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Erst wenn der Protagonist in den Krieg zieht, wird den meisten Leuten anhand des Namensabzeichens auf der Uniform auffallen, dass bis dahin nie der Rollenname von Tom Holland genannt wurde. Und dann wird einem auch nicht entgehen, dass es für den Rest des Filmes so bleiben wird. Einen Film so zu inszenieren, ist schon ein kleines Kunststück für sich. Ein kleines Kunststück, welches sich harmonisch in eine ganze Reihe unterschiedlich anspruchsvoller Kunststücke fügt. Eigentlich mit absurden Komödienserien bekannt geworden, haben sich die Brüder Anthony und Joe mit den, vielleicht nicht besten, aber wichtigsten Filmen im Marvel Cinematic Universe an die Spitze des Mainstream-Kinos gewuchtet. Mit der Reputation und Rückendeckung durch diese Erfolge, können die Brüder nunmehr sehr wählerisch agieren. Und CHERRY wirkt dabei wie ein Befreiungsschlag.

In den Augen und den Händen von den Russos bedeutet so ein Befreiungsschlag keineswegs verdrängen oder brechen mit den Nährboden ihres weltweiten Bekanntheitsgrades. Im Gegenteil, weil sie exakt mit den Mechanismen und dem Produktionsaufwand eines Hollywood-Blockbusters, einen eigentlich sehr intimen Film inszeniert haben. Bei all den herausragend gezeichneten Nebenfiguren und vielfach wechselnden Schauplätzen, verlieren sie niemals den Fokus auf Tom Hollands Charakter.

Genau genommen erzählen die Russo-Brüder mit CHERRY drei Geschichten, die von Schwester Angela Russo-Otstot und Jessica Goldberg adaptiert wurden, nach dem autobiografischen Roman von Nico Walker. Wie man anhand der stolzen Laufzeit von 150 Minuten erahnen kann, hat dieser einiges zu erzählen. Es teilt sich in Cherrys Studienzeit und seine Liebe zu Emily, gefolgt vom Lebensabschnitt im traumatisierenden Afghanistankrieg, und schließlich der Absturz in die Drogenabhängigkeit mit den spektakulären Kapriolen Geld zu beschaffen.

Holland trägt diesen Film. Man könnte in leichter Übertreibung sagen, er ist dieser Film. Aber genau das trägt auch tendenziell leichte Mängel. Tom Holland ist gerade als All-American-Boy auf der einen Seite die perfekte Besetzung, auf der anderen Seite verliert er dabei etwas an charakterlicher Bandbreite. Er ist immer freundlich, bescheiden und in gewisser Weise besonnen. Selbst wenn seine Frau ausflippt, weil sie bei sich schon keine Vene mehr findet, redet er beruhigend auf sie ein und setzt ihr den Schuss. Eine tragische Verzerrung des perfekten Schwiegersohnes.

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Es ist nicht selten, das Filmemacher die Ton- oder Bildebene zu einem zusätzlichen Erzählelement erhöhen. Es sind Stilmittel, die sich im Übereifer der Ambition selbst im Weg stehen können, oder aber dem Beobachter ein viel intensiveres Spektrum der Geschichte eröffnen. Das Drehbuch unterteilt die Erzählung der drei Lebensabschnitte in sechs Kapitel, mit Epilog. Und die beiden Regisseure inszenieren jedes dieser Kapitel mit eigener Tonalität in Bildführung und Ausstattung, wechseln immer wieder das Bildformat, und wechseln auch sehr behutsam das Makeup-Design. Das lenkt nicht ab, oder überfordert, sondern bringt eine besondere Spannung ins Narrativ, ohne dramaturgische Überhöhungen bemühen zu müssen.

Was man vielleicht vermissen könnte, ist eine stringentere, vielleicht auch radikalere Umsetzung mit den inhaltlichen Themen von Posttraumatischer Belastungsstörung, Drogenabhängigkeit und unfreiwilliger, krimineller Karriere. Es gibt viele filmischen Exkursionen, die den menschlichen Absturz und das unfassbare Leid in solchen Zusammenhängen zelebrieren. Aber die Russos zelebrieren mit CHERRY viel lieber das Leben und die Macht von charakterlicher Stärke. Und die Kraft der Liebe.

Es ist wie der berüchtigte Januskopf. Mit 150 Minuten ist CHERRY definitiv zu lang. Das müssen sich die Brüder an Kritik gefallen lassen. Betrachtet man aber eventuellen Möglichkeiten die Erzählung zu straffen, oder gar Handlungselemente zu kürzen, wird es kompliziert. Denn CHERRY wird nur auf dieser Strecke, in diesem Umfang, seiner Geschichte und dem Charakter, und damit der Person Nico Walker wirklich gerecht. Und so nebenbei gibt es auch noch viel mehr zu entdecken, wenn man offenen Auges durch den Film geführt wird. Wie zum Beispiel die diversen Geldinstitute und ihre namentliche Charakterisierung. Versteckter Humor, aber auch gesellschaftskritischer Kommentar.

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Darsteller: Tom Holland, Ciara Bravo, Jack Reynor, Michael Rispoli, Jeff Wahlberg, Damon Wayans Jr., Forrest Goodluck u.a.
Regie: Anthony Russo, Joe Russo
Drehbuch: Angela Russo-Otstot, Jessica Goldberg
Kamera: Newton Thomas Sigel
Bildschnitt: Jeff Groth
Musik: Henry Jackman
Produktionsdesign: Philip Ivey
USA / 2021
150 Minuten

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