THE MORTUARY – Jeder Tod hat eine Geschichte

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– Bundesstart 29.10.2020

Das Schlechte gleich einmal vorne weg. Mit seinem ersten Langfilm wollte es Ryan Spindell wohl jedem Recht machen. Das kann funktionieren, kann aber auch Fragen aufwerfen. Zum Beispiel diese: Musste ein derart hoher Blutgehalt unbedingt sein? Nichts zwangsläufig. Denn die durchaus sehr expliziten Szenen sind dünn gesät, und können ein unvorbelastetes Gemüt leicht aus der Komfortzone der angenehm schaurigen Gruselstimmung reißen. Spindell hätte gut daran getan, den Splatter-Faktor entweder behutsam anzuheben, oder in gleichmäßigen, kontinuierlichen Dosen zu verabreichen. So setzen die Blutszenen immer sehr unvermittelt ein und verebben sofort wieder, um später erneut unerwartet zuzuschlagen. Den versierten Anhänger wird es begeistern, aber nicht genügen. Zartbesaitete werden irritiert und abgeschreckt sein.

Eine Trauergesellschaft hat gerade das Beerdigungsinstitut von Raven’s End verlassen, als Bestatter Montgomery Dark die junge Sam am Sarg des kürzlich Verblichenen entdeckt. Das vorlaute Mädchen möchte sich um eine Stelle bewerben. Das verläuft allerdings anders, als andere Vorstellungsgespräche. In dessen Verlauf muss der unheimliche Mister Dark der Aspirantin einige Geschichten erzählen. Denn jeder Leichnam hat so seine Geschichte.

Da ist die Trickbetrügerin Emma, die sich in einem Badezimmer eingeschlossen, selber eine Falle gestellt hat. Oder der Mädchenschwarm Jake, der Sandra als die Neue an seiner Universität gleich zu einer Party einlädt, und am eigenen Leib erfahren muss, das Kondome wirklich schützen. Nicht zu vergessen Wendell, der daran verzweifelt sich um seine komatöse Frau zu kümmern, während er deswegen in Schulden zu ersticken droht. Sam zeigt sich sehr beeindruckt von Montgomery Darks Erzählungen, kann aber selbst mit einer Geschichte kontern. Denn die moderne Legende vom Babysitter-Mörder wird niemals alt, und wird immer wieder gern erzählt.

Es gibt ganz wenige Jump-Scares, und selbst die sind so angelegt, dass sie mehr die Protagonisten erschrecken sollen, als den Beobachter. Spindell scheint es auch nicht nötig zu haben, den einfachen, billigen Gelüsten nachgehen zu wollen. Offensichtlich und spürbar setzt er ganz auf die selten gelungene Kunst von Atmosphäre. Ganz sicher ist der Regiedebütant keiner vom schnellen Erfolg durch unoriginelles Plagiat, in irriger Meinung besser zu sein. THE MORTUARY reiht sich ein in eine sehr kurze Liste von modernen Gruselstreifen die ihr Handwerk nicht einfach nur verstehen, sondern mit innovativer Variation wirklich Laune ins Genre bringen.

Der Film überzeugt erst einmal mit einer ganzen Reihe größtenteils frischer Gesichter, die perfekt nach dem Stereotyp der zu erzählenden Geschichte besetzt sind. Die forsch vorlaute Caitlin Custer führt dabei natürlich mit ihrem einnehmenden Wesen die Riege an. Den besten Eindruck hinterlässt allerdings Mike C. Nelson als unter extremen emotionalen Druck stehender Ehemann, der immer tiefer in die Misere rutscht, je verzweifelter er versucht daraus zu entkommen. Man leidet richtig gehend mit diesem Mann, den man am liebsten nur drücken möchte, egal welch schrecklichen Dinge er tut.

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Zeit seiner Karriere ist Clancy Brown auf den Widerling festgelegt. Hier darf er endlich einmal, mit sichtlichem Genuss und spielerischer Freude mit seinem Typus brechen. In bester Tradition des klassischen Horrorfilms gibt er den undurchsichtigen und mit allem Formaldehyd gedrängten Bestatter, der den Spagat zwischen gestrengem Freund und abgründigen Fiesling mit Esprit meistert. Brown und Custer spielen die Rahmenhandlung zu den drei geschichtlich voneinander getrennten Episoden. Wobei die vierte und letzte Geschichte ebenso eigenständig gesehen werden kann, aber als Brücke zum abschließenden Teil der Rahmenhandlung dient.

Eine wesentlicher Teil der Besonderheiten nimmt das Produktionsdesign für sich in Anspruch. Mit Bravour mischt es anachronistisch Set Design, Ausstattung und sogar gesellschaftliche Normen zwischen den 1950er und ’80ern. Dieser wilde Mix trägt auch einiges zur schaurig, gruseligen Atmosphäre bei. Denn der begierige Betrachter kann sich anhand der optischen Einflüsse mit seinen Gefühlen nie richtig behütet fühlen. Dazu zählt natürlich auch das hervorragend schräge Farbkonzept, bei dem die Kolorierungen immer etwas leicht von den normalen Grundtönen abweichen.

Auch wenn MORTUARY viel mehr bietet, machen diese künstlerischen Entscheidungen schon sehr viel Freude. Da alle Geschichten in dem Küstenstädtchen Raven’s End spielen, gibt es auch hin und wieder Figuren, die außer in ihrer eigenen Geschichte, auch Statistenrollen in den anderen, unabhängig voneinander handelten Episoden inne haben. Ryan Spindell hat tatsächlich einen der ganz wenigen, kaum noch inszenierten Horrorfilme geschaffen, der mit seiner verspielten Lust am Genre jeden Fan Spaß bereiten dürfte.

Wie sein Produktionsdesign, deckt auch die Inszenierung weitgehend die ganze Palette an Klischees, Innovationsfreude, Grusel- und Schreckensmomenten ab. Einschließlich vom absehbaren bis überraschenden Entsetzen, zwischen grausamer Ironie und vergnüglichen Horror. Das sollte an gönnerhaften Worten genug sein, denn da ist immer noch die Frage nach dem Splatter-Faktor, und ob der so explizit sein musste. – Mal ehrlich, es tut arg weh hinzusehen, aber auch das findet seine Berechtigung.

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Darsteller: Clancy Brown, Caitlin Custer, Mike C. Nelson, Christine Kilmer, Jacob Elordi, Barak Hardley, Ema Horvath, Sarah Hay, Jennifer Irwin, James Bachman u.a.
Regie & Drehbuch: Ryan Spindell
Kamera: Caleb Heymann, Elie Smolkin
Bildschnitt: Eric Ekman, Joseph Shahood
Musik: Mondo Boys
Produktionsdesign: Lauren Fitzsimmons
USA / 2019
109 Minuten

Bildrechte: CAPELIGHT PICTURES
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