James Bond 007: KEINE ZEIT ZU STERBEN

No Time To Die - Copyright MGMNO TIME TO DIE
– Bundesstart 30.09.2021

Vielleicht hat es so sein müssen. Weil es nicht einfach nur ein Film ist, sondern Kinogeschichte. Wo man anderen Filmen unnötige Längen unterstellt, nimmt man sie an dieser Stelle wohlwollend hin. Wo man sich bei anderen Filmen über abgedroschene Klischees erregt, umarmt man sie hier, und heißt sie willkommen. Willkommen zurück. Vor exakt einem Jahr wurde TENET zu Recht als Götterbote des Pandemie geschüttelten Kinos gefeiert. Eine ganz andere Güteklasse setzt nun NO TIME TO DIE. Nicht höher, nicht besser, einfach anders. Vielleicht lässt es sich darauf herunter brechen, dass Christopher Nolan erst seit 20 Jahren als der junge Heißsporn des Kinos klassifiziert wird. Relativ wenig Zeit gegenüber 60 Jahren James Bond in der Albert R. Broccoli-Ära. Da bekommt diese Marke in den weltweit veränderten Zeiten, bei Zuschauern und Kritikern cineastisch gesehen einen ganz andere Stellenwert. Aber…, ebenso jung, und noch immer ebenso ein Heißsporn.

Aus dem Geheimdienst ihrer Majestät ausgeschieden, verbringt James Bond seine Freizeit in seinem abgeschiedenen Haus an einem Strand in Jamaica. Ob das Anwesen auch Goldeneye genannt wird, so wie Autor Ian Flemings Haus und Grund auf Jamaica, erfährt man nicht, wird der nerdige Fan aber auch so annehmen. Der Ruhestand währt, bis CIAs Felix Leiter auftaucht. Beide haben oft auf Geheimdienstebene zusammengearbeitet, und Felix könnte als Bonds einziger Freund betitelt werden. Dieser braucht Hilfe, weil etwas aus einem geheimen Labor gestohlen wurde, was aber die Obersten von CIA und MI6 irgendwie zu vertuschen suchen. Und Bonds ehemaliger Chef M scheint dabei die Fäden zu ziehen. Ralph Fiennes hatte als M schon zwei Filme vorher eine gewisse Paranoia mit zeitgeistigem Flair in die Reihe gebracht. Das spricht natürlich sofort das Ego von James Bonds an.

Die letzten vier James Bond-Filme waren geprägt von einem übergreifenden Handlungsbogen, der sich hier fast selbstverständlich fortsetzt. Autor Neal Purvis hat das mehr oder weniger zu verantworten, und mit seinen jeweiligen Co-Autoren jedem der Filme eine makellose Eigenständigkeit gegeben. Was NO TIME TO DIE aber von allen anderen abhebt, ist der dunkle Schatten, der auf diesem Film lag, und sich durch 18 Monate Startverschiebung immer mehr verfinsterte. Die nervtötenden Diskussionen und lächerlichen Meinungen über einen nachfolgenden Darsteller intensivierten sich.

Was der Film allerdings selbst zur lästigen Frage der Nachfolge eines neuen Darstellers beiträgt ist atemberaubend. Die kreativen und exekutiven Macher ignorieren nicht einfach nur die unverbesserlichen Eiferer, sondern sie gießen einfach nur noch mehr Öl ins Feuer. Eine gesunde Ignoranz hat sich bisher schon immer als weise erwiesen, und aus cineastischer Sicht konnte man sich schon immer auf die nur im Vorfeld umstrittenen Entscheidungen des Produzentenduos Broccoli-Wilson verlassen. Wie seinerzeit bei der Besetzung von Craig. Und was diesbezüglich im Film an fast schon provokanten Anspielungen und Möglichkeiten in Aussicht gestellt wird, kann dem Film-Fan diebische Freude bereiten. Überhaupt ist der ganze Film darauf ausgelegt, nicht nur der Filmreihe an sich Tribut zu zollen, sondern den anfangs viel gescholtenen Daniel Craig in den verdienten Kontext dieser Serie zu setzen.

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Filme werden von Produzenten gemacht, aber so paradox es sich anhören mag, katapultierte das widersprüchlich aufgenommene Charisma von Daniel Craig die James Bond-Filme ins 21. Jahrhundert. Und er ist genau mit dieser Attitüde wieder da. Trocken, hart, impulsiv, mit dem besonderen Hauch an Narzissmus. Und als Sahnehäubchen, mit bisher unbekannten Facetten an gefühlsmäßiger Tiefe. Craig bettet diese aber so subtil in sein Spiel, dass sie nie dominieren, nicht aufgesetzt wirken, und damit eine Ehrlichkeit erreichen, die seinen Charakter so nahbar machen, wie kaum eine der vorangegangenen 24 Bond-Auftritte. Und diese substanzielle Erweiterung ist das eigentliche Element, welches das Gerüst der Handlung emotional zusammenhält.

Für die darstellerische Ebene in ihrer rauen, oft hilflos anmutenden Dramaturgie ist Cary Joji Fukunaga ein ausgezeichneter Regisseur. Viele Szenen wecken Erinnerungen an sein BEASTS OF NO NATION oder TRUE DETECTIVE, und an das was diese so eindringlich und mitreißend macht. Allein eine spezielle Szene mit dem Aston Martin in der Pre-Titel-Sequence, fasst Fukunagas Gespür zusammen, wie man unvermittelt die sequenzielle Energie auf die menschliche Tragik herunterbrechen kann, um damit noch intensiver ins mitreißende Tempo zurück zu finden.

Das Problem ist, das Cary Fukunaga die Dynamik von einzelnen Momenten zwar genial in Wechselwirkung bringen kann, aber er eigentlich kein guter Action-Regisseur ist. Zu verfahren sind die meisten Sequenzen inszeniert, zu ausladend auf Länge gebracht, und der Zuschauer bleibt weitgehend orientierungslos. Jede Action ist in erster Linie auf ihren kathartischen Ausgang hin ausgelegt, und weniger auf die Dynamik des Settings selbst. Sam Mendes war da in den beiden Vorgänge-Filmen wesentlich mehr darauf bedacht die physischen Leistungen der Darsteller mit längeren Einstellungen heraus zu heben. Fukunaga will hingehen mit mehr Schnitt das Tempo hoch halten.

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Dass dies, was es zu bemängeln gäbe, noch immer weit über dem Durchschnitt herkömmlicher Action-Filme angesiedelt ist, liegt am selbst auferlegten Niveau der Produzenten. Denn trotz allem verdeutlicht auch NO TIME TO DIE, dass gewisse Stunts und körperliche Dynamik nicht durch den Computer zu ersetzen sind, ohne dass es auffallen würde. Und die Magie des Kinos wird auch hier komplettiert, wenn tatsächlich ein Mensch mit einem Motorrad eine acht Meter hohe Mauer überwindet, und der Zuschauer dies auch intuitiv wahrnimmt. Nur als eines von unzähligen Beispielen.

Dem Film jetzt allerdings einen überhöhten Status einzuräumen, weil er durch den angekündigten Ausstieg von Daniel Craig etwas Besonderes sein soll, wäre aber übertrieben. Die Besonderheit ist eigentlich, wie NO TIME TO DIE sich selbst über die Filme der letzten sechzig Jahre definiert. Da sorgen sehr spezielle Querverweise für so manchen Frosch im Hals und Tränenansätze im Augenwinkel. Sehr offenkundig wird das mit Musik und Dialog bereits in der Pre-Titel-Sequence, oder sehr subtil im Titelvorspann. Das ist aber sehr stilvoll und mit merklich höchstem Respekt genutzt, und keineswegs selbst verliebte Zurschaustellung. Denn diese Elemente sind wesentlicher Bestandteil des dramaturgischen Überbau. Und als Zuschauer muss man einfach zugestehen, dass diese Dinge genau an dieser Stelle genau richtig sind, und es einfach passt.

Filmbuffs und Bond-Fanatiker werden sicherlich noch viel mehr entdecken, was über das Versatzstück vom geschüttelten Wodka Martini hinausgeht. Ein Film der Kürzungen vertragen hätte, aber dennoch nicht langweilig wird. Vielleicht hätte er an einigen Stellen auch besser sein können. Vielleicht. Vielleicht sollte man aber auch einfach einmal den Moment wirken lassen. Und dabei bis zum Ende sitzen bleiben, denn da wird es dann richtig interessant.

Aufgrund eines Fehlers wurde zuerst die falsche Textversion veröffentlicht. Dies wurde behoben. Inhaltlich und faktisch hat sich nichts verändert.

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Darsteller: Daniel Craig, Rami Malek, Léa Seydoux, Lashana Lynche, Ralph Fiennes, Ben Wishaw, Jeffrey Wright, Naomi Harris, Ana de Armas, Rory Kinnear, Christoph Waltz, David Dencik u.a.

Regie: Cary Joji Fukunaga
Drehbuch: Neal Purvis & Robert Wade, Cary Joji Fukunaga & Phoebe Waller-Bridge
Kamera: Linus Sandgren
Bildschnitt: Tom Cross, Elliot Graham
Musik: Hans Zimmer
Produktionsdesign: Mark Tildesley
Großbritannien – USA / 2021
166 Minuten

Bildrechte: LLC – MGM
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