Netflix – ab 15.01.2021
So schwer zu verstehen ist das Konzept von Netflix‘ Prestigeproduktionen nicht. Höchstmöglicher Produktionsaufwand mit geringstmöglichem Budget. Das ist kein Widerspruch. Das einfachste Mittel ist, die Geschichte in ein Land zu verlegen, in dem Drehgenehmigungen und Motivablöse für einen Bruchteil der üblichen Summen zu haben sind. Das klingt natürlich respektlos und abwertend. Kann es aber gar nicht sein in Anbetracht der extrem hohen Motivation welche die örtlichen Filmteams beweisen, abseits der Image und Honorar verwöhnten Hollywood und Pinewood Beschäftigten. Von der Lebensqualität gar nicht zu reden. Da richtet man sich Richtung Columbien für TRIPLE FRONTIER, oder Marokko wegen OLD GUARD, und EXTRACTION zeigt sich in Bangladesh oder Thailand. Relatives Neuland betritt OUTSIDE THE WIRE mit Ungarn.
Meistens handelt es sich auch noch um Projekte die von sehr namhaften und damit zugkräftigen Darstellern angestoßen werden. Charlize Theron wollte die Graphic Novel OLD GUARD verfilmt sehen, und beteiligte sich gleich als Produzent mit. Kathryn Bigelow und Mark Boal lockten Affleck, Hunnam, Issac oder Pascal zu TRIPLE FRONTIER. Die Russo-Brüder brauchten etwas sinnbefreiten Abstand vom MCU, was Chris Hemsworth begeisterte, der sich produzierend und darstellend zu EXTRACTION gesellte. Allesamt außerordentlich hervorragende, aber auch sehr anspruchsvolle Actionfilme.
Ebenso vertraut mit dem sinnvoll übersteigerten Aufwand der MCU-Filme ist ‚Falke‘ Anthony Mackie. Doch was ihn als Produzenten und Hauptdarsteller von OUTSIDE THE WIRE überzeugte, muss wohl in der Vorproduktion und während des Drehs verloren gegangen sein. Die Ausgangssituation ließt sich wie eine verunglückte Parodie auf das Popcorn-Action-Kino der Achtziger aus Italien, welche schon absurde Epigonen ihrer amerikanischen Vorbilder waren.
Es ist 2036, und es herrscht Bürgerkrieg in der Ukraine. Zwischen den Fronten versuchen Friedenstruppen, eine Ausweitung der Auseinandersetzungen zu verhindern. Und dort in der Ukraine, ein Land sozusagen umgeben von Russland, wird die Bevölkerung von amerikanischen Truppen beschützt. Ja, das ist kein Schreibfehler, und in der Handlung auch nicht als Witz gedacht. Das soll aber auch erst der Anfang sein, denn zwei Soldaten müssen in diesen Wirren einen Warlord finden und unschädlich machen.
Wenn man einen Film einfach und unkompliziert halten will, dann darf darin ein realistisches politisches Szenario keine Rolle spielen, sonst würde sich die Geschichte selbst zerschießen. Also lässt man es einfach einen Warlord sein. Der Begriff ist bekannt, der Zuschauer weiß, dass es die Person ist die man fürchten muss. Dann setzt das grauenvolle Drehbuch von Rob Yescombe und Rowan Athale noch eines drauf. Der Warlord hat die Zugangs- und Startcodes für…, die Zeit ist selbstverständlich auch knapp.
Das die beiden Undercover-Soldaten Leo und Harp schwarz sind, ist in der Zukunft ohne Bedeutung, auch in der Ukraine nicht. Für den Film selbst noch viel weniger. Was sich nach einer ungewöhnlichen Konstellation anhört, mit reichlich Konfliktpotential, vielleicht sogar für ein bisschen Gesellschaftskritik, verpufft ins Nichts. Sollte es ein Zeichen sein, für eine angedachte Selbstverständlichkeit, wie Schwarze nun im Geschäft besetzt werden, dann spürt, sieht und hört man nichts davon. Allein schon weil die abstruse Handlung jeden Ansatz von Anspruch im Keim erstickt.
Das Harp als Dronen-Pilot ohne jede Kampferfahrung ist, und überhaupt noch nie einen Außeneinsatz hatte, wischt man mit zwei Dialogfetzen beiseite. Sein Vorgesetzter Leo ist Cyborg, was einen interessanten Punkt setzt, und optisch auch gut verkauft wird. Regisseur Mikael Håfström kann nur nichts damit anfangen. Was immer Leo im Laufe der Handlung vollbringt, könnte seiner Übermenschlichkeit geschuldet sein. Oder aber einfach nur langjähriger militärischer Erfahrung. Da setzt die Regie nie irgendwelche Zeichen.
OUTSIDE THE WIRE ist ein Film, der gute, manchmal etwas zu kurze Action-Sequenzen bietet. Da findet man einen sehr guten Unterhaltungswert. Wird aber nur diejenigen zufriedenstellen, die zwischen solchen Szenen gerne mal nach draußen gehen und ein neues Bier holen. Dazwischen ist alles aufgefüllt mit etwas, dass sich immer selbst widerspricht. Hurra-Patriotismus der sich als Statement gegen den Krieg verstanden wissen will. Das hanebüchene Ende versucht sich noch mit einer moralischen Botschaft, in dem es eine ganz überraschende Wendung präsentiert. Garniert mit dem schnellsten Sprint eines flüchtenden Soldaten, den man sich vorstellen kann.
Auch OUTSIDE THE WIRE zeichnet sich durch einen extrem hochwertigen Produktionsaufwand aus, der keinen Dollar hinter schon länger etablierten Filmländern zurück steht. Niemand soll auch nur im Geringsten annehmen, die Unzulänglichkeiten des Films kämen von technischen und logistischen Defiziten. Im Gegenteil. Man fragt sich, wie es erfahrene Menschen schaffen, ein Projekt mit so einem hohen Standard und Aufwand in Settings und Optik, künstlerisch so explodieren zu lassen.
Darsteller: Anthony Mackie, Damson Idris, Enzo Cilenti, Michael Kelly, Emily Beecham, Kristina Tonteri-Young, Pilou Asbæk u.a.
Regie: Mikael Håfström
Drehbuch: Rob Yescombe, Rowan Athale
Kamera: Michael Bonvillain
Bildschnitt: Rickard Krantz
Musik: Lorne Balfe
Produktionsdesign: Kevin Phipps
Ungarn – USA / 2021
114 Minuten