I’M YOUR WOMAN

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I’M YOUR WOMAN

Weibliche Regisseure drehen Filme für Frauen. Oder er heißt Ridley Scott, dem mit Louise und ihrer Freundin Thelma wahre Ikonen ins Haus gefahren sind. Oder sie heißt Kathrin Bigelow, dann wird es für einige Action-Regisseur aber eng in der Männerdomäne. Selbstverständlich bewegt man sich dabei im Mainstream. Für den Arthouse-Bereich wäre das thematisch schon wieder viel zu komplex. Hier ist die Regisseurin Julie Hart, und sie macht Filme für Frauen, dabei ist sie ausgerechnet im Independent-Film verwurzelt. Dennoch gehen die vorangegangenen Ausführungen auf. I’M YOUR WOMAN ist thematisch an das rauhe, realistische Thriller-Kino der Siebziger angelehnt. Nicht eine breite Palette von physischer Action bestimmt die Handlung, sondern der Weg und die emotionalen Verstrickungen, die zu dieser einen, kulminierenden Auseinandersetzung führen.

Wenn wir Jean kennen lernen, scheint sie eine gelangweilte, unglückliche Hausfrau zu sein. Mit stoischer Gleichgültigkeit bewegt sich Rachel Brosnahan in ihrer Welt. Diese Unnahbarkeit bricht erst auf, als ihr Mann Eddie den lang ersehnten Babywunsch erfüllt. Zu Anfang ist es unklar, woher das Baby kommt, für Jean wie für uns Zuschauer. Es wird darstellerisch offensichtlich, warum Brosnahan I’M YOUR WOMAN ebenfalls produziert hat, der einen willkommene Abstand zur flippigen MARVELOUS MRS. MAISEL ermöglicht.

Was als Begriff überhaupt nicht despektierlich verstanden werden darf, sind Frauenfilme grob umrissen Filme, die auf ein hauptsächlich weibliches Publikum hin inszeniert sind. Der herkömmliche Actionfilm erfüllt das sehr selten, selbst die Komödien sind Männer lastig. Dies immer noch zu erklären ist keinem gönnerhaften Chauvinismus geschuldet, sondern dem Unterschied im geschlechtsspezifischen Verständnis von Relevanz und Prätention an die Unterhaltung.

Ähnlich sensibel und nachvollziehbar wie in Steve McQueens WIDOWS, wird auch Jean unvermittelt mit der kriminellen Profession ihres Mannes Eddie konfrontiert. Über Details seines Jobs konnte sie sich bisher entspannt in Unwissenheit wiegen. Nach einem missglückten Auftrag muss Eddie jedoch untertauchen. Für Jean und das Baby beginnt eine Flucht ins Ungewisse, unterstützt von dem ebenso undurchsichtigen Cal.

Julia Hart, die wie für alle ihre Filme das Drehbuch zusammen mit Ehemann Jordan Horowitz verfasste, hält in der Handlung und Inszenierung wenig Überraschungen bereit. Auffallend ist allerdings das Ambiente, welches sich in der kreativen Umsetzung von Inszenierung bis zur Ausstattung, ans Thriller-Kino der Siebzigerjahre anlehnt. Die Regisseurin geht dabei mit Produktionsdesigner Gae Buckley nicht sehr offensiv vor, drängt seine zeitliche Periode also nicht in den Vordergrund.

Weil die Regie mit den Finessen des Zeitkolorit eher sparsam umgeht, legt sich die Gewichtung viel stärker auf die Figuren. Aber genau das hebt dann auch den filmischen Charakter des vergangenen Spannungskinos, welches gerade Mitte der Siebziger mehr an differenzierten Figurenzeichnungen interessiert war. Und bei I’M YOUR WOMAN konzentriert sich dies auf Brosnahans Jean, die an ihren neuen Erfahrungen wachsen muss.

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Grandios zeigt sich diese charakterliche Entwicklung in der Sequenz, als sich eine resolute Nachbarin selbst zum Abendessen in den eigentlichen Unterschlupf einlädt. Angefeuert durch Cals ständige Warnungen, setzt bei der desorientierten Jean gegenüber dem Besuch eine stetig steigende Paranoia ein. Brosnahans wachsende Panik aufgrund von kleinen Nichtigkeiten in Äußerungen oder Verhalten der Nachbarin, ist ansteckend. Situationen wie diese, nutzt die Regie im weiteren Verlauf aber auch immer wieder für geschickte und böse Überraschungen.

Doch I’M YOUR WOMAN ist trotz aller Anleihen und Inspirationen ein sehr langsamer Film. Kurze Action-Einlagen sind bodenständig und gut eingeflochten. Tatsächlich hat der Film genau den richtigen Anteil von nachvollziehbaren Höhepunkten. Aber bis Jean immer wieder dort ankommt, lässt sich Julia Hart sehr viel Zeit. Das ist für die ersten dreißig Minuten absolut in Ordnung, in der die selbst die Exposition der Figuren noch nicht abgeschlossen ist, und wir kaum Hinweise bekommen in welche Richtung sich die Handlung bewegen wird.

Hat die Erzählung ihre maßgebliches Ziel offenbart, muss sich Hart den Vorwurf gefallen lassen, sich immer wieder zum Stillstand hinreißen zu lassen. Aber auch die Verbindung zum Zuschauer reißt immer wieder einmal ab. Wenn Jean den Hintergrund zu ihrem Baby preisgibt, ist kaum zu sagen, wie ehrlich sie überhaupt noch ist. Oder ist sie bereits schon so tief an das ihr aufgezwungene kriminelle Umfeld angepasst, dass Jean sich nur noch mit Schutzbehauptungen umgeben kann?

Das wären aber genau die Momente, wo die Inszenierung eine vertraute Beziehung zwischen dem Charakter und dem Beobachter festigen müsste. So bleiben wir gut unterhaltene Zaungäste, aber keine Partner im Geiste. Der Film hat dennoch so viel bindende Atmosphäre, dass man dabei bleiben möchte. Und er hat natürlich Rachel Brosnahan. Doch für die verwöhnten Gemüter könnte das alles etwas zu dürftig sein.

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Darsteller: Rachel Brosnahan, Marsha Stephanie Blake, Arinzé Kene, Jameson Charles, Frankie Faison, Marceline Hugot, James McMenamin Jarrod DiGiorgi, Bill Heck u.a.
Regie: Julia Hart
Drehbuch: Julia Hart, Jordan Horowitz
Kamera: Bryce Fortner
Bildschnitt: Shayar Bhansali, Tracey Wadmore-Smith
Musik: ASKA
Produktionsdesign: Gae S. Buckley
USA / 2020
120 Minuten

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