STILL HERE – Bundesstart 27.08.2020
Was Vlad Feier mit seinem Mix aus Drama und Thriller wirklich aussagen wollte, bleibt für die gesamten 99 Minuten Laufzeit ein frei interpretierbares Rätsel. Nach eigenen Aussagen strebte der Filmemacher eine Dokumentation über vermisste und missbrauchte Kinder an. Seine Vorliebe für düstere und unangenehme Themen zeigt ein Querschnitt seiner bisherigen Kurzfilme. Mit wesentlich mehr Produktionsmitteln begünstigt, lag ihm dann eine nach seinen Vorstellungen gestaltete Geschichte näher, wie er selbst im Pressetext zitiert wird. Das Anliegen ehrt den fast Vierzigjährigen. Aber abendfüllende Spielfilme folgen einer anderen Dynamik als Kurzfilme, und Dokumentationen sind dabei gleich eine ganz andere Liga. Für beide ihr Langfilmdebut, haben Mitautor Peter Gutter und Vlad Feier alles in STILL HERE gepackt was ein Drama um vermisste Kinder ausmacht.
Seit acht Tagen ist Monique Watson verschwunden, zwölf Jahre alt und Afro-Amerikanerin. Moniques Familie erfährt von der New Yorker Polizei wenig Unterstützung. Für eine schwarze Familie aus einem rein schwarzen Viertel nicht ungewöhnlich, treibt den hilflosen Vater Michael aber zur Verzweiflung. Auf die Geschichte angesetzt, beginnt Reporter Christian Baker zu recherchieren. Angetrieben durch eine scheinbar offene Rechnung gegenüber der Redaktion, hat Baker sehr schnell Fakten zusammen, und präsentiert mit seinem viel gelobten Artikel gleich eine Spur für einen vermeintlichen Täter. Doch dann bricht das Kartenhaus aus Selbstgerechtigkeit, Hoffnung und Gerechtigkeit unvermittelt zusammen.
Eigentlich beinhaltet STILL HERE alles für ein exzellentes, tiefgehendes, vor allem realistisches Drama. Doch die Macher wollten mehr, und so fügten sie noch erheblich Elemente für eine Thriller hinzu. Und für diesen Thriller schielten sie allzu offensichtlich nach Vorbildern wie THE PAPER und SPOTLIGHT, ohne allerdings einmal richtig hin zu schauen. Jene Spannungsfilme aus dem Zeitungsmilieu legten ihre komplette Gewichtung auf ihre Kernkompetenz von journalistischer Arbeit und medialer Verantwortung. Mit seinem Film will Feier alles abdecken, was sich mit dem Grundstoff an Möglichkeiten auftun würde. Rassismus, Glaubensfragen, Polizeiwillkür, Gesellschaftsdrama, Sozialstudie, Gangsterfilm, Psychothriller. Das Ergebnis ist eine wirre Abfolge dramaturgisch unterschiedlicher Sequenzen die einfach nicht ineinander greifen wollen. Für keines dieser angerissenen Themen bleibt genügend Spielraum, kaum Entfaltungsmöglichkeit für eine strukturelle Analyse der soziopolitischen Zusammenhänge.
Allein die unglaubliche Zerrissenheit in der sich die Familie befindet, von Hoffnung zu Resignation hin zur panischen Selbstzerfleischung, fühlt sich nur oberflächlich an. Dazwischen dominiert immer wieder der Reporter als weißer Heilsbringer, der zuerst scheitern muss, um zu wahrer Größe aufzusteigen. Das ist soviel Blaupause, das es nicht nur schmerzt, sondern die vermisste Monique vollkommen in den Hintergrund drängt. Wie plump und ungeschickt sich Baker dann auch noch bei seinen Recherchen anstellt, kann ein auch nur halbwegs gebildeter Mensch unmöglich für realen Journalismus halten. Die Krönung der inszenatorischen Schwächen ist die naiv simplifizierte Abbildung von Polizeiarbeit. Wie die beiden Ermittlungsbeamten Spaulding und Evans, mit der Opferfamilie und vor allem Verdächtigen umgehen, hat gerade einmal das Niveau von billiger Fernsehunterhaltung. Wie die beiden dann noch von ihrem Vorgesetzten auf Linie gebracht werden, ist Laientheater, wie unbedarfte Kinder einen rassistischen Bösewicht inszenieren würden.
Es ist nicht zu leugnen, dass die Ansätze durchaus ihre Berechtigung durch reale Begebenheiten finden. Aber latenter Rassismus und die bewusste Benachteiligung sozial Schwacher findet in der Realität auf viel subtilere Weise statt. Genau das macht diese Missstände im richtigen Leben noch viel grausamer und erschreckender. Daran das hauptsächlich weiße Ordnungskräfte wenig Wert auf eine gerechte Behandlung von schwarzen Minderheiten legen, gibt es keinerlei Zweifel. So wie es Feier mit seinem Film allerdings darstellt, wirkt es unrealistisch überzeichnet und weckt kaum Interesse am Schicksal der Betroffenen.
Jedes Jahr werden allein in den Vereinigten Staaten 460.000 Kinder als vermisst gemeldet, in Europa sind es 250.000 Kinder. Das sind harte Zahlen und eine unvorstellbare Belastung für die Familien. STILL HERE versucht sehr gut, diesen psychologischen Terror angemessen und eindringlich zu vermitteln. Doch leider stellen sich dem immer wieder zu viel andere Versatzstücke von Spannungselementen in den Weg. Man kann den Film als guten Versuch werten, aber der Wichtigkeit und Verzahnung all seiner selbst auferlegten Themen wird er nicht gerecht.
Darsteller: Maurice McRae, Johnny Whitmore, Afton Williamson, Zazie Beetz, Danny Johnson u.a.
Regie: Vlad Feier
Drehbuch: Vlad Feier, Peter Gutter
Kamera: Ana Paula Rivera
Bildschnitt: Steve McClean, Georg Petzold
Musik: Jeff Kryka
Produktionsdesign: Roxy Martinez
USA / 2020
99 Minuten