MALCOLM & MARIE

NETFLIX ab 05.02.2021Malcolm and Marie 1 - Copyright NETFLIX

Schon im Vorfeld hat MALCOLM & MARIE seine Schlagzeilen eingefahren. Der Altersunterschied zwischen den Hauptdarstellern. Ein Weißer, der einen Film über Schwarze macht. Und dann stellt sich heraus, das nichts davon in irgend einer Weise relevant ist. Diese fragwürdigen Vorverurteilungen bleiben ohne jede Bedeutung. Vielmehr wird sich MALCOLM & MARIE als der Film etablieren, mit dieser weißen Kritikerin der L.A. Times. Für Filmautor Sam Levinson mag es ein augenzwinkernder Scherz sein, wie er nicht sehr glaubhaft beteuert. Das ihm eine schlechte Kritik für seinen ASSASSINATION NATION von jener ‚weißen Kritikerin der L.A. Times‘ nachging, konnte er nie verleugnen. Sie jetzt als Hassobjekt für einen zentralen Handlungspunkt für seinen Nachfolgefilm einzusetzen, noch dazu so offensichtlich exzessiv, hätte in bewusst beleidigender Absicht eine bösartige Qualität. Aber es ist bei weitem nicht so einfach, wie es mancher wahrnehmen möchte.

Es ist ein Uhr nachts, und ein Paar kommt von einer Filmpremiere nachhause in ihr feudales Haus in Malibu. Malcolm sehr euphorisch ob der grandiosen Lobeshymnen der anderen Gäste, und Marie aus noch ungeklärten Gründen offensichtlich genervt und missgelaunt. Aus dem Vorhaben, schnell ins Bett zu kommen wird nichts, als eine durchaus beabsichtige Bemerkung zu einem klärenden Wortwechsel führt. Dieser ist allerdings erst der Anfang einer unablässigen Folge von sich steigernden Streitgesprächen.

Auch wenn sich Sam Levinson mit Drehbuch und Regie alleine für den Film verantwortlich zeichnet, ist es zuerst einmal der Film von Zendaya und John David Washington. Gleich gefolgt von Marcell Révs erzählender und in schwarzweiß umgesetzter Kameraführung, die vorgibt auf wen der inhaltliche Fokus gerichtet ist. Lange und weite Einstellungen geben beiden Darsteller gemeinsam Raum, in dem sie sich immer wieder sammeln, wie eine visuelle Auszeit. Während die oft überlappenden Wortgefechte akzentuiert in schneller Folge mit Close-Ups geschnitten sind.

In der Umsetzung der emotionalen Wahrnehmung hat aber auch Julio Perez IV mit dem Schnitt einen nicht unerheblichen Anteil geleistet. Perez‘ Rhythmus gibt den Film einen Fluss, der die Dramaturgie nie ins Stocken bringt. Bild und Schnitt führen zu dem jeweiligen Protagonisten, der Zuschauer bezieht dabei aber keine Stellung, sondern ist konzentriert auf den Charakter. Und es schmerzt einige male, was sich Marie und Malcolm vorzuwerfen haben. Die einzige Position die man dabei bezieht, ist die Frage, ob die eigene Beziehung so eine offene Auseinandersetzung standhalten würde.

Beide sind anfangs noch zweifelhafte Figuren, und so steht ständig die Frage im Raum, wo die Grenze bei verletztem Stolz, fehlender Integrität oder unbewusster Boshaftigkeit liegt. Schuldfragen bleiben unbeantwortet, und jeder bleibt verletzlich. Washington als Malcolm hat den größten Anteil an Dialogen und Monologen. Sie sind ausufernd, egozentrisch und selbstgefällig. Marie hingegen ist selten überhöht, neigt zur Rechtfertigung, aber sie ist wesentlich analytischer in ihrer Betrachtung über die Beziehung zu Malcolm. Wenn sie sich selbst reflektiert, entlarvt sie seine Überheblichkeit. Sie wird durch Selbsteinschätzung zur stärkeren und reiferen der Beiden.

Malcolm and Marie 3 - Copyright NETFLIX

Doch MALCOLM & MARIE ist trotz seiner Prämisse und der ebenso rücksichtslosen Umsetzung kein WER HAT ANGST VOR VIRGINA WOOLF, der unweigerlich zuerst in den Sinn kommt. Washington und Zendaya sind erschreckend tief in ihren Rollen verwurzelt, und das hat immer etwas Berührendes, aber nicht selten ist man auch peinlich berührt. Da wird Versöhnungssex nur zu einer Atempause. Aber was beide ganz eindringlich und überzeugend ausspielen, dass fehlt ihnen in ihren Texten. Und das ist Natürlichkeit.

Jedes Wort ist ausgewählt, jede Zeile penibel entworfen. Die Dialoge sind so ausgefeilt, dass sie weder Interpretation zulassen, noch spielerischen Raum für den anderen geben. Es sind wortgewaltige, aber feinst aufeinander abgestimmte Wechselwirkungen. Das reißt unweigerlich mit und hält gefangen, aber es führt auch automatisch zurück auf den Anfang mit der weißen Kritikerin der L.A. Times.

Will MALCOLM & MARIE ein Kunstprojekt sein, oder sich als naturalistisches Psycho-Drama sehen. Als Malcolm seine minutenlange Tirade gegen die Kritikerin hält, die seinen Film besprochen hat, will er in seiner Arroganz nicht wahrhaben, dass es sich in Wirklichkeit um eine wohlwollende und sehr positive Rezension handelt. Doch seinen Standpunkt gegenüber Kritiken kann Sam Levinson als Filmemacher damit nicht überspielen.

In dem Malcolm die Besprechung des Films im Film Wort für Wort in Frage stellt, anzweifelt und den Interpretationen widerspricht, ist es eigentlich Levinson, der jedem Rezensenten von MALCOLM & MARIE die Grundlage für eine persönliche Auseinandersetzung zu entziehen versucht. Das kann man als eigenen, gerissenen Kunstgriff auffassen, mit dem der Regisseur und Autor ein nicht uninteressante Metaebene schafft. Aber genau so eine Sichtweise, würde Malcolm im Film wutentbrannt als anmaßend und überheblich verurteilen.

Im selben Atemzug echauffiert sich der schwarze Malcolm darüber, nur mit anderen schwarzen Regisseuren verglichen zu werden. Wer Willens ist, musss auch darin ein sozipolitisches Zeichen erkennen, vom weißen Regisseur Sam Levinson, der sich anmaßt einen Film über Schwarze zu machen. Das sind diese Spitzfindigkeiten die MALCOLM & MARIE tatsächlich noch viel interessanter machen. Wenn sich jemand darauf einlassen will. Aber schon allein in seiner kunstvollen Ausarbeitung, mit diesen ungemein ansprechenden Darstellern, ist Sam Levinson ein starkes Stück Film gelungen.

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Darsteller: Zendaya, John David Washington
Regie & Drehbuch: Sam Levinson
Kamera: Marcell Rév
Bildschnitt: Julio Perez IV
Musik: Labrinth
Produktionsdesign: Michael Grasley
USA / 2021
106 Minuten

Bildrechte: NETFLIX
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