SORRY WE MISSED YOU

sorry we missed 1, Copyright FILMWELT VerleihagenturSORRY WE MISSED YOU
– Bundesstart 30.01.2020

Das letzte Mal, dass man bei einem Film von Ken Loach etwas gelöster sein konnte, und einem sogar ein Lächeln abgerungen wurde, war bei ANGELS‘ SHARE – EIN SCHLUCK FÜR DIE ENGEL. Das ist einige Filme und sieben Jahre her. Und gerade als man dachte, jetzt müsste es mal wieder, kommt SORRY WE MISSED YOU. Wie fast schon selbstverständlich erneut ein Film, der Loachs Gespür für eindringliche Geschichten verdeutlicht und ihn als furchtlosen Erzähler bestätigt. Die Kraft seiner Filme bezieht er hauptsächlich aus der Feder (oder Tastatur) von Paul Laverty. Bei dieser Konstellation ist der Genre-Begriff des Sozialdramas am besten und am beständigsten verankert. Wobei Sozialdrama immer diesen bitteren Beigeschmack von etwas trägt, das etwas unangenehmes und abschreckendes hat. Anders herum macht es die Geschichte der Familie Turner nicht einfacher oder erträglicher, aber man ist eher bereit einmal einen Blick zu riskieren.

Die Erzählung fängt ohne Exposition an, steigt einfach hinein in den Alltag der Turners. Eine Familie welche die arbeitende Mittelschicht längst nach unten hin verlassen hat. Vater Ricky findet keine Job und fängt deshalb als Sub-Unternehmer bei einem Paketdienst an. Mutter Abbie arbeitet als mobile Altenpflegerin, und muss fortan ihre strikten und eng gelegten Termine mit dem Bus erfahren. Das Geld für ihr Auto muss als Anzahlung für Rickys Lieferbus dienen. Der jugendliche Sebastian bildet sich ein mit kleinen Straftaten und Graffiti gegen das System angehen zu können. Die kleine Tochter Liza Jane betrachtet den Alltag ihrer Familie zwischen tiefer Verunsicherung und kindlichem Unverständnis. Eine Zeitlang beobachtet der Film einfach nur seine Figuren, wie Ricky in seine neue Verantwortung hinein wächst, oder Abbie mit sich kämpfen muss, um den Altersstarrsinn ihrer Patientinnen zu ertragen.

Mit seinen vier Hauptdarstellern, gleichbedeutend hervorragend und real, erzählt sich die Geschichte fast schon allein. Zu keinem Zeitpunkt hat man das Gefühl, dass die Regie die Handlung in ihren Richtungen lenken oder bestimmen würde. Die herausragende Kunst bei SORRY WE MISSED YOU ist die Chemie zwischen den Protagonisten. Es bedarf keiner weisenden Dialoge oder überflüssiger Taten, um die Turners als Einheit zu sehen und auch zu empfinden. Selbst wenn Sebastian seinem Vater vorwirft ein Versager zu sein, und meint dass dieser niemals aus der Misere kommen wird, merkt man den eigentlich ungebrochenen Zusammenhalt. Meist spricht nicht die Überzeugung aus den Figuren, sondern die Verzweiflung. Das tut einem als Zuschauer manchmal schrecklich weh. Es gibt zwei Situationen, welche sich ganz natürlich entwickeln, und unvermittelt Ruhe und eine gelöste, durchaus heitere Stimmung offenbaren. Man ahnt, dass dies kein Zustand von Dauer sein kann.

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Was dem Film aber fehlt, und damit eben der Familie, sind Referenzen in ihrem sozialen Umfeld. Die Turners sind wie eine Inseln, was ihre soziale Lage im gesellschaftlichen System sehr unklar macht. Lediglich mit Ross Brewster als Depot-Leiter, für welches sich Ricky als Fahrer selbständig macht, wird so etwas wie ein Sinnbild eines kaputten Weltbildes beschrieben. Auch hier verweigert der Film einen wertenden Kommentar. Gegen jede Erwartung ein mögliches Feindbild aufzubauen, verkörpert Brewster absolut überzeugend einen Mann, der nicht bereit ist sich nur ein Stück von dem nehmen zu lassen, was für Ricky unerreichbar scheint.

Es ist wieder einmal keine leichte Kost, die Ken Loach dem Publikum serviert. So schmerzlich SORRY WE MISSED YOU auch sein mag, er zeigt einen schicksalhaften Alltag, der einen umgehend vereinnahmt. Das ist ganz entscheidend den Darstellern zu verdanken. Paul Laverty hat zweifellos eine sehr realistische Geschichte geschrieben und Ken Loach diese eindringlich inszeniert. Aber Kris Hitchen, Debbie Honeywood, Rhys Stone und Katie Proctor geben dieser Geschichte erst ein glaubhaftes Gesicht, stellvertretend für alle, deren Scheitern nie selbstverschuldet, aber eine gesellschaftliche Entwicklung ist. Letztendlich lässt sich das Sozialdrama einfach nicht weg diskutieren, und SORRY WE MISSED YOU hat durchaus etwas unangenehmes und abschreckendes. Nichtsdestotrotz ist es ein sehenswerter Film. Er ist nur eben nicht einfach.

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Darsteller: Kris Hitchen, Debbie Honeywood, Rhys Stone, Katie Proctor und Charlie Richmond, Ross Brewster u.a.
Regie: Ken Loach
Drehbuch: Paul Laverty
Kamera: Robbie Ryan
Bildschnitt: Jonathan Morris
Musik: George Fenton
Produktionsdesign: Fergus Clegg
Großbritannien – Frankreich – Belgien
2019 – 101 Minuten

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