Netflix – ab 29.01.2021
THE DIG
Eine reiche Witwe, die aus einem Baugefühl heraus, auf ihrem Land Ausgrabungen vornehmen lässt, und durch zwei Gesellschaftsschichten getrennte Menschen, die aus einer Leidenschaft heraus zueinander finden. Eine Geschichte die alle Möglichkeiten in sich trägt, und wie sie nicht klischeebeladener ausgedacht sein könnte. So möchte man meinen. Es versprüht förmlich die Ästhetik einer Merchant/Ivory-Produktion, und es würde einen nicht wundern wenn Emma Thompson und Tony Hopkins auf den Bildschirm erscheinen würden. Es sind aber Carey Mulligan und Ralph Fiennes, und das macht es sogar etwas spannender, ein bisschen unberechenbarer. Wenngleich der Ton und die Inszenierung ganz die Atmosphäre biederer Melodramen und englischer Zurückhaltung mit sich trägt. Was in keinster Weise abwertend aufgefasst werden darf.
Der Australier Simon Stone setzt seinen Film ruhig, aber bestimmt in Szene. Als Zuschauer ist man umgehend von der idyllischen Stimmung eingenommen, sie ist allerdings alles andere als gelassen. Mike Eley hat schon beispielsweise in UNITED 93 oder BEST EXOTIC MARIGOLD HOTEL die Grundstimmung der Handlung in den Bildern reflektiert. In der AUSGRABUNG ist es ein fast konstanter Gelbton der ausgeblichen scheint. Was zuerst heimelig wirkt, bekommt schnell einen unruhigen Charakter.
England bereitet sich auf einen zweiten, großen Krieg vor, als der selbsterlernte Archäologe Basil Brown in Sutton Hoo auf dem Grundstück von Edith Pretty auf deren Wunsch die Ausgrabung beginnt. Anfangs ist man sich als Zuschauer der Unterschiede im gesellschaftlichen Stand noch nicht bewusst, erst nach und nach wird es direkter und eindringlicher. Bis dahin hat aber die Erzählstruktur schon ganz geschickt aufgenommen und ausgespielt, was zwischen den beiden Hauptfiguren unausweichlich scheint.
Und weil Stone so geschickt Klischees andeutet und verwaschene Hinweise streut, entsteht ein elektrisierendes Umfeld innerhalb der vorgeschobenen Handlung. Erst viel später kristallisiert sich heraus, dass nicht alles so passieren muss, nur weil es möglich wäre. Die Ausgrabung ist natürlich erfolgreich. Die Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten, die Charaktere sind reale Figuren. Aber hinter diesem geschichtlichen Ereignis eröffnen sich so viel Facetten von zwischenmenschlichen Aspekten und leidgeprüfter Integrität.
Der Fund von Sutton Hoo hat die archäologische Welt auf den Kopf gestellt, und die Geschichtsschreibung zwischen der Spätantike und dem Frühmittelalter verändert. Das ist selbstredend ein Ereignis welches darum bettelt, zu einem spannenden Film adaptiert zu werden. Doch damit führt das sehr sensible Drehbuch von Moira Buffini den Beobachter hinters Licht, allerdings ohne ihn dabei zu betrügen. Denn das weit über tausend Jahre alte Boot in der Erde mag für die Handlung wie der Mittelpunkt erscheinen, das wahre Leben allerdings kreist um diesen herum.
Geprägt von ihrer Vergangenheit und angetrieben von einem bleibenden Vermächtnis, umkreisen sich auch Basil Brown und Edith Pretty. Sie suchen nicht sich, sondern sind ihre gegenseitige Motivation. Dazwischen das merowingische Schiff als Symbol für Beständigkeit und den Wert einer Vergangenheit mit Bedeutung.
Die Ausgrabung von Sutton Hoo hat die Geschichtsschreibung verändert, und genauso wird man rückblickend auch eine andere Wahrnehmung von Brown und Pretty bekommen. Das spielen Mulligan und Fiennes ganz hervorragend aus. Die Inszenierung führt die beiden nur sehr selten im Bild zusammen. Doch bei jedem von ihnen spürt man, wie er von der jeweils anderen Figur beeinflusst ist. Es ist keinesfalls ein Wettstreit, sondern harmonisch aufeinander wirkende Kräfte, die den Zuschauer für sich gewinnen.
Das die Geschichte unbedingt noch ein andere Beziehung zwischen zwei Archäologen einbringen muss, ist nicht ganz nachvollziehbar. Und das spricht keineswegs gegen die überzeugende, weil unaufdringliche und ehrliche Darstellung von Lily James und Ben Chaplin. Aber die Kraft und Leidenschaft, welche von Mulligan und Fiennes ausgeht, kann nur das Potential anderer Handlungselemente schmälern.
Das DIE AUSGRABUNG soviele Erinnerungen und Vergleiche zu den vergangenen Merchant /Ivory Produktionen zulässt, tut ihm ausgesprochen gut. Es ist selten, das ein Film mit soviel Ruhe und ohne dramaturgische Effekthascherei so spannend und in gewisser Weise auch aufregend sein kann. Es geht um Menschen, es geht um Gefühle, und es geht um Sehnsüchte, Ängste und Hoffnung. Es ist allerdings bemerkenswert und auch die große Stärke, dass die Inszenierung auf künstlich überhöhtes Melodram verzichtet, oder forciert auf die Tränendrüse drückt. Und dann reduzieren sich selbst zeitgeschichtliche Ereignisse auf eine Nebensächlichkeit.
Und warum sind dabei Carey Mulligan und Ralph Fiennes aufregender als Emma Thompson und Anthony Hopkins? Weil man einfach wissen möchte, ob sie mit der selben Natürlichkeit und Würde bestehen können. Das können sie, in diesem Schauspielkino par excellence.
Darsteller: Carey Mulligan, Ralph Fiennes, Lily James, Johnny Flynn, Ben Chaplin, Ken Scott, Archie Barnes, Monica Dolan u.a.
Regie: Simon Stone
Drehbuch: Moira Buffini
nach dem Roman von John Preston
Kamera: Mike Eley
Bildschnitt: Jon Harris
Musik: Stefan Gregory
Produktionsdesign: Maria Djurkovic
Großbritannien / 2021
112 Minuten