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NEWS OF THE WORLD
Es ist ein zufriedener Blick, der durch die Runde geht. Keine Überheblichkeit, sondern ein wenig Stolz gepaart mit Hoffnung. Heruntergekommene Cowboys, verarmte Farmer, sie sind gekommen um ihn zu hören. Es ist nicht so, dass Tom Hanks diese Figur spielt, sondern sie ist Tom Hanks. Captain Jefferson Kyle Kidd reist durch Texas und trägt aus verschiedenen Zeitungen die wichtigsten, oder amüsantesten Nachrichten vor. Seit dem Bürgerkrieg sind fünf Jahre vergangen, und die südlich gelegenen Staaten leiden noch unter den Nachwehen. Die Menschen haben keine Zeit oder kein Geld Zeitung zu lesen, wobei die meisten überhaupt nicht lesen können. Es ist schwer vorstellbar, dass es NEUES AUS DER WELT geben würde, wenn nicht Tom Hanks diese Rolle übernommen hätte. Geschweige denn, dass man sich für diesen Film interessieren würde. Captain Jefferson Kyle Kidd ist ein besonnener Mensch, Realist mit Güte und Verstand. So einen Menschen fast zwei Stunden derart pragmatisch und gleichzeitig emotional zu verkörpern, ohne der Versuchung zu erliegen ihn mit dramaturgischen Schwankungen mehr Tiefe zu geben, das ist nicht einfach Schauspielkunst, sondern Charisma.
Bestimmt wurde Regisseur Paul Greengrass schon mehrmals die Frage gestellt, warum er ausgerechnet einen Western gemacht hat. Die Antwort wäre wie aus dem Buch für marketingtechnische Interviewfragen. Weil es schon immer sein Traum war, könnte er antworten, oder anders formuliert, weil jeder Regisseur einmal mit diesem Genre arbeiten müsste. Jetzt hat er zusammen mit Autor Luke Davies diesen Traum verfasst und inszeniert. Wobei die Antwort und der Traum natürlich weiterhin spekulativ sind. Aber sieht man Greengrass‘ bisherige Arbeiten und vergleicht deren Art, Themen und Umsetzung mit NEUES AUS DER WELT, dann muss man an diesen Traum glauben.
Der Western war ja nie tot, wie es manchmal hieß, als man mit SILVERADO und noch verstärkter mit DER MIT DEM WOLF TANZT eine Renaissance herbei reden wollte. Seine Themen hatten sich nur verändert. Und weil es schicklich ist, heute alles mit soziopolitischen Gehalt rechtfertigen zu wollen, überrascht die klassische Struktur und einfache Erzählform von NEUES AUS DER WELT durchaus.
So könnte man Captain Kidd als das mahnende Gewissen gegen eine kaputte Welt, ein gebrochenes Amerika, den Niedergang des Gesellschaft verstehen. Aber genau das ist weder die Figur, noch will der Film etwas ähnliches als Kontext verstanden wissen. Es ist eine sehr geradlinige Geschichte zweier Menschen, die noch nicht wissen, wo ihre Bestimmung liegt.
Dabei kann Helena Zengel mit ihrer Darstellung der von Kiowas entführten Deutschimmigrantin Johanna, das Publikum nicht so überzeugend für sich einnehmen. Das liegt nicht an ihrer Leistung, sondern weil ihre Charakterzeichnung ebenso, wie der Film als solcher, dem klassischen Profil unterworfen wird. Sie schlägt um sich, kratzt, beißt und grunzt abweisend, wenn ihr eigentlich jemand etwas Gutes tun will. Es soll zuerst nachvollziehbar wirken, irritiert anfangs allerdings, weil es in einem zu starken Kontrast zu Hanks gefasstem und für das Genre ungewöhnlich empathischen Charakter steht.
In alter Tradition gönnt Dariusz Wolski dem Zuschauer wunderbare Landschaftstotalen von einsamen Steppen, felsigen Höhenzügen und kargen Waldbeständen. Es erweist sich als kluge künstlerische Entscheidung, dass Paul Greengrass auf den verwackelten Handkamera-Stil seiner sonstigen Kollaborateure Barry Ackroyd oder Oliver Wood verzichtet hat.
Allerdings gelingt es der Bildführung nicht, für die einzelnen Settings unterschiedlich charakteristische Züge zu finden. Nach der Hälfte seiner Laufzeit, haben sich auch die Auswahl differenzierter Langschaften erschöpft, und die Umgebung unterschiedlicher Szenen wird beliebig, somit auch weniger interessant. Doch so wie man annehmen könnte, NEUES AUS DER WELT würde zu einem belanglosem Western, der sich in bewährten Versatzstücken verliert, sollte man als geneigter Zuschauer den Blick fürs Detail nicht verlieren.
Es steckt mehr in diesem Film als nur die ungebrochen charismatische Aura eines Tom Hanks, der mittlerweile alles spielen kann, ohne das man darüber nachdenken muss, oder an ihm zweifeln würde. Getragen von einer unheimlich beherrschten Helena Zengel, gewinnt Johanna als Figur ganz subtil an Augenhöhe mit Captain Kidd. Im letzten Viertel schließlich, wechselt die treibende Kraft in der Führungsrolle. Ein Moment der wegen seines mystischen Augenblicks und der kraftvollen Optik fast unbemerkt bleibt.
Was NEUES AUS DER WELT aus seiner nur scheinbaren Banalität heraus hebt, sind die vielen Details, mit denen Konventionen ausgehebelt werden. Da ist die Rolle von Ureinwohner die nur in unwirklichen Bildern Gestalt annehmen. Es sind für den Standard-Western unübliche, aber reale Stadtkulissen. Diese Sequenz in einem Arbeiterlager, welche eher unaufdringlich eine aktuelle Medienkritik ins Visier nimmt, aber zurückhaltend unpolitisch ist. Auch der Trick mit Münzen als Patronenersatz, den man tatsächlich nachlesen kann. Überhaupt die noch nie behandelte Profession des Nachrichtenverlesers, und seine Bedeutung.
Paul Greengrass hat einen sehr geradlinigen Western inszeniert, der sich nicht als soziopolitische Kritik versteht, oder als aufdringliche Metapher den Zeitgeist wiederspiegeln will. Seine Seele spiegelt sich in zwei sich gegenseitig tragenden Figuren, die ihr Schicksal erst begreifen müssen. Kidd ist verwirrt über seinen abwegigen Drang der verlorenen Johanna zu helfen, wie diese sich nicht mit der für sie unverständlichen Situation arrangieren will.
Das ist nichts Neues in der Welt, aber die Liebe steckt eben im Detail. In dieser Beziehung, wie in all den Kleinigkeiten mit denen Paul Greengrass überzeugt, ohne das man es als aufdringlich wahrnimmt. Was in dieser Form vielleicht gar nicht möglich gewesen wäre, ohne die einnehmende Präsenz von Helena Zengel und Tom Hanks. Und um den klassischen Vorbildern gerecht zu werden, nimmt man das Ende mit Wohlwollen auf, welches manche kitschig und sentimental nennen würden. Andere nennen es stimmig und notwendig.
Darsteller: Tom Hanks, Helena Zengel, Michael Covino, Mare Winningham, Fred Hechinger, Bill Camp, Neil Sandilands, Ray McKinnon u.a.
Regie: Paul Greengrass
Drehbuch: Paul Greengrass, Luke Davies
nach dem Roman von Paulette Jiles
Kamera: Dariusz Wolski
Bildschnitt: William Goldberg
Musik: James Newton-Howard
Produktionsdesign: David Crank
USA / 2020
118 Minuten