– Bundesstart 11.11.2021
Durch seine herausragende Kameraarbeit wird LAST NIGHT IN SOHO sicher lange in Erinnerung bleiben. Entgegen von Chung Chung-hoons sonstigem Faible, sind seine Bilder in SOHO sehr kräftig, sehr akzentuiert, und mit starken Schattenbereichen. Die Dualität von Licht in den Szenen, ist bildlicher Spiegel für das Wesen seiner Hauptiguren. Auffällig ist auch wie Chung die Kamera immerzu schweben lässt, wie in einem ungewissen Traum. Das wird auf die Spitze getrieben, wenn sich die schüchterne Modedesign-Studentin Ellie in ihren Schlaffantasien als Spiegelbild der selbstbewussten Sandie sieht. Wenn diese im Club eine Treppe hinab schreitet, läuft an der bespiegelten Wand neben ihr Ellie. Manchmal tauschen sie auch die Ebenen, und Sandie wird zu Ellies Spiegelbild. Die fliegende Kamera, lässt solche Szenen nebensächlich, fast natürlich erscheinen. Nur beobachtet die faszinierte Ellie immerzu die ahnungslose Sandie, obwohl sie sich als Reflexion eigentlich gespiegelt verhalten müsste. Unterschwellig schafft dieser optische Bruch in der Symmetrie dieser grandios choreographierten Szenen, jedes Mal ein verstörendes Gefühl.
Das zwei Zeitebenen ineinander greifen, ist auch im Horror-Genre nicht selten. Und Filmemacher Edgar Wright will auch merklich das Metier nicht neu erfinden. Immer wieder betonte er schon seit der Vorproduktion seine Leidenschaft für die, wie er es nennt, ‚Swinging Sixties‘, als eigentliche Triebfeder für SOHO. Ein Jahrzehnt, welches dem ´74 geborenen Briten von seinen Eltern schmackhaft gemacht wurde, und dessen verklärtes Ambiente er nun atmosphärisch wie auch wortwörtlich zerlegt. Als scheues Mädchen vom Land, zieht es Ellie nach London um am College der UAL Modedesign zu studieren. Obwohl in der Gegenwart zuhause, hat sie auch ihre Passion für die Sechziger im Gepäck.
Ihre ersten zwischenmenschlichen Erfahrungen in der Großstadt macht Ellie mit einem widerwärtig aufdringlichen Taxifahrer, dessen Gesicht nicht zu erkennen ist. Ein Motiv das sich ständig wiederholen wird, Männer durch Verfremdung zu potentiell undefinierbaren Gefahren zu stilisieren. Erst Reaktionen nach der Premiere bei den Filmfestspielen in Venedig, hatten SOHO sofort als fabelhaften Beitrag zur #metoo-Debatte festgelegt. Das Prädikat des Feminismus-Thrillers hat sich gefestigt, sollte aber immer mit Vorsicht gebraucht und verstanden werden. Selbst wenn sich die lebenslustige Sandie als selbstbewusst starke Frau präsentiert, die ihre Ziele mit kalkulierter Präzision verfolgt. Und das zu einer Zeit, wo es noch lange nicht selbstverständlich war.
Mit LAST NIGHT IN SOHO hat Edgar Wright, Schöpfer von grandiosen Nerd-Werken wie SPACED, der Cornetteo-Trilogie, oder SCOTT PILGRIM, seinen ersten lupenreinen Horrorfilm inszeniert, der auch innerhalb seines Genres bleibt. Weil sich Ellie schwer tut in der Universität Anschluss zu finden, flüchtet sie sich lieber in ihre Träume, wo sie glaubt das Leben der der angehenden Sängerin Sandie nach zu empfinden. Sandie wird dabei immer mehr in den Abgrund von Missbrauch und Gewalt durch ihren Freund und potentiellen Freiern gezogen, und gleichzeitig verschwimmen für Ellie die Grenzen zwischen Realität und Fantasie. Und als ein vermeintlicher Mord geschieht, scheint es wie ein Hilferuf aus der Vergangenheit.
Mit einer exzellenten Auswahl an Darstellern und einem angemessenen, nicht zwangsläufig teuren Produktionsaufwand kann man sich sehr gut vom Standard absetzen. Und mit einem außerhalb der überholten Standardpläne konstruierten Drehbuch, kann ein Horrorfilm viel mehr sein als eine Fast-Food-Samstagabend-Unterhaltung für das erste Date. Was SOHO aber nicht makellos darstellen soll, weil er ausgerechnet im letzten Akt unter inszenatorischen Schwächen leidet. Wright wiederholt sich viel zu oft mit seinem Motiv der gesichtslosen Männer, womit auch sein ausgewogenes Erzähltempo ins Straucheln gerät.
Diese unnötig in die Länge gezogene Achterbahnfahrt eines psychologischen Albtraumes bringt auch die kongeniale Auflösung in Bedrängnis, die dann schon wieder zu überstürzt scheint. Das dabei auch Ellies anfangs angedeutetes mentales Problem keine Rolle mehr spielt, wird den aufmerksamen Genre-Freund durchaus enttäuschen. Zudem wirken die kurzen Auftritte von Diana Rigg immer wieder wie eine vertane Chance, weil sie neben all den anderen ausgeklügelten Figuren die schwächste Charakterzeichnung hat.
Wesentlich mehr hätten Krysty Wilson-Cairns und Edgar Wright in ihrem Drehbuch auch Thomasin McKenzies Ellie zukommen lassen können. Sie überzeugt als eingeschüchtertes Mädchen vom Lande, dass sich mühsam versucht zurecht zu finden. McKenzie spielt auch hervorragend die Verletzlichkeit und gleichzeitige kindliche Neugierde. Sie kann sich behaupten, aber ihrem Charakter wird nie zugestanden wirklich über sich hinaus zu wachsen. Am Ende vermisst man wirklich die energetische Hochform, mit der McKenzie in JOJO RABBIT das Publikum begeisterte.
Fluch und Segen zugleich sind in LAST NIGHT IN SOHO die Spezialeffekte. Auch wenn die landläufige Meinung vorherrscht, man könnte alle Tricks mittlerweile mühelos mit dem Computer lösen, zeigt dieser Film, dass die optischen Unterschiede noch immer gewaltig sind. Während die wirklich wenigen visuellen, also am Computer generierten Effekte in SOHO merklich als solche zu erkennen sind, kann sich der Film-Fanatiker an hervorragenden in der Kamera entstandenen Zaubereien erfreuen.
Einer dieser selten gewordenen Practical Effects ist eine erstaunliche Tanzchoreografie in einer Traumsequenz. Umflogen von der Kamera, tanzt Matt Smith mit Sandie, wobei sich allerdings Thomasin McKenzie und Anya Taylor-Joy in der Rolle der Tanzpartnerin immer wieder abwechseln. Hier brechen die Stärken in der Inszenierung am eindrucksvollsten durch, wenn eine scheinbar gewöhnliche Szene die Sinne der Zuschauenden gewaltig durcheinander bringt. Wer sich dann auch noch zu einem erneuten Besuch verleiten lässt, wird überrascht sein, mit wie viele Hinweisen immer wieder die Auflösung der Geschichte vorweg genommen wird.
Darsteller: Thomasin McKenzie, Anya Taylor-Joy, Matt Smith, Synnove Karlsen, Rita Tushingham, sowie Terence Stamp & Diana Rigg u.a.
Regie: Edgar Wright
Drehbuch: Krysty Wilson-Cairns, Edgar Wright
Kamera: Chung-hoon Chung
Bildschnitt: Paul Machliss
Musik: Steven Price
Produktionsdesign: Marcus Rowland
Großbritannien / 2021
116 Minuten