Bildrechte: WARNER BROS.
150 Minuten
Großbritannien – USA / 2020
Produktionsdesign: Nathan Crowley
Bildschnitt: Jennifer Lame
Musik: Ludwig Göransson
Bildschnitt: Jennifer Lame
Kamera: Hoyte Van Hoytema
Regie & Drehbuch: Christopher Nolan
Darsteller: John David Washington, Robert Pattinson, Elizabeth Debicki, Kenneth Branagh, Clémency Poésy, Aaron Taylor-Johnson, Michael Caine u.a.
„Versuchen sie nicht es zu verstehen. Fühlen sie es.“ – Laura
Welch unvorstellbare Last auf dem jüngsten Geniestreich von Christopher Nolan liegt. Der Heilsbringer des Kinos weltweit. Dem Druck konnte der britische Regisseur standhalten. Aber konnte sein jüngster von nun elf Spielfilmen der Erwartungen gerecht werden. Ein ganz klares Nein. Christopher Nolan hat das getan, was er immer tut, sein Ding. Unbeeinflusst von Kritik und Akzeptanz, unbeeindruckt von Erwartungshaltung und Erfolg. Zugegeben, Attribute wie unbeeinflusst oder unbeeindruckt, sind rein spekulative Äußerungen, die einfach zu gut zu dem Mythos eines Mannes passen würden, der es sich einfach leistet, ganz stringent nur sein Ding zu machen. Seine letzte Auftragsarbeit war zugleich sein dritter Film, und ist 18 Jahre her. Und zwischen damals und dem jüngsten Werk, liegt eine unglaubliche Karriere. Musste er da nicht automatisch auch einmal scheitern? Genau das ist das Problem. Christopher Nolan ist mit TENET nicht gescheitert. TENET kann als Film nur einfach nicht halten, was sich unzählige Menschen außerhalb dieses Projektes selbst versprochen haben.
Schon beim Einstieg könnte man auf den Gedanken kommen, James Bond bei einem Rave zu erleben. Alles was von kreativer Seite einen Film ausmacht, kommt zum maximal effizienten Einsatz. Ton, Kameraführung, Schnitt, Musik, und ein nicht zu widerstehender Rhythmus. Pre-Title Sequence mit Einführung und anschließender Exposition des Protagonisten. Christopher Nolan macht keinen Hehl daraus, dass er für diesen, seinen eigenen Spionage Thriller, die James Bond-Filme als Vorbild sah, auch für die Nonchalance seines Protagonisten. Aber er wollte keinen dieser Filme machen, sondern die Idee dafür viel weiter spinnen. So wie er mit seinem Bruder Jonathan und David Goyer die Neuinterpretation von BATMAN aus der Enge von Vorurteilen gegenüber Comicverfilmungen heraus hob. Nicht in dem er dem Genre und den Strukturen der Vorlage und Comics im Allgemeinen abschwor, sondern diese noch intensiver auf ihre Essenz hin öffnete. Oder damals, als er vor 18 Jahren mit seinem dritten Spielfilm, seiner gleichzeitig vorerst letzten Auftragsarbeit INSOMNIA, einen raffinierten Cop-Thriller in ein unerwartet fesselndes Psychogram wandelte, ohne das Genre des Thrillers wirklich zu verlassen oder aufzuweichen. So ist auch TENET letztendlich kein James Bond-Film geworden. Die Parallelen könnte man ziehen, aber ein schlüssiger Vergleich würde immer wieder wegen TENETs eigener Kreativität in die entgegengesetzte Richtung laufen.
Die Branche hat in veränderten Zeiten auf ein Zeichen gewartet. Viele Branchen waren, und sind noch immer im Umbruch. Nicht wenige werden sie sich verändern, vielleicht auch auflösen. Zumindest die Strukturen haben sich bereits grundlegend gewandelt. Die Hilflosigkeit der Filmindustrie schrie herunter von unbespielten Leinwänden und aus leeren Studios heraus. Ähnlich dem Protagonisten im Film, war die Branche mit der Wirkung konfrontiert, bevor die Ursache überhaupt deutlich wurde. Diese Analogie mag nun an den Haaren herbei gezogen scheinen, aber sie bot sich an. Vielleicht sollte man nicht versuchen es zu verstehen, sondern es fühlen. So wie es der Protagonist im Film tut, der einfach nicht verstehen muss, aber agieren kann. Christopher Nolan war in diesem Fall der Protagonist in der realen Welt. John David Washingtons Charakter in TENET wird tatsächlich nur der Protagonist genannt. Damit wird er im Geschehen nicht reduziert, sondern kann sich allem überordnen. Obwohl die Filmwelt unvermittelt zum Halt kam, war sicher, dass im implodierten Blockbuster-Summer ein Mann genügend kreative, aber auch vertragliche Freiheit hatte, die Zeit umzukehren. Wer nun wie, wann, was und wem diktierte, wird als reine Spekulation übrig bleiben. Oder es führt zum unweigerlichen Mindfuck, über den unglaublich viel diskutiert werden kann. Wobei es natürlich diebische Freude bereitet, wenn man aus einem Film mehr als nur reine Unterhaltung mitnehmen kann, und sich dazu ein komplexes Gedankenspiel entwickelt. Sicher ist, dass Nolan als unverrückbarer Verfechter des klassischen Kinos seinen Film nicht verramschen lassen würde und im Kino bringen wollte. Es ist alles andere als ein Mindfuck, dass sich Warner Bros. auf etwas einließ, was eher einem Experiment glich, anstatt gesundem Geschäftssinn. Seit INSOMNIA ein zuverlässiger und konstruktiver Partner von Christopher Nolan, musste Warner aber auch für sich eine kleine, feine Wendung im Handlungsverlauf gesehen haben.
Das Christopher Nolan mit einer erneuten cineastischen Extravaganz zwangsläufig gewinnen muss, bleibt dabei zweifelhaft. War das Spiel mit der Zeit in MEMENTO noch innovativ spektakulär, flog das Publikum 14 Jahre später bei INTERSTELLAR gedanklich in ein schwarzes Loch. Wobei sich Christopher zusammen mit seinem Bruder Jonathan Rückendeckung bei Physiker und Nobelpreisträger Kip Thorne geholt hatten. Vielleicht war es das, was den Film noch schwieriger machte. Zu viele Möglichkeiten, für zu wenig Verstand. Was auf keinen Fall despektierlich sein soll. Doch die Mehrzahl der Zuschauer dürfte wohl kaum in Physik promoviert haben. Hier setzte also der Mindfuck ein, der bei MEMENTO noch durch einfaches Nacherzählen lösbar war. Das hier lautstark insistierte Neudeutsch für das Gedankenverwirrspiel ist lange nichts neues im Film. Wobei sich der derb englische Begriff erst Anfang des neuen Jahrtausends etablierte. Wobei schlaue Köpfe in dieser Beziehung gerne schon einmal Luis Buñuel vorschieben, der ohne offensichtlichen Grund einen Charakter von zwei verschiedenen Frauen spielen ließ. INTERSTELLAR erklärt durchaus, wie es sich fügt, dass sich Matthew McConaughy aus der Zukunft selbst eine Nachricht schickt, um sich auch selbst auf eine Reise zu begeben, damit er sich eben diese Nachricht schicken kann. Jawohl, da ist er wieder, der Mindfuck. Nur weil es erklärt wurde, muss es nicht verstanden werden.
Das Christopher Nolan seine Verwirrspiele immer weiter treiben würde, war abzusehen. An Fragmenten und Ideen für TENET arbeitete er schon seit Jahren, länger als an einem seiner vorangegangen Filme. Und das auch hier die Zeit das tragende Element ist, kann eben von gewisser negativer Akzeptanz geprägt sein. Noch immer streiten einige Leute, ob sich der Kreisel noch dreht. Wobei das Konzept einer gegenläufigen Zeitlinie, welche parallel zu unserem gewöhnlichen Zeitempfinden geschieht, nicht einfach nur spannend klingt, sondern immense Begehrlichkeiten weckt. Das sieht alles phänomenal aus, aber kann daraus eine glaubhaft, nachvollziehbare Geschichte entstehen? Warner Bros. schlägt damit ein paar Fliegen mehr. Sie sind konkurrenzlos die Ersten im Feld der Blockbuster. Auch die Situation könnte sich erneut, und damit viel tiefgreifender verschärfen. Dazu kann der Markt an diesem Beispiel besser ausgetestet werden. Nebenher können Verpflichtungen eingehalten werden, und es intensiviert die Beziehung zum besten Pferd im Stall. Dank fehlender Alternativen, muss TENET auch nicht besser, oder zumindest genauso gelungen sein, wie andere Werke aus Christopher Nolans Schaffen.
– Bundesstart 26.08.2020
TENET
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