Halle Berrys BRUISED

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Im Prolog sehen wir Jackie Justice flüchten, die Bilder sind verschwommen und verzerrt. Nur die Tonebene verrät uns, dass Jackie der Star des Mixed-Martial-Arts Zirkus ist. Weiterhin beteuert der Sprecher, den man als Sportkommentator ausgibt, dass es so etwas noch nie gegeben hätte, und was denn nur in die Kämpferin gefahren sei. Dann folgt eine Schwarzblende und wir springen sechs Jahre nach vorne ins Heute. Hier dauert es noch eine halbe Stunde, bis wir als Beobachtende erahnen können, was den Absturz von Jackie Justice ausgelöst haben könnte. Und nicht viel später hat man dann eine Art Gewissheit, weil der Film so dramaturgisch nach dem Lehrbuch gestrickt ist, dass nichts an der Geschichte wirklich überraschen kann. Dumm nur, dass Drehbuch und Regie diesen Prolog zur großen emotionalen Enthüllung vorgesehen haben, die der Ringrichter aber zu dem Zeitpunkt längst ausgezählt hat.

Von Halle Berry hätte man schon mehr erwartet. Zum einen, dass es sie während ihrer dreißigjährigen Schauspielkarriere wesentlich eher in den Regiestuhl drängen würde. Und zum anderen, dass Halle Berry sich für diese Gelegenheit einen weit anspruchsvolleren Stoff aussuchen würde. Auf der anderen Seite sind es gerade diese einfachen, nach dem Regelwerk kopierten Geschichten, die man mit vielen kleinen, aber raffinierten Facetten fast neu erfinden kann. Aber das offeriert weder das Buch, noch die hier solide Regiearbeit.

Solide ist gut. Solide beschreibt, dass jemand konform nach den Erwartungen etwas erfüllt. Jackie Justice hat die MMA-Kämpfe hinter sich gelassen, und fristet ein unerfülltes Dasein als Reinigungskraft. Sie wohnt zusammen mit ihrem Freund, der glaubt einmal Manager für Kampfsportler zu werden, wobei Jackie zuerst die einzige wäre. Und gerade als sie durch einen gemeinen Hinterhalt wieder Blut an Schwellungen und Platzwunden gefunden hat, wird sie gezwungen ihren siebenjährigen Jungen wieder zu sich zu nehmen, zu dem sie sechs Jahre keinen Kontakt hatte.

Jackie scheitert in den richtigen Momenten, und Jackie triumphiert wenn es die Spannungskurve fordert. Im wahrsten Sinne des Wortes kämpft sie sich frei. Sei es von ihrer toxischen Beziehung, oder wenn sie eine neue Liebe findet. Auf diesem Weg wird sie getäuscht, überrascht, und betrogen. Aber ihr Ziel ist natürlich, Zugang zu ihrem entfremdeten Sohn zu finden, der seit dem Tod seinen Vaters kein Wort mehr geredet hat. Und wie ein großes Banner entfaltet sich die Frage auf dem Bildschirm: Wann wird der Junge das erste mal etwas sagen?

Aus all diesen Klischee und ausgeschlagenen Versatzstücken hätte man vielleicht eine augenzwinkernde Persiflage machen können, die dennoch spannend und mitfühlend ist. Aber dafür nimmt Halle Berry ihren Job viel zu ernst, und gestaltete den Film entsprechend ohne eine Funken Humor. Im Gegenteil, wann immer sich eine Gelegenheit ergibt eine verfahrene Situation noch schlimmer zu machen, greift die Dramaturgie mit eiserner Faust zu. Dennoch merkt man, dass Halle Berry sehr wohl weiß, wie man Menschen, und Menschen in emotionalen Momenten inszeniert.

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Nicht nur, dass Berry sich selbst bestmöglich in Szene setzt, sondern lässt dazu ihren Mitspielern sehr viel Raum neben sich. Sie akzentuiert sehr viel mit der Kamera, weiß genau die Wirkung vom exakten Einsatz zwischen Close-up und Naheinstellung. Dabei verzichtet die Regiedebütantin gerne auf Dialog, und setzt viel mehr auf Mimik. Als Unterschichtendrama hätte BRUISED sicher sehr gut funktioniert, müsste es nicht auf Biegen und Brechen ein Sportfilm sein. Obwohl Berry die ein oder andere Action-Szene in ihrer Schauspielkarriere gemacht hat, zeigt sie bei den von ihr inszenierten Kämpfen wenig Gespür.

Die Geschichte selbst macht schon einmal den großen Fehler, die MMA-Kämpfe als etwas verruchtes darstellen zu wollen. Was natürlich Unsinn ist, weil es trotz der enormen Brutalität ein angesehener Sport ist. Aber Berry kann diesen Kämpfen nichts neues abgewinnen, keine inspirierte Form der Inszenierung, keine andersartigen Sichtweisen. Einem unausgegorenen und sehr unrhythmischen Schnitt ist es zu verdanken, dass in einigen Einstellungen die Artistik und grandiose Choreografie der Darsteller sehr gut zu sehen und nachzuvollziehen ist.

Jeder Regisseur sollte seinen eigene Stil finden. Aber Halle Berry hätte sich unbedingt Gavin O’Connors WARRIOR in den Schitzkasten nehmen sollen, um zu sehen wie man ein sehr zu Herzen gehendes menschliches Drama mit der aufregenden Widersprüchlichkeit des MMA-Sportes ineinander fließen lassen kann. Auf ihren viel zu langen 129 Minuten, trotz eines unglaublich gedehnten Abspannes, der nur von den HERR DER RINGE-Filmen überboten wird, wirft das Drama immer nur Fragen auf. Fragen, an denen man als Zuschauender längst das Interesse verloren hat, wenn sie endlich aufgelöst werden. Und dann aber im weiteren Verlauf auch noch ohne weitere Bedeutung bleiben.

Im regulären Kinobetriebe wäre BRUISED ganz leise auf die Bretter gegangen und ausgezählt worden. NETFLIX macht es aber gerade hochkarätigen Regisseuren und Darstellern immer leicht, ihre Traumprojekte ohne weiteres produzieren zu können. Für den Streaming-Dienst sind das schließlich die besten Werbeträger. Was also meist als High-Profile Filme dargeboten werden, sind meist nicht mehr als netter Zeitvertreib für Samstagabend, der mit dem Abo ohnehin schon bezahlt ist. THE OLD GUARD, TRIPLE FRONTIER und EXTRACTION sind in diesem Zuge extrem ansprechende Ausnahmen, bei denen sich BRUISED aber nicht einmal hinten anstellen braucht.

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Darsteller: Halle Berry, Shamier Anderson, Adan Canto, Sheila Atim, Stephen McKinley Henderson, Valentina Shevchenko u.a.
Regie: Halle Berry
Drehbuch: Michelle Rosenfarb
Kamera: Frank G. DeMarco, Joshua Reis
Bildschnitt: Jacob Craycroft, Terilyn A. Shropshire
Musik: ASKA
Produktionsdesign: Elizabeth J. Jones
Großbritannien – USA / 2020
129 Minuten

Bildrechte: NETFLIX
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