LITTLE JOE – Glück ist ein Geschäft
– Bundesstart 09.01.2020
Die Besprechung beruht auf der englischen Sprachfassung beim Fantasy Filmfest
Man könnte Jessica Hausner eine Avantgarde-Filmemacherin nennen. Das ist sperrig, hört sich auch kaum definierbar an, was aber auch sehr gut auf ihre Filme zutreffend ist. Und in diesem Fall LITTLE JOE ziemlich genau beschreibt. In Deutschland hatte Hausners jüngstes Werk bereits beim Fantasy Filmfest 2019 Premiere gefeiert, wo man ihn als Horrorfilm präsentierte. Allerdings könnte er auch Drama sein, oder Science Fiction. Eben nicht definierbar. Eines kann man aber sagen, dass Hausner eigenwillig ist und sich den Status einer unbeugsamen Autorenfilmerin redlich verdient. Denn zu all den unbestimmten Genres gesellt sich noch ein entscheidendes Attribut, und das nennt sich experimentell. Anders kann man LITTLE JOE nicht beschreiben, vorausgesetzt man kann sich so offen darauf einlassen, wie es Jessica Hausner scheinbar von ihrem Publikum erwartet.
Die Pflanzenzüchterin und Biotechnologin Alice hat den Durchbruch bei einer neuen Blumengattung geschafft. Doch die alleinerziehende Mutter sitzt zwischen zwei Stühlen, wo sie entscheiden muss, ob ihr der Erfolg oder die Beziehung zu ihrem Sohn wichtiger ist. Eigentlich sollte die Wahl klar sein, aber die Besonderheit bei der Little Joe benannten Pflanze ist deren Fähigkeit Menschen glücklich zu machen. Sofern die Menschen die Blume auch gut behandeln. Viel weiter braucht man gar nicht ausholen, um zu erahnen wohin die ohnehin sehr dürftige Geschichte wachsen wird. Hausner selbst war es, die im Vorfeld immer wieder die KÖRPERFRESSER ins Gespräch brachte. Welche Filmversion sie auch immer damit angesprochen haben will. Eigentlich hat jede Generation von Kinogängern ihre zeitgemäße Umsetzung des Stoffes, wo ein fremder Organismus seine Opfer nicht einfach kopiert, sondern zu einem neuen, aber kollektiven Wesen macht. Sollte sich Hausner wirklich in diese spezielle Prämisse einreihen wollen, dann ist ihre Aussage hinsichtlich einer Veränderung von sozialer Gesellschaft sehr fragwürdig und schwer in einen aktuellen Kontext zu setzen.
Tatsächlich verändert Little Joe die Menschen, nur Alice bemerkt diese Veränderung in ihrem direkten Umfeld. Und wer jetzt wutentbrannt ‚Spoiler‘ ruft und verärgert reagiert, der hat nicht die geringste Ahnung, was Jessica Hausner in diesem ausgebreiteten Szenario tatsächlich auf ihr unbedarftes Publikum loslässt. Jedenfalls nichts was man nach einer Inhaltsbeschreibung wirklich vermuten würde. Das führt zurück zu dem Attribut des Experimentellen. Zuerst fällt die nüchterne, extrem spartanische Ausstattung auf. Räume sind hauptsächlich einem einzigen Farbton unterworfen, keine kräftigen Farben, eher blass oder unpassend wirkend hell, was die gewollte Atmosphäre konterkariert. In einem erzielt der Film tatsächlich eine, vielleicht auch unbeabsichtigte Stimmung, und das ist das in allen Szenen dominierende Weiß. Die mit Weiß einhergehende Kälte und Nüchternheit schafft Unbehagen.
Da ist allerdings nicht nur die Schlichtheit der Settings, dazu irritieren umgehend Martin Gschlachts wirklich unkonventionelle Kamerafahrten. Die Einstellungen sind ungewöhnlich lang, die Kamera ist bis auf wenige Ausnahmen ständig in Bewegung. Dabei fährt sie immer wieder über das Bild hinaus, verliert dabei die Figuren und die Bewegung endet im Nichts, während die Dialoge weitergeführt werden. Das wirkt extrem unmotiviert, hat aber auch etwas provokant herausforderndes. Richtig einordnen lässt sich dieses Konzept nicht. Genauso wie die schrillen Tonkollagen, die unentwegt einen enervierenden Geräuschteppich auf die Zuschauer loslassen. Viel zu laut und überhaupt nicht mit den Bildern kompatibel, soll dieser Ersatz für stimmige Filmmusik immer wieder eine nicht wahrnehmbare und auch gar nicht dargestellte Bedrohung heraufbeschwören.
Das Ensemble angeführt von Emily Beecham schlägt sich wirklich sehr gut mit den Dialogen, die kaum echte Gefühle oder Stimmungen transportieren. Manche Charaktere sind auch wirklich nur wie lebende Textzeilen, die Zu- und Umstände erklären. Einzig Kerry Fox als gebeutelte Wissenschaftlerin darf sich mit begreifbaren Emotionen herausspielen. Dem steht als krasser Gegensatz Kindsvater Sebastian Hülk gegenüber, der verwirrend einfältig durchs Bild geht, und wie eine Karikatur des unbeholfenen Laiendarstellers in Szene gesetzt ist.
Weil aber auch gar nichts in diesem ganzen Gewirr zusammen passen scheint, und jedes künstlerische Gewerk für sich nur Fragen aufwirft, sieht man sich wirklich genötigt, einen bedeutenden Überbau zu finden. Das viel Energie in dieser Arbeit steckt, das ist unbestritten und auch beständig auf der Leinwand dargebracht. Allein konzeptionell stellt sich der Film selbst in Frage. Was hat die Geschichte am Ende wirklich erzählt. Oder provozierend gestellt, will die Geschichte eigentlich etwas erzählen. Nur weil man die Zusammenhänge nicht begreift, die einzelnen Stücke nicht in Einklang bringt, heißt das noch lange nicht, dass alles keinen Sinn machen würde.
Tatsächlich wäre die Einschätzung und Wahrnehmung von Zuschauern interessant, welche LITTLE JOE nicht derart analytisch nüchtern und auf einzelne Punkte herunter gebrochen empfunden haben. Zumindest rational und von Konventionen geprägt, kann Jessica Hausners Film nicht wirklich erfasst werden. Jedenfalls nicht in der Form und Leidenschaft, mit der er umgesetzt wurde. Vorausgesetzt Form war wirklich so beabsichtigt und Leidenschaft die treibende Kraft.
Darsteller: Emily Beecham, Ben Whishaw, Kerry Fox, Kit Connor, Phénix Brossard, David Wilmot, Leanne Best, Lindsay Duncan, Jessie Mae Alonzo, Sebastian Hülk u.a.
Regie: Jessica Hausner
Drehbuch: Jessica Hausner, Géraldine Bajard
Kamera: Martin Gschlacht
Bildschnitt: Karina Ressler
Sounddesign: Erik Mischijev, Matz Müller
Produktionsdesign: Katharina Wöpperman
Großbritannien – Österreich – Deutschland / 2019
105 Minuten