DA 5 BLOODS
– Netflix seit 12.06.2020
Sie waren Brüder. Bloods, wie sich Einheiten von rein schwarzen Soldaten in Vietnam nannten. Damals kämpften sie zu fünft. Jahrzehnte später kehren vier von ihnen zurück, um den einen nach Hause zu holen, den sie seinerzeit dort verloren hatten. Er war ihr Teamleader, er war ihr Mentor, ihre Inspiration, ihr Freund, ein Blood. Doch nicht nur die sterblichen Überreste von Stormin‘ Norman warten auf Paul, Davis, Otis und Eddie, sondern auch noch eine Kiste voller Gold des CIA das bei einem Einsatz verloren ging. Bestens vorbereitet, mit allen amtlichen Genehmigungen und Rückhalten geht es zurück in den Dschungel. Doch vieles hat sich grundlegend verändert, anderes hingegen kein bisschen gebessert. Damals wie heute sind sie als Schwarze gesellschaftlich noch immer nicht weiter.
Zweifellos hat Spike Lee mehr für das Schwarze Kino getan, als irgend ein anderer Filmemacher. Das kann man so stehen lassen. Muss man aber nicht. Denn kein anderer Filmemacher war in seiner gesamten Karriere auch so radikal und meist unversöhnlich. Mit dem überraschenden 25TH HOUR, dem Remake von OLDBOY und dem kongenialen INSIDE MAN, präsentierte sich Lee als fantastischer und prädestinierter Mainstream-Regisseur mit viel Eleganz, Tiefgang und Originalität. Doch es gab zu keiner Zeit eine Pause vom Kino mit dem Fokus auf Schwarze und deren gesellschaftliche Einordnung. Das gab manchmal Ärger, wie bei dem unreflektierten Portrait von MALCOLM X. Manchmal sorgte es für sehr viel Verwunderung, wie bei dem kaum greifbaren BAMBOOZELD. Oder es gab Begeisterungsstürme, wie für das Ehe- und Gesellschaftsdrama JUNGLE FEVER.
Was Spike Lee beherrscht, ist die vollkommen losgelöste Freiheit jedes noch so kleine Problem von Schwarzen in einer dominant weißen Gesellschaft in Inszenierung und Dialog einfließen zu lassen. Meist sehr spielerisch, oftmals suggestiv, und überzeugend natürlich. Aber stets präsent. Und diese Präsenz ist in DA 5 BLOODS während seiner gesamten Laufzeit oft überreizt. Lee wechselt dabei so oft die Atmosphäre, den Stil, und seinen Rhythmus, dass DA 5 BLOODS über seine 150 Minuten Spielzeit die Spannung halten kann, aber die Erzählung praktisch nicht homogen bleibt. Innerhalb der Inszenierung wirft der Film immer wieder selbst die Frage auf, worauf der Filmemacher eigentlich hinaus will.
An einer Stelle prangt unkommentiert der Schriftzug von APOCALYPSE NOW in einer vietnamesischen Discothek. Später ist die gediegene Bootsfahrt in Vietnam von Wagners Ritt der Walküren unterlegt. Eine unumstößliche Reminiszenz an einen anderen Kriegsfilm. Ob das allerdings glücklose Verbeugung, oder debile Belustigung sein soll bleibt absolut offen. Aber das ist nur ein Beispiel von vielerlei Szenen, die aus dem Zusammenhang gerissen scheinen, und die nicht unbedingt zu einem einheitlichen Erzählfluss beitragen. Die vier in die Jahre gekommenen Veteranen haben Erfolg auf ihrer Mission, ihren ehemaligen Kameraden nach Hause bringen zu lassen und den verloren geglaubten Schatz zu bergen. Dabei wirft ihnen die Geschichte immer wieder unglaubwürdige Stolpersteine in den Weg, dass der Film die Anmutung eines schlechten Actionfilms bekommt. In die perfekt ausbalancierten und überzeugend gespielten Dialoge werden meistens Bilder von angesprochenen realen Persönlichkeiten, oder historischen Ereignissen zwischen geschnitten. Das geht durchaus mit einem wohlwollenden Aha-Effekt einher, zeigt aber immer wieder, dass Spike Lee viel mehr an seiner persönlichen Mission von Aufklärung und Anklage interessiert ist, anstatt an einer in sich stimmigen und flüssigen Erzählung.
Es mag sich wie eine endlose Tirade anhören, aber das Ensemble ist, man ist geneigt zu sagen, wie immer, herausragend. Man merkt, das der Regisseur seinen Schauspielern vertraut, sie an losen Zügeln lässt. Andersherum ist auch deren Hingabe und Glaube an Lee unverkennbar. Den Löwenanteil dabei bestreitet Delroy Lindo, dem auch hier wieder der Verdienst einer Hauptrolle verwehrt bleibt, DA 5 BLOODS ist eben ein Ensemble-Film, aber Lindos psychotischer, von PTSS geprägter Paul sticht absolut heraus. Leider vertut sich dabei die Regie etwas, weil viele von Pauls Übersprunghandlungen von der Gruppe toleriert werden, aber sich für den Zuschauer nicht wirklich erschließen, und zu abrupt und unmotiviert scheinen.
Zwei künstlerische Finessen sind auffallend. Newton Thomas Sigel hat mit den verschiedenen Formaten das Ausreizen mit dem Bild nicht neu erfunden, aber die Wechsel von 16 auf 35mm Film, und der drei Seitenverhältnisse, geben der Erzählung noch einmal etwas optische Würze. Für die Rückblenden nahm Sigel das 16mm Material im Verhältnis 1,33:1, welches auch dem damaligen Nachrichten-Standard aus dem Kriegsgebiet entsprach. In der Jetzt-Zeit drehte man herkömmlich Digital, für die Stadtszenen 2,35:1, und im Dschungel schließlich die aktuelle Fernsehnorm im Vollformat von 1,85:1. Was sich wie technische Spielerei anhört, ist durchaus effektiv in seiner suggestiven Kraft.
Und letztendlich hat sich Spike Lee dankenswerterweise dagegen entschieden in den verschiedenen Zeitebenen dem Alter entsprechend unterschiedliche Darsteller zu besetzen, oder das nur bei bestimmten Firmen bedingt überzeugende De-aging Verfahren zu nutzen. Es bringt dem Zuschauer die Charaktere sogar viel näher, und verstärkt wider Erwarten die Glaubwürdigkeit, wenn die Figuren mit den jeweiligen Darstellern auch über die Jahrzehnte hinweg verhaftet bleiben. Der Zusammenhalt der ehemaligen Einheit bis in die heutige Zeit wird unterbewusst verstärkt.
Was DA 5 BLOODS dem Zuschauer bietet, ist ein nicht zu unterschätzender Diskurs durch Geschichte und eine ehrliche, gesellschaftliche Abhandlung. Auch wenn es, wie von Spike Lee nicht anders zu erwarten, starke aufklärerische Bestrebungen für das Weiße Publikum gibt, ist dieser Film eine kompromisslose Abhandlung mit starken Unterhaltungswert für ein afroamerikanisches Zielpublikum. Doch in dieser Beziehung hat der ambitionierte Filmemacher mit Mission schon eindringlichere, kohärentere und weniger selbstgefällige Filme auf die Zuschauer losgelassen. Leichte Kost sind DA 5 BLOODS nicht, doch wo gut gemeinte Reflexionen bei anderen Filme die Wirkung verstärken, kann es hier mitunter anstrengend werden.
Darsteller: Delroy Lindo, Jonathan Majors, Clarke Peters, Norm Lewis, Isiah Whitlock Jr., Mélanie Thierry, Paul Walter Hauser, Jasper Pääkönen, Johnny Nguyen, Chadwick Boseman, Jean Reno u.a.
Regie: Spike Lee
Drehbuch: Spike Lee, Danny Bilson, Paul De Meo, Kevin Willmott
Kamera: Newton Thomas Sigel
Bildschnitt: Adam Gough
Musik: Terence Blanchard
Produktionsdesign: Wynn Thomas
USA / 2020
154 Minuten