CLIFFORD THE BIG RED DOG
– Bundesstart 02.12.2021
Vor fast sechzig Jahren kam Clifford auf die Welt, und er konnte nicht reden. Erst später lernte er sprechen, als das Fernsehen Serien über ihn machte und er in Kinofilmen zu sehen war. Das war gut, weil Kinder jetzt noch mehr Spaß mit Clifford hatten, und ihn noch lustiger fanden und mehr lernen konnten. Schon immer liebten die Kinder Clifford, weil er ihnen mit seinen tollen Abenteuern viel beibringt. Aber Norman Bridwell, das ist der Erfinder von Clifford, hatte nicht daran gedacht, dass seine Erfindung sprechen sollte. Jetzt ist Clifford schon fast sechzig Jahre alt, und er kommt schon wieder als Darsteller ins Kino. Doch jetzt kann er nicht mehr sprechen. Und das ist noch viel besser. Ganz so, wie Norman Bridwell es sich damals ausgedacht hat. Damals, als ein Buchverleger eine einzelne Zeichnung von Bridwell sah, und eine ganze Geschichte davon haben wollte. Es war die Zeichnung eines jungen Mädchens, das vor einem Hund mit rotem Fell steht. Und der Hund ist zweimal so groß wie sie.
Achtzig Bücher sind daraus entstanden. Und als 2017 Silvertongue Films nach langem Planungen und Verwerfungen die Produktion begann, wollte man wieder den Kern der Bücher verstärkt aufgreifen. Clifford, der große rote Hund, sollte nicht mehr reden können, sondern viel mehr aus der Sicht seines Mädchens Emily erzählen. Und es war zweifellos die auffallendste und beste Entscheidung der Macher. Denn bei dieser Sorte Kinder- und Familienfilm gibt es ermüdend viele sprechende Hunde, und das ist schon lange nicht mehr witzig, geschweige denn originell.
Die neue Inkarnation des Verkaufsschlagers und gleichsamen Maskottchens des Scholastic Corporation Verlages, beginnt mit der neunjährigen Emily. Die wird auf ihrer Elite-Schule wegen ihres Stipendiums als arm bezeichnet und deswegen bösartig herablassend behandelt. Das wird anfänglich ziemlich gut dargestellt, denn Emily geht ausgezeichnet souverän damit um „Rabattmarke“ genannt zu werden. Und Darby Camp ist dafür die perfekte Darstellerin, weil sie sehr glaubwürdig das All-American-Girl verkörpert, welches sich durch zu beißen versteht.
Bis sich die Regie dazu entschließt, Emilys Charakter umzudrehen, und sie zu einer verletzten, kaum noch selbstsicheren Person zu machen. Aber nur weil es die simple Dramaturgie verlangt. Denn hier kommt der Film an den Kern von Geschichte und Aussage. Selbst ein mohnroter Hund macht diesen Film zu keiner fantastischen Reise nach Narnia, und ein 4 Meter großer Hund führt nicht über Gleis 9 3/4 nach Hogwarts. Denn wie der Name von Produzent Scholastic Corporation vorweg nimmt, liegt der Anspruch in erzieherischen und pädagogischen Erzählungen.
CLIFFORD ist auf seine ganz eigene Weise magisch. Ohne viel zu verraten, wird Emily auf den winzigen, roten Welpen bei einer Gelegenheit aufmerksam, die durchaus als Verbeugung vor Harry Potter und Doctor Whos Tardis zu verstehen ist. Aber wie der wundersame Mr. Bridwell meint, wird Clifford noch wachsen. Und wie viel dieser wachsen wird, hängt davon ab, wie sehr man ihn liebt. Der wundersame Mr. Bridwell ist keine Figur aus den Büchern, aber als kleine Metaebene eine Danksagung an den Clifford-Schöpfer Norman Bridwell. Der den großen roten Hund nach dem imaginären Freund aus den Kindstagen seiner Frau benannte.
Wie sehr Emily ihren neuen, tierischen Freund wirklich lieb hat, sieht man dann am nächsten Tag, und hat zur Folge, dass das Leben vieler Menschen nicht mehr dasselbe sein wird. Er rettet Leben, bringt Leute zusammen, lehrt anderen Demut, und schenkt seiner Emily nicht nur Selbstbewusstsein, sondern bringt ihr durch sein ungestümes Verhalten auch moralische Verantwortung bei. Und im Park spielt er gerne mit Menschen in aufblasbaren Bubbleballs. Eine brüllend komische Szene, die sich eindeutig als markanteste Pointe des Films beweist.
Das CLIFFORD mit vielen bekannten Elementen und leicht zuordenbaren Hindernissen funktioniert, um seine Botschaften zu vermitteln, sollte wirklich keine Überraschung sein. Es geht nicht um die Originalität der Geschichte, sondern wie viel zuschauende Kinder daraus mitnehmen werden. Wie andere Familienfilmen auch, versucht CLIFFORD eine hierarchische Trennung zwischen den Altersgruppen aufzuweichen. Im gelingt aber in weiten Teilen nicht die Gewichtung von Humor und erzieherischen Anspruch harmonisch zu halten. So ist zum Beispiel das kurze Geplänkel wegen des Messens der Temperatur beim Tierarzt wirklich komisch, aber für die Kleineren leicht fragwürdig.
Wenngleich der titelgebende Hund nicht nur zuckersüß, sondern auch sehr glaubhaft entworfen und animiert wurde, mag er sich aber nicht so richtig in die realen Bilder einfügen. Man kann nicht sagen, dass er fremd in der Szenerie wirkt, aber man bemerkt das nachträgliche Einfügen, und auch dass die Darsteller nicht wirklich mit etwas wirklich greifbaren während der Dreharbeiten konfrontiert waren. Auch die Größenverhältnisse scheinen nach Belieben zu variieren. Selbst bei einem hollywoodmäßig schmalen Budget von 65 Millionen Dollar, hat man schon wesentlich überzeugendere Animationen bei billigeren Filmen erleben dürfen.
Machen diese Betrachtungen aus CLIFFORD einen schlechten Film? Auf keinen Fall, man muss den großen roten Hund als das begreifen, was er tatsächlich ist: Eine Metapher. Clifford als Metapher für das Ungezwungene, das Lebhafte, der unbändige Drang sich nicht zu unterwerfen, aber einvernehmlich zu bleiben. Der Hund gehorcht nicht immer, aber er zeigt Respekt, lernt Verantwortung, und steht nicht nur für sich, sondern auch für andere ein. Das nimmt Emily aus der Beziehung zu ihrem Hund mit ins Leben.
Demnach wird CLIFFORD seinem Anspruch gerecht. Und er ist verdammt unterhaltsam. Natürlich wird man als Erwachsener immer wieder über einige plumpe und naive Versatzstücke die Augen rollen. Aber keiner dieser Erwachsenen kann sagen, dass er sich nicht unterhalten hätte. Denn Regisseur Walt Becker hat seinen Film rasant und kurzweilig inszeniert, bleibt nie Applaus heischend an seinen Witzen hängen, und zeigt sich besonders in den Details extrem inspiriert.
Darsteller: Darby Camp, Jack Whitehall, Izaac Wang, Sienna Guillory, Tony Hale, David Alan Grier und John Cleese u.a.
Regie: Walt Becker
Drehbuch: Jay Scherick & David Ronn und Blaise Hemingway
Kamera: Peter Lyons Collister
Bildschnitt: Sabrina Plisco
Musik: John Debney
Produktionsdesign: Naomi Shohan
Großbritannien – Kanada – USA / 2021
96 Minuten