HILLBILLY ELEGY
– 25.11.2020 Netflix
Welch fantastische Arbeit die Teams um Maskenbildnerin Eryn Krueger Mekash und Haar-Stylistin Patricia Dehaney wirklich vollbracht haben, offenbart sich leider erst am Ende des Films. Das Aussehen von Amy Adams und erst recht Glenn Close wirkt im Verlauf der 116 Minuten mitunter übertrieben, zu sehr dem Klischee verschrieben, immer eine Spur zu unrealistisch. Jedenfalls geht der unbedarfte Mittelschichtler mit seiner Klischee durchsetzten Filmbildung so an die Verwandlungskünste der Maskenbildner von HILLBILLY ELEGY. Doch ganz falsch gedacht, wenn man im Abspann die Bilder der wahren Mutter und Großmutter von Romanautor J.D. Vance zu Gesicht bekommt. Spätestens da wird jeder wegen seiner voreingenommenen Meinung, bei Eryn Krueger Mekash und Patricia Dehaney um Verzeihung bitten. Sie sind die wirklichen Künstler von HILLYBILLY ELEGY.
Was man im allgemeinen unter Menschen der Appalachen versteht, ist die gerne ignorierte Unterschichte entlang Ohio, Kentucky, bis hinein nach Tennessee. Das Hinterland entlang der florierenden Ostküste. Einst waren es Landstriche mit Hochindustrie und blühender Wirtschaft, Teile des Rust-Belt. Einst. Die meisten Menschen in vielen der bewaldeten Gebiete leben von Sozialhilfe und Rabattmarken. Man hat hier so wenig, dass man wenigstens stolz darauf ist, aus den Appalachen zu kommen.
Debra Granik hat mit WINTER’S BONE, nach dem Roman von Daniel Woodrell, einen beindruckenden und packenden Film über diesen bestimmten Menschenschlag gedreht. Denen die Gemeinschaft des edelste und wichtigste ist, wo sogar Familienmitglieder hinten anstehen können. Ein ähnliches Ansinnen hatte James David Vance mit seiner Biografie. Allerdings schafft es Drehbuchautorin Vanessa Taylor mit ihrer Adaption nicht, diesem Ansinnen über die Ansprüche von guter Unterhaltung hinaus gerecht zu werden.
Leider versteht es auch Ron Howard nicht, wenigstens in der Inszenierung den Blick über den Tellerrand zu erweitern, oder ein eindeutiges Gefühl für seine Charaktere, für das Milieu, oder diesen Menschenschlag beim Zuschauer zu erzeugen. Wie überhaupt, beschreibt man das, was man mit diesem Menschenschlag meint? Sie sind arm, wachsen ohne Hoffnung auf, was sich für den Rest des Lebens manifestiert. Aber da muss mehr sein, da ist auch mehr. Doch Ron Howards Film nähert sich dem nur an, vertieft es nie wirklich, entsprechend verwaschen ist der Blick darauf.
Die Geschichte wechselt zwischen den zwei Zeitebenen, wie sich J.D. als Jugendlicher versucht vom verkorksten und mit Drogen versauten Leben seiner Mutter zu lösen. Die zweite Ebene zeigt J.D. als jungen Erwachsenen, der sein Ziel erreicht hat, aber erneut durch den Drogenkonsum seiner Mutter zurück in sein altes Leben gezerrt wird. Was er in jüngeren Jahren vollbracht hat, scheint ihm ausgerechnet im vernunftbegabten Alter wieder zu entgleiten.
Zweifellos ist es beeindruckend, wie eindringlich der Handlungsverlauf immer wieder einwirkt. Das Schauspiel von Close und Adams kann man nicht anders als Perfekt, realistisch und greifbar bezeichnen. Close mit ihrer fürchterlich hemmungslosen Art von Flüchen, wirklich in jeder Einstellung mit Kippe zwischen Fingern oder im Mundwinkel, aber ungemein fürsorglich und mit unbändiger Herzenswärme. Und Adams im ewigen Taumel zwischen Verzweiflung und Hysterie, im steten Glauben ihr Bestes zu geben und ein Versagen auf andere zu projizieren.
Soweit hat Howard seine Geschichte vollkommen im Einklang mit dem Drama und den Emotionen durch Ängste, Hoffnungen und Verzweiflung. Es funktioniert, und es funktioniert in den meisten Szenen, weil man auf erklärende Hintergründe und überflüssiger Ursachenforschung schlichtweg verzichtet. Der Zuschauer erlebt einen Status Quo in dem belasteten Familiengefüge, wie es der jugendliche J.D. empfindet. Er versteht die Zusammenhänge nicht, kann er auch noch nicht. Und als er es in späteren Jahren begreift, ist er empathisch längst auf der Stufe seiner restlichen Familie, seiner Nachbarschaft, seinem gesamten Umfeld aus der Jugend.
Die Jungen haben Hoffnung, in denen sie allerdings keiner unterstützt. Die Erwachsenen erfahren durch Arbeitslosigkeit und sinkender Konjunktur die Trostlosigkeit und ansteigende Resignation welche ihnen keiner zu nehmen versteht. Und die Alten haben sich arrangiert, und genügen sich in ihrer Bescheidenheit. Kein Zweifel, dass ein Typ wie Ron Howard es ganz leicht versteht, Emotionen aufzubauen und auch entsprechend zu lenken. Von HILLBILLY ELEGY gefesselt und beeindruckt zu sein, fällt ganz und gar nicht schwer.
Was dem Film allerdings fehlt ist eine eigne Sprache, seine ganz persönliche Note. Ihm fehlt diese Atmosphäre, welche ihn von thematisch ähnlichen Filmen abhebt. Die Kamerabilder sind auf das reduziert, was der Beobachter auch für den emotionalen Diskurs erfahren soll. Es sind austauschbare Bilder, mit denen Maryse Alberti ihren Teil zur Erzählung beträgt. Wobei sie sich nicht zwischen pseudo-authentischer Handkamera und stilisierter Hochglanz-Photographie entscheiden kann.
Ron Howard war noch nie einer, der sich in seiner Regiekarriereauf Bildgestalter festlegen wollte. Hier wäre es für eine erweiterte Ebene, von großem Vorteil gewesen, keine Experimente einzugehen, sondern die kreativen Komponenten intensiver interagieren zu lassen. Wie er es mit der Besetzung von Haley Bennett getan hat, die in einer grandiosen Nebenrolle J.D.s Schwester Lindsay verkörpert. Die gesamte Aufmerksamkeit wird natürlich allein durch die Namen auf Adams und Close gelenkt. Aber Bennett ist dieses kleine Zünglein auf der Waage von dramaturgischer Relevanz.
Haley Bennett hat nicht viel Leinwandzeit, aber sie bekommt in all den Szenen etwas zu tun. Immer wieder erkennt man in ihren leisen Dialogen, in ihrem unaufdringlichem Spiel, dass Lindsay ihren Bruder ob seiner Bemühungen bewundert. Doch man bemerkt genauso, dass sie und ihre eigene Familie sehr leicht in den unheilvollen Strudel von sozialer Armut und Arbeitslosigkeit geraden können. Denn Wohnort und Heimat tragen immer das ungerechtfertigte Vorurteil des unzuverlässigen Verlierers.
Ron Howard hat bei HILLYBILLY ELEGY sehr viel richtig gemacht. Aber er hat auch sehr viel schleifen lassen, wo diese besondere Note, diese ästhetische Eigenständigkeit den Kern der Geschichte für den Betrachter sehr viel eindringlicher gestaltet hätte.
Darsteller: Amy Adams, Glenn Close, Gabriel Basso, Haley Bennett, Owen Asztalos, Freida Pinto, Bo Hopkins u.a.
Regie: Ron Howard
Drehbuch: Vanessa Taylor
nach der Autobiografie von J.D. Vance
Kamera: Maryse Alberti
Bildschnitt: James Wilcox
Musik: David Fleming, Hans Zimmer
Produktionsdesign: Molly Hughes
USA / 2020
116 Minuten