IRRESISTIBLE – Unwiderstehlich

Irresistible 1, Copyright UNIVERSAL PICTURES INTERNATIONALIRRESISTIBLE
– Bundesstart 06.08.2020

   Er ist Politstratege und der führende Wahlkampfmanager der Demokraten. Und als solcher hat Gary Zimmer niemals Pause, und stets einen Plan. Wie konnte 2016 die Gewinnerin verlieren? Die Partei muss sich neu erfinden und für Gary findet sich diese Neuausrichtung in einem Nest irgendwo im Mittleren Westen. Der Veteran und jetzt Rancher, Colonel Jack Hastings, setzt sich in einer Bürgerversammlung leidenschaftlich für die Rechte der ortsansässigen Immigranten ohne Arbeitserlaubnis ein. Das YouTube-Video ist für Gary Zimmer eine Offenbarung. Ein Republikaner der eigentlich Demokrat ist. Die Keimzelle des Neubeginns liegt in Deerlaken, Wisconsin. Mit dem Landleben alles andere als vertraut, kann der sofort angereiste Gary gegen alle Widrigkeiten den Veteranen zur Bürgermeisterkandidatur überreden. Mit allen Mitteln, welche die Partei zur Verfügen stellen kann. Das lässt die Republikaner nicht lange ruhen, die umgehend zur Unterstützung des amtierenden Bürgermeisters ihre beste Wahlkampfstrategin sendet.


     Zehn Prozent der amerikanischen Zuschauer haben ihre Nachrichten aus der Satiresendung THE DAILY SHOW entnommen. Nicht etwa von Fox News oder CNN. Jon Stewart hat mit der DAILY SHOW über viele Jahre das Wesen von politisch interessierter Mittelschicht, Bildungsbürgern und Sozialhilfeempfängern geprägt. Seine satirischen, manchmal auch bitterbösen Spitzen gegen Entscheidungsträger und Amtsinhaber, gegen soziale Missstände und gesellschaftliche Ungerechtigkeit blieb meist unantastbar. Stewart ist kein polemischer Windbeutel, sondern politisch versierter als die meisten gewählten Volksvertreter. Jede seiner oft schmerzenden Attacken ist auf das genaueste recherchiert gewesen. Er hatte Präsidenten im Studio, und hat ihnen mit größten Respekt auch extrem unangenehme Fragen gestellt. Auch ideologische Gegner waren gern gesehene Gäste, nicht etwa um diese wortgewand zu zerreißen, sondern ihnen ein Möglichkeit für Erklärungen zu geben, und den Zuschauern eine tatsächlich ausgewogene Bandbreite für Meinungsbildung zu unterbreiten. Jeder der Gäste wusste um den soziologischen Einfluss, den die Show auf die Zuschauer hatte. Stewart hat Mikro und Konzept weitergereicht, sich aber nicht zurückgezogen.

    Als politischer Aktivist ist Jon Stewart viel unterwegs, hauptsächlich als Advokat für die noch immer nicht wirklich entschädigten Ersthelfer des Elften September. Und er macht Spielfilme, wie das Journalistendrama ROSEWATER um Maziar Bahari, und jetzt eben IRRESISTIBLE. Eine politische Satire um das typisch amerikanische Wahlkampfprozedere, mit all seinen Schwächen und dem kaum zu begreifenden Irrsinn. Doch die zu erwartende bitterböse Abrechnung, oder das Feuerwerk an verdienten Ohrfeigen bleibt aus. Versprochen und herbeigesehnt war eine zeitgemäß reflektierende Satire, die wurde aber letztendlich zu einer hintersinnigen Komödie degradiert. Da stehen beißende Beobachtungen, wie die von zwei verschiedenen Kameras gefilmten Interviewpartner, die eigentlich direkt nebeneinander stehen, der Plattitüde gegenüber, dass der überhebliche Großstädter im Hinterland nur Budweiser und Burger in der Kneipe erwartet. Vielleicht hatte Jon Stewart immer wieder im Sinn, so etwas wie WAG THE DOG zu inszenieren, um dann lediglich eine wesentlich originelleren Variante von WILLKOMMEN IN MOOSEPORT zu präsentieren.

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     Geht man weiter zurück, könnte IRRESISTIBLE auch die amerikanische Fassung von Bill Forsyths sehr schlauem und pointiertem LOCAL HERO sein. Nur wurde das Großunternehmen gegen Politik getauscht, wo das unterschätzte Bürgertum die selbstgerechten Oberen mit den eigenen Waffen schlägt. Allerdings bleibt IRRESISTIBLE nicht so erfrischend subtil. Es ist also ein filmisches hin und her, das Jon Stewarts Beitrag zur amerikanisch politischen Kultur bietet. Es ist durchweg erheiternd, immer witzig, manchmal zu offensichtlich, teilweise böse, und oft gegen die Erwartung, was in beide Richtungen ausschlägt. Direkte Aussagen gibt Stewart am Anfang in politischer Hinsicht mit dem Titelvorspann und den Bildern von Präsidenten mit dem ‚einfachen‘ Volk, und am Ende auf die Filmindustrie, mit drei verschiedenen Schlussszenarien. Man muss aber auch zugeben, das man bei einem Film mit Carell und Byrne in den Hauptrollen, ein Wahlversprechen bekommt, dass bei einem Sieg auch eingelöst wird. Im europäischen Raum sowieso, weil hier der Name Jon Stewart bekannt ist, aber kaum Brisanz besitzt. Auch wenn sich die Vollblutkomiker Byrne und Carell längst als ernst zu nehmende Charakterdarsteller bewiesen haben, geht man bei IRRESISTIBLE bereits im Vorfeld mit der Hoffnung auf eine unbeschwerte Komödie einher. Und man wird diesbezüglich nicht im Geringsten enttäuscht.

    Mit der Besetzung von Chris Cooper glaubt man wiederrum zu hoffen, dass sich eine bösartige Abrechnung mit einem verheerenden System durch die Hintertür eingeschlichen haben könnte. Aber der bärbeißige Mime, entpuppt sich dann ebenso als gefälliger Kumpeltyp, den man wählen möchte. Allerdings spielt er dies sehr überzeugend, ganz im Sinne des eigentlichen Hintergrundes in der Geschichte. Ein typisches und allgegenwärtiges Szenario, wo der Mensch nach und nach in den Hintergrund rückt, und das System aus Selbstschutz und Geltungssucht die zentrale Rolle einnimmt. Ganz hervorragend gelingt dabei, wie die landläufigen Definitionen von Demokraten und Republikaner mehr und mehr verwischen und irrelevant werden. Schon bei der Hälfte seiner Laufzeit, hat der Film kein Gut oder Böse mehr, keine ideologischen Gegner. Das System stellt sich selbst in Frage. Der Spaß, der Politik einen Spiegel vorzuhalten geht auf, und sieht gut aus. Kaum ein Zuschauer wird sich wirklich enttäuscht zeigen. Für eine Komödie ist es ein herrliches Spiel mit Schein und Sein, und Eskapaden, die einfach zu skurril erscheinen, aber aus dem Leben genommen sind.

    Doch zu guter Letzt offenbart sich mit der Auflösung der Geschichte doch noch eine wirkliche Überraschung, etwas das man durchaus einen exzellenten WTF-Moment bezeichnen kann. Für politisch weniger Bewanderte ist das Ende ist so unvermutet und absurd, wie fragwürdig, dass es im Abspann zur Bestätigung der realen Möglichkeit tatsächlich den Experten Trevor Potter benötigt, ehemals Vorsitzender der Bundeswahlkommission. Ein Szenario welches dieser vor ein paar Jahren mit Stephen Colbert in dessen Satire-Sendung behandelte. Dieses Ende bricht sich leicht mit der vorangegangenen Geschichte, weil es bei versierten Zuschauer zu eventuellen Fragen nach Plausibilität kommen könnte. Was wiederrum das trotz allem gelungene und unterhaltsame Gefüge der ersten 90 Minuten in Wanken bringen würde. Als versöhnlicher Zuschauer allerdings, nimmt man eine neue Erkenntnis mit nach Hause, und bleibt erfreut über eine vergnüglich bissige Abrechnung mit einem System, welches man wegen seiner Absurdität ohnehin nur schwer begreift.

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Darsteller: Steve Carell, Rose Byrne, Chris Cooper, Mackenzie Davis, Topher Grace, Brent Saxon, Natasha Lyonne, Will Sasso, Debra Messing u.a.
Drehbuch & Regie: Jon Stewart
Kamera: Bobby Bukowski
Bildschnitt: Jay Rabinowitz, Mike Selemon
Musik: Bryce Dessner
Produktionsdesign: Grace Yun
USA / 2020
101 Minuten

Bildrechte: UNIVERSAL PICTURES INTERNATIONAL
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