THE MAURITANIAN
– Bundesstart 10.06.2021
Zwei Monate nach den Anschlägen in New York und Washington wird 2001 Mohamedou Ould Slahi in seiner Heimat Mauretanien für eine Aussage auf ein Polizeirevier gebeten. Er wird entführt, verhört, gefoltert und im August 2002 nach Guantanamo gebracht. Jener zweifelhafte Ort, den die us-amerikanische Regierung als rechtsfreien Raum ansieht. Erst drei Jahre später wird Rechtsanwältin Nancy Hollander auf Slahi aufmerksam, und übernimmt seinen Rechtsbeistand. Mit einem Verfahren soll das Gericht gezwungen werden, endlich Anklage gegen ihren Mandanten zu erheben. Denn ohne Anklageerhebung könnte Mohamedou Ould Slahi nach Belieben interniert, verhört und weiter gefoltert werden.
Wer noch nie etwas von Slahi gehört hat wird überrascht sein. Es ist eine Tour de Force an Emotionen, die nicht nur auf der Leinwand von seiner Hauptfigur entfacht wird. Es überträgt sich ebenso stark, wenngleich nicht sehr differenziert, mit aller Wucht auf den Zuschauer. Denn auch wenn sich die Inszenierung von Kevin Macdonald alle Mühe gibt, Anfangs eine eventuelle Schuldfrage noch im Ungewissen zu lassen, fokussiert sich die emotionale Zuneigung klar auf Mohamedou Ould Slahi.
Allerdings wurde Guantanamo in der Vergangenheit als Begriff und in seiner Bedeutung weltweit zur Kenntnis genommen. Dabei hat sich der Armee-Stützpunkt als Synonym für drastische Beugung von Rechtsstaatlichkeit ins Gedächtnis gebrannt. Dadurch bekommt DER MAURETANIER diese Aura, als wäre er bereits aus der Zeit gefallen. Obwohl Slahis Guantanamo-Tagebücher erst 2015 veröffentlicht wurden, schleicht immer das Gefühl mit, Kevin Macdonald könnte nichts Neues erzählen.
Aus dieser Perspektive ist ein Blick auf das Martyrium aus diesem Lager vielleicht nichts Neues, aber selten so überzeugend vermittelt worden. Tahar Rahim als Mohamedou bildet einen beindruckenden, sehr unangenehmen Kern. Durch seine sehr intensive Interpretation der Figur, verkörpert Rahim auch die Seele der Menschlichkeit als solche, die an diesem Ort geschunden und gequält wurde. Wer die Geschichte Slahis nicht kennt, wird als Beobachter auch immer versucht bleiben ihn zu durchschauen. Es ist schließlich kein überholtes, ungerechtes Vorurteil, dass Terroristen für viele Eventualitäten gut trainiert sind.
Um dieses Camp, an dem jeglicher Humanismus verloren scheint, tobt ein kalter, pragmatischer Krieg aus Prinzipien, Engstirnigkeit und Opportunismus. Verteidigerin Hollander bekommt von der Regierung Bush im Rahmen der nationalen Sicherheit natürlich nur zensierte Akten. Doch ebenso ergeht es dem Rechtsvertreter des Staates Marine-Offizier Stuart Couch, der Slahi im Falle eines Verfahrens zur Verurteilung bringen soll. Mohamedou Ould Slahi wurde ein einziges Mal vom Telefon Osama Bin Ladens angerufen. Und ein Attentäter von 9/11 hatte auf der Durchreise lediglich ein paar Stunden bei Slahi übernachtet.
Zu keinem Zeitpunkt hat Slahi das verschwiegen, geschweige denn bestritten. Doch es genügt, um ihn als einen der Organisatoren für die Anschläge zu internieren, und zu versuchen von ihm weiterführende Informationen zu erhalten. Es entspinnt sich eine vollkommen absurde Situation. Mit den zurückgehaltenen Beweisen würde Hollander eine Anklageerhebung erreichen, und damit mit wahrscheinlich einen Freispruch für Slahi. Würde sich Couch hingegen in seiner Anklage auf diese Beweise stützen müssen, wäre der Fall für die Vereinigten Staaten so gut wie verloren.
In seiner Arbeit ging Kevin Macdonald keine Risiko ein, und inszenierte den MAURETANIER nach dem Vorlagenbuch für Thriller und Psychodramas. Die Grenzen zwischen vermeintlich Gut und Böse sind klar gesteckt, und beginnen sich nach dem Regelwerk der Dramaturgie erkenntlich aufzuweichen. Worunter ganz stark die Darsteller leiden, mit Ausnahme von Tahar Rahim, der sehr beeindruckend in allen Facetten überzeugt. Aber Foster, Woodley und Cumberbatch verlieren sich leider als Erklärbären für die juristischen Feinheiten und Fallstricke. Wobei es lediglich Cumberbatch schafft, mit seiner zurückhaltenden, aber nuancierten Körpersprache wesentlich mehr glaubwürdige Tiefe für seine Figur des Couch zu schaffen. Und für den Engländer kommt der tiefe Südstaaten-Akzent beeindruckend ehrlich über die Lippen. Nicht immer ganz sattelfest, aber eine Bereicherung für den Charakter, der ansonsten viel zu wenig gefordert wird.
Wirklich verunglückt scheint die ausgedehnte Sequenz der ‚erweiterten Verhörtechniken‘ an Mohamedou Slahi. Da ist definitiv zu viel von allem. Kameraeinstellungen, überzeichnete Farben, Geräuschuntermalung, Schnittfolge. Es ist nachvollziehbar, das die Macher mit vielen überfordernden Steigerungen ein nachfühlbares Schreckensszenario schaffen wollten. Allerdings hat es eher die Anmutung von Show und Effekthascherei.
Man kann dem MAURENTANIER aber nicht nehmen, dass er ein sehenswerter, aber vor allem wichtiger Film ist. Einer auf Wikileaks veröffentlichten internen Statistik, war Mohamedou Ould Slahi der am häufigste und stärksten gefolterte Insasse in Guantanamo Bay. 2009 wurde er per Gerichtsentscheid frei gesprochen. Die Titel im Abspann geben an, dass diesem Entscheid unter der Obama-Regierung nicht Folge geleistet wurde. Erst 2016 wurde Slahi aus Guantanamo entlassen und zurück nach Mauretanien gebracht. Allerdings verschweigt der Film, dass die Freilassung auf Barack Obamas persönliches Engagement erfolgte.
Darsteller: Tahar Rahim, Benedict Cumberbatch, Jodie Foster, Shailene Woodley, Zachary Levi, Alaa Safi, Stevel Marc, Adam Rothenberg, Corey Johnson u.a.
Regie: Kevin Macdonald
Drehbuch: Michael Bronner und Rory Haines & Sohrab Noshirvani
nach dem Buch von Mohamedou Ould Slahi
Kamera: Alwin H. Küchler
Bildschnitt: Justine Wright
Musik: Tom Hodge
Produktionsdesign: Michael Carlin
Großbritannien – USA / 2021
129 Minuten