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Irgendwo angesiedelt zwischen den Sub-Genres, die nicht wirklich eine konkrete Nomenklatur haben, tummelt sich ALONE als minimalistischer Beitrag, der Effizienz einem überladenen Handlungsverlauf vorzieht. Und das funktioniert ausgezeichnet, solange es Regisseur John Hyams gelingt abgedroschene Versatzstücke auszuhebeln, oder zu konterkarieren. Bei allen merklichen Bemühungen ist ihm das aber nur bedingt möglich gewesen. In der Schnittmenge von Rape & Revenge, Survival-Thriller oder Backwood Slasher, Filme die nur mit englischen Begriffen ebenso griffig klingen, wird ALONE wirklich heimisch. Eine Frau alleine auf den endlosen Straßen durch das amerikanische Hinterland. Man kennt weder die Beweggründe ihres offensichtlichen Umzuges, noch ihr angestrebtes Ziel.
Der Beweggrund des ‚Mannes‘, wie er im Abspann genannt wird, und sein angestrebtes Ziel ist hingegen bekannt bevor der Film überhaupt angefangen hat. Es ist einer dieser Filme, bei denen durch Plakat und Schlagzeile alleine, ganz klar das Zielpublikum angesprochen und motiviert wird. Was entsteht ist eine Erwartungshaltung auf den ganz besonderen Kniff, am Ende vielleicht dem filmischen Deus ex Machina. Denn ALONE braucht sehr viel Zeit sich aufzubauen, bevor er überhaupt erst einmal beginnt mit dem eigentlichen Kern der Handlung zu spielen.
Zu lange, wenn man bedenkt, dass der durchschnittliche Zuschauer die Prämisse ohnehin kennt. In diesem ersten Drittel werden einige Hinweise gestreut, die erst einmal unbedeutend scheinen. Der ‚Mann‘ tritt zeitig in Erscheinung, aber außer handelsüblicher Standardsituationen, gibt es kaum Momente die Spannung erzeugen, oder in ihrer Inszenierung überraschen. Das Problem aber ist, dass es der verwöhnte Zuschauer erwartet überrascht zu werden. Ein kleiner Beitrag dazu wäre die absurde Gesichtsbehaarung von Marc Menchaca. Welche dramaturgischen Tiefen sich die Macher davon erhofften bleibt rätselhaft.
Vielleicht liegt es daran, das Autor Mattias Olsson sich zu akribisch an sein eigenes Drehbuch hält, welches er für den kaum beachteten Schweden-Thriller NIGHT HUNT- FÖRSVUNNEN 2011 geschrieben hat. Der ‚Mann‘, später erfahren wir, dass sein Name eigentlich Sam ist, hat als Antagonist nichts bemerkenswertes, was ihn aus der Vielzahl geistig gestörter Hinterwäldler-Psychopathen heraushebt. Marc Menchaca kann ihn gut verkörpern, und spielt seinen Möglichkeiten entsprechend. Aber diese Möglichkeit sind nicht durch sein Talent eingeschränkt, sondern durch die fehlende Inspiration einen solchen Charakter noch interessant, beängstigend, oder sogar verführerisch zu gestalten.
So enttäuscht der Film erst einmal, weil die anfänglich aufgebaute Atmosphäre wenig zum Handlungsbogen selbst beiträgt. Bei aller Unlogik, die solche Filme mitführen müssen, fällt Olsson als Autoren und Hyams als Regisseur kaum eine geniale Wendung ein. Das Aussitzen der Gefahr des Opfers. Die sicher scheinende Rettung, die durch Unfähigkeit zunichte gemacht wird. Selbst der Smartphone-Empfang, der immer dann gestört ist, wenn es der Spannungsmoment benötigt.
Das alles kennt der versierte Genre-Freund, und ebendieser hat es auch schon vielfach gesehen. John Hyams kennt diese Art von Film, und er kann mit dem Material umgehen. ALONE hat Spannung, hat einige Fingernägel-kau Augenblicke und Oh-Nein Momente. Aber im Gesamtpaket hat es jener versierte Genre-Freund schon ebenso vielfach besser, intelligenter und origineller gesehen.
Und doch gibt es diese Aspekte, welche ALONE trotz inszenatorischer Mängel über das Mittelmaß heben. Und das ist zum einen ein sehr inspirierter und überraschend einfallsreicher Showdown, den man in dieser Ausführung tatsächlich noch nicht gesehen hat. und der ausnahmsweise einmal nicht vorhersehbar war. Und dann natürlich eine im Geschäft überraschenderweise unterrepräsentierte Jules Willcox. Als leidgeprüfte Jessica transportiert sie ihr melancholisches Gemüt sowie ihre Verletzlichkeit genauso naturalistisch, wie ihren erstarkenden Überlebenswillen.
Willcox ist nicht eine willkürliche Power-Frau, sondern arbeitet sich langsam, erst ängstlich und schließlich forsch an ihren Möglichkeiten hoch. Dabei kann sie nie leugnen, das auch eine permanente Panik auf ihrer immer wieder scheiternden Flucht vor dem ‚Mann‘, sozusagen als Fluchthelfer dient. So wird nicht der Charakter, sondern die Darstellerin zum wichtigsten Faktor in diesem Thriller. Und weswegen er trotz merklicher Defizite sehenswert bleibt.
Darsteller: Jules Willcox, Marc Menchaca, Anthony Heald, Jonathan Rosenthal u.a.
Regie: John Hyams
Drehbuch: Mattias Olsson
Kamera: Federico Verardi
Bildschnitt: John Hyams, Scott Roon
Musik: Nima Fakhara
Produktionsdesign: Cait Pantano
USA / 2020
98 Minuten