DISNEY + – 19.02.2021
Man darf sich nicht ausmalen, was mit einem Rasenmäher-Roboter passiert wäre. So gerät das Eichhörnchen im Vorgarten nur unter einen Roboter-Staubsauger, Typ Ulysses. Das zehnjährige Nachbarmädchen Flora kann sofort Erste-Hilfe leisten, und bringt den fortan Ulysses genannten Nager zurück ins Leben. Und wie das mit Nahtoderfahrungen so ist, die meisten Wiederbelebungen gehen mit dem Erlangen von Superkräfte einher. Und da sich bei dieser Romanverfilmung vordergründig viel um Superhelden und deren Kräfte dreht, ist das Schicksal wohl absehbar. Mit Abstand betrachtet, ist die Idee mit dem Staubsauger fast schon grandios. So grandios, weil es auf hinreißende Art die Ursprungsgeschichte anderer Superhelden karikieren würde. Aber weder die Geschichte, noch Lena Khans Inszenierung kann dies wirklich als treffende Satire nutzen. Es brennt herunter auf einen für Kinder gerechten Handlungspunkt, der als schlichter Fakt zu Asche zerfällt.
Ohne Zweifel ist FLORA & ULYSSES die Quintessenz dessen was man als Disney-Film bezeichnen würde. Eine unkomplizierte, aber fantastische Geschichte, keinen politischen Anspruch, junge bis jugendliche Helden, sehr viel Familienstimmung und natürlich als Kern eine moralische Botschaft. Kate DiCamillo hat das alles bereits in ihrem viel beachteten Buch vor gegeben. Nur hat sich Drehbuchautor Brad Copeland bei der Adaption ein klein verhoben, und kann Kate DiCamillo nur bedingt gerecht werden.
Man kann sagen was man will, und selbst mit vorgefertigter Meinung einen Film dieses Kalibers bewerten. Aber FLORA & ULYSSES ist einer der seltenen Filme, bei dem man selbst als Erwachsener, alleine in einem Raum, einige Male lauthals lachen muss. Und das passiert hauptsächlich bei Szenen, die sich vom tragenden Inhalt lösen, und rein eine unterhaltsame Atmosphäre schaffen. Der Humor ist gerade heraus, bei einigen Slapstick-Einlagen oft unerwartet, und nie Selbstzweck, sondern fundiert auf die Personen. Oder Nager. Egal was man als negative Kritikpunkte anführen möchte oder sollte, und da gibt es einiges, die pointierten Lacher alleine können die 95 Minuten bequem auffangen.
Floras Eltern haben sich getrennt, und das junge Mädchen glaubt mit dieser Situation umgehen zu können. Sie wird nicht müde zu betonen, dass sie Zynikerin ist. Flora erzählt uns ihre Geschichte selbst, und das mit einer unerschütterlichen Ernsthaftigkeit, dass sich umgehend die Frage auftut, ob ein Kind mit gerade einmal zehn Jahren den Begriff des Zynikers überhaupt richtig einordnen kann. Nichts was Flora in den 90 Minuten, ohne Abspann, macht oder sagt, ist oder klingt zynisch.
Da kommt dann Ulysses gerade recht. Das von ‚Framestore‘ unglaublich realistisch umgesetzte und perfekt integrierte Eichhörnchen bringt das Mädchen, und im Laufe der Geschichte natürlich auch die Eltern, wieder auf die Spur dessen, was es bedeutet eine Familie zu sein. Zusammengehalten wird diese weniger komplexe und eher einfach gehaltene Botschaft von Ulysses Wandlung zum Superhelden. Das klingt alles sehr weichgespült, verharmlost, oder auch albern und absehbar. Und das ist es auch. Mit einem großen ‚Aber‘.
Film-Buffs und Comic-Fans sind bei dieser Produktion überaus gefordert. Das Disney der Rechteinhaber fast aller popkulturellen Geldmaschinerien ist, wird hier reichlich genutzt. Da wird über die Kleidung bestimmter Superhelden philosophiert, Türklingeln spielen bekannte Filmmelodien, gezeichnete Helden können in Frage gestellt werden, und der Besitzer eines Comic-Ladens hat seinen Namen nicht von ungefähr. Wer mit einem kindgerechten Disneyfilm nicht richtig warm wird, hat wenigstens bezüglich seiner unzähligen Anspielungen und Äußerungen einiges woran er sich abarbeiten kann.
Mit den Jungdarstellern Matilda Lawler und Benjamin Evan Ainsworth hat man nicht die beste Auswahl getroffen. Ihnen fehlt dieses Maß an Natürlichkeit, um die Figuren notwendigerweise über die Geschichte zu heben. Sie enttäuschen nicht, und erfüllen, mit Verlaub, auch ihre Aufgabe. Doch wo Lawler viel zu losgelöst eine glaubwürdige Ernsthaftigkeit vermissen lässt, ist Ainsworth viel zu angestrengt dabei Schauspieler sein zu wollen.
Wohingegen Alyson Hannigan oder Ben Schwartz als getrenntes Elternpaar geradewegs auf den Punkt spielen. Ihr Timing ist nahezu perfekt. Sie wissen genau wieweit man einen Gag ausspielen kann, und wie lange man auch die leisen Töne wirken lassen muss. Eine maßgebliche Stärke des Films ist die Erdung dieser beiden Figuren, die trotz überzogener Handlungselemente immer ehrlich und nachvollziehbar zu ihren Charakteren stehen. Und deren Charaktere zu der Geschichte.
Hannigan als blockierte Schnulzenroman-Autorin, die unentwegt Ausreden für fehlende Inspiration erfindet, obwohl sie sich der eigentlichen Ursachen durchaus bewusst ist. Da ist nichts übertrieben oder konstruiert, sondern für diese Art von Familienunterhaltung eine echte Figur. Und da steht Schwartz als verkannter Comicbuch-Autor nicht nach, der mit seiner Unsicherheit wegen der Trennung merklich zu kämpfen hat, aber dennoch ein starker Vater sein will. Und das ist er auch, weil er insgeheim seine eigenen Träume nicht aufgeben kann. Selbst Danny Pudi, der als Archetyp des kindlich Bösen agieren muss, kann mit differenzierteren Nuancen überzeugen, die seine Klischee-Figur in ein leicht verändertes Licht von Schurken setzt.
Es hätte viel mehr Reiz gehabt, wären Ulysses‘ Fähigkeiten abstrakte Andeutungen geblieben, immer die Frage offen lassend, „ob er nun, oder doch nicht“. Am Ende verliert der Film seine Botschaft von Hoffnung und Vertrauen ein wenig im turbulenten Chaos des obligatorisch als Wettlauf gegen die Zeit gesetzten Showdowns. Aber seine subtilsten und stimmigsten, und damit einnehmendsten Szenen hat FLORA & ULYSSES ohnehin, wenn er sich davon löst, die Handlung als solche voranzutreiben. Und eine bereit liegende Packung M&Ms ist ratsam, wenn man aus gewissen Gründen plötzlich Heißhunger darauf verspüren sollte.
Darsteller: Matilda Lawler, Alyson Hannigan, Ben Schwartz, Anna Dearve Smith, Danny Pudi, Benjamin Evan Ainsworth, Kate Micucci Ulysses: John Kassir u.a.
Regie: Lena Khan
Drehbuch: Brad Copeland
nach dem Roman von Kate DiCamillo
Kamera: Andrew Dunn
Bildschnitt: Jamie Gross
Musik: Jake Monaco
Produktionsdesign: Michael Fitzgerald
USA / 2021
95 Minuten