringt der sprunghafte Universitätsanwärter den Zauber von Strange mächtig durcheinander.
Über NO WAY HOME zu reden ist fast noch schlimmer als CRYING GAME mit den Wort zu empfehlen, „sie ist ein Kerl“. Oder 1980 an einer Warteschlange im Kino vorbei zu gehen und zu sagen, „ich hätte nie gedacht das Darth Vader der Vater von Luke Skywalker ist“. Natürlich können Kritiker, Blogger, oder Filmfreaks weniger und weniger an sich halten, was genau bei NO WAY HOME zu erwarten ist. Aber die herkulische Aufgabe die sich Cast und Crew für diese Produktion in Details, Geschichte und atmosphärischer Kohärenz vorgenommen und umgesetzt haben, werden trotzdem viele Worte gar nicht im vollen Umfang erfassen können. Aber wenige Worte können ausdrücken, wie atemberaubend diese Bemühungen ausgefallen sind.
Dieses Mal wurden die Rollen getauscht, und Marvel in die Sony-Welt geholt. Für die drei jüngsten Einzelfilme mit Spider-Man zeichnet sich Jon Watts aus dem Regiestuhl heraus verantwortlich. Aber der Film braucht nur wenige Minute um zu zeigen, dass Watts alleine dieses Kunststück nicht vollbracht hat. Zuerst sind da einmal diese beeindruckenden Schauspieler, und dann entblättert sich nach und nach ein Buch von Chris McKenna und Erik Sommers, welches man als eines der feinfühligsten und originellsten Scripts im Mainstream-Kino der letzten Jahre bezeichnen muss.
SPIDER-MAN: NO WAY HOME ist Fan-Pleasure in reinster Form, und in seiner metaphysischen Filmbetrachtung die perfekter Ausführung. Und genau das macht den Film zu einem Hybriden der besonderen Form, der vermehrt im Kino Einzug hält. Ein eigenständiges Original, welches aus einer Vielzahl von Vorgängern, thematischen Wiederholungen und gebeugten Versatzstücken entstanden ist. Natürlich klingt das sofort widersprüchlich, aber genau daraus gewinnt dieser Film seinen unvergesslichen Charakter.
Doctor Stranges Zauber wird einige Male unterbrochen, was zur Folge hat, dass sich die Grenzen zwischen verschiedenen Universen auflösen und Parallelwelten interagieren können. Und Menschen die noch nicht wissen, dass dadurch Charaktere aus anderen Spider-Man-Reihen auch hier auftreten, können getrost weiterlesen, weil bei ihnen ohnehin die Welt vorbei gezogen ist.
Hier kommt auch die ganz hohe Kunst eines perfekt konstruierten Drehbuchs und einer sehr sensiblen Regie zusammen. Aber das Zauberwort ist nicht nur Meta, wie es kunstvoll gestaltete Filme und Serien immer wieder mehr oder weniger gekonnt praktizieren. Sondern die Studio und Produktionen übergreifende Situation, zeichnet ein viel tieferes, intensiveres Bild der Figur Peter Parker die mit Spider-Man im Marvel-Universum einhergeht. Aber zeitgleich ist es eben auch ein Bild der popkulturellen Figur und ihrer Bedeutung im modernen Kino.
Nicht nur im Film werden getrennte Welten zusammen gebracht, sondern auch in der Wirklichkeit sprengt man die Grenzen von Eitelkeiten und Corporate Culture für Innovationen. Das höhere Gut ist selbstverständlich der wirtschaftliche Aspekt. Die Zeiten von Jack Warner und Louis B. Mayer sind goldene Geschichte, wo Filme aus purer Leidenschaft in Auftrag gegeben wurden. Doch Amy Pascal bei Sony und Kevin Feige bei Marvel, haben sich bei ihren Amtsübernahmen ihren künstlerischen Idealismus bewahrt, und diesen in ihre finanzielle Verantwortung mit eingebracht.
Was wie eine Verzweiflungstat anmutete, wurde zum Befreiungsschlag. Die drei Maguire- und zwei Garfield-Spider-Man waren Kassenerfolge und perfekt gestyltes Popcorn-Kino, aber intellektuell und narrativ ging es nicht wirklich voran. Das Sony als Rechteinhaber die Figur am Marvel auslieh, hätte so oder so keinen Schaden angerichtet. Die angeblich zähen Verhandlungen, mit Spider-Man einen dritten Solo-Film im Marvel Cinematic Universe zu produzieren, muss man allerdings auf künstlich produzierte Schlagzeilen und Scheintaktiken reduzieren. Denn das Drehbuch ist schlichtweg zu perfekt durch komponiert, als das es wirklich eine Spontanentscheidung gewesen sein kann.
Das Konzept von Cross-Over ist wirklich nicht neu, aber in dieser Dimension und auf diesem Niveau einzigartig. SPIDER-MAN: NO WAY HOME ist kein eigenständiger Film, wie es schon seit langem für das Kino im Allgemeinen immer wieder zu recht gefordert wird. Aber er ist eine Weiterentwicklung, die genauso als Betrachtung über das moderne Kino funktioniert. Marvel hat mit seinen Filmen ein eigenes Universum kreiert. Aber NO WAY HOME hat auch dieses aufgebrochen und innerhalb des modernen Kinos etwas geschaffen, dass man als solches benennen darf. Ein Multiversum.
Das der Film nebenbei noch außerordentlich gut gespielt ist, ein tolles Humorlevel hat, extrem spannend inszeniert und anspruchsvoll ist, mit Gefühl und Emotion überwältigt, sollte hier vielleicht auch Erwähnung finden.
Darsteller: Tom Holland, Zendaya, Jacob Batalon, Marisa Tomei, Benedict Cumberbatch, Jon Favreau, J.K. Simmons, Alfred Molina, Willem Dafoe, Angourie Rice und Jamie Foxx u.a.
Regie: Jon Watts
Drehbuch: Chris McKenna, Erik Sommers
Kamera: Mauro Fiore
Musik: Michael Giacchino
Produktionsdesign: Darren Finn, Clint Wallace
Island – USA / 2021
148 Minuten