STUTTGART/ Metropol 23. – 27.09.20
KÖLN / Residenz-Astor 23. – 27.09.20
RELIC
– Amazon Prime (US)
– DVD / Blu-ray 30.10.2020
Wirklich clever ist, RELIC als spannenden und eher psychologischen Geisterhaus-Thriller zu manifestieren. Nicht sehr clever ist, erst viel zu spät den eigentlichen Hintergrund eindeutig zu machen. Ohne zu viel zu verraten, ist die eigentliche Idee hinter Natalie Erika James‘ gut erdachten Geistergeschichte leicht zu durchschauen. Kennt man ihren preisgekrönten Kurzfilm CRESWICK, wird es einem sogar noch leichter fallen. Nicht nur thematisch sondern auch in markanten Motiven nimmt sie darin ihren ersten Langfilm schon vorweg. Der Allee artige Wald, die mysteriös selbstbewegte Maschine, die nackte Gestalt.
Kay und ihre Tochter Sam wollten eigentlich ihre Mutter, sprich Großmutter besuchen. Diese ist allerdings verschwunden, und nach einiger Zeit setzt die Polizei sogar Suchmannschaften ein. Währenddessen werden Kay und Sam in dem einsam gelegenen Haus von einer unerklärlichen Präsenz wach gehalten. Als Mutter Edna unvermittelt wieder in der Küche steht, ohne Erinnerung an ihre Abwesenheit, nehmen die unheimlichen Geräusche und unsichtbaren Wahrnehmungen sogar noch zu. Kay und ihre Tochter beginnen daran zu zweifeln, dass Edna überhaupt sie selbst ist.
Wer einen Geisterhausfilm will, der bekommt ihn mit all den beliebten Versatzstücken. RELIC setzt dabei nicht sofort auf die übliche Panik seiner Figuren. Natalie Erika James geht es tatsächlich ruhig an, um den Zuschauer sowie die Charaktere zuerst in eine ganz reale Problemsituation einzubetten. Aber eine beunruhigende Atmosphäre herrscht von Anfang an, die sich aber schon schnell mit einigen Spannungsmomenten noch sehr zu steigern versteht. Was die Regisseurin wirklich kann, da gibt es keinen Zweifel, dass ist angemessene und anhaltende Stimmung zu erzeugen. Zuerst bleiben die Phänomene erklärbar, was die Protagonisten auch noch Ruhe bewahren lässt. Aber die Situation im verwinkelten Haus wird zunehmend unheimlicher, nicht mehr nachvollziehbar. Langsam wandelt sich das aufkommende Unbehagen in Entsetzen.
Viel von der geladenen Atmosphäre die ununterbrochen unterschwellig knistert, geht fast schon selbstredend von der raffinierten Kameraarbeit aus. Charlie Sarroff hat das Medium Bild nicht neu erfunden, aber sehr effektiv nutzt er Schatten und Unschärfen, um eventuelle Trugbilder entstehen zu lassen. Erfreulicherweise wird dabei gänzlich auf erschreckende Toneffekte verzichtet, generell auch auf Jump-Scares. Dennoch ist Gänsehaut garantiert. Bewegt sich dort jemand im Schatten? Was bedeutet diese verschwommene Silhouette, die sich im Hintergrund erhebt? Das zu Gunsten der gruseligen Stimmung ein viel zu großer Anteil von ganzen Sequenzen viel zu dunkel umgesetzt wurden, scheint zu einem unverständlichen Konzept zu gehören. Mit Sicherheit hätten sonst einige Szenen in der Post-Produktion soweit verbessert werden können, dass man wenigstens ansatzweise etwas erkennen kann.
Eher früher als später kommt man drauf, dass RELIC nicht der übliche Geisterhaus-Thriller sein soll. Die Allegorie dahinter ist tatsächlich ein ganz neuer Ansatz, sehr originell und im Grundsatz gut überlegt. Gut überlegt ist aber nicht gut durchdacht. Wenn man glaubt die Geschichte zu durchschauen, wirft die Inszenierung zwei Stolpersteine auf die Fährte, welche entlarvende Gedanken zunichte machen. Allerdings wird man als aufmerksamer Zuschauer in der Auflösung feststellen, dass man doch von Anfang an richtig lag. Ein bisschen spoilern muss erlaubt sein – das zum Beispiel die Szene mit dem Doktor komplett gegen die eigentliche Idee spricht.
So gerne man Emily Mortimer und Bella Heathcote auch zusehen mag, so richtig bekommen sie ihre Figuren nicht zusammen. Als Mutter und Tochter könnten sie ein glaubhaftes Gespann sein, wo jeder seine Probleme mit dem anderen vor sich herträgt, aber ihre familiäre Bindung dennoch überwiegt. Das Problem nur, dass sich zwischen den beiden keine Befindlichkeiten erklären würden, auch wenn sich beide immer wieder mit skeptischer Distanz umkreisen. Mortimer und Heathcote spielen das hervorragend, mit einem spürbaren Hang zur Abneigung, auf deren Lösung man in einem erklärenden Finale mit großem Aha-Effekt wartet. Aber es wird diesen Effekt nicht geben, weil es keinen Konflikt gibt, den es zu lösen gilt.
Selbst mit 89 Minuten inklusive Abspann, ist Relic noch viel zu lang geraden. Immer wieder hat man das Gefühl, dass sich Natalie Erika James‘ Inszenierung in einigen Punkten wiederholt. Das Schreckenspotential ist dabei immer wieder kurz vor dem abfallen, um sich dann auch nur kurzfristig wieder aufzubauen. Wäre man von der eigentlichen Idee nicht durch konterkarierende Einschübe abgelenkt worden, hätte RELIC mit einem in sich schlüssigen Spannungsanstieg überzeugt. Eine durchaus originelle und sehenswerte Variation eines Geisterhauses, das sich durch kleine, sich anhäufende, aber vermeidbare Mängel zur Mittelmäßigkeit degradiert. Viele gute Elemente, die einfach nicht zusammenpassen wollen. Trotzdem, oder gerade deswegen lohnt sich ein Besuch auf der Website von Natalie Erika James, wo ihre Kurzfilme, eben auch CRESWICK, und die Musikvideos abrufbar sind.
Darsteller: Emily Mortimer, Bella Heathcote, Robyn Nevin, Jeremy Stanford, Chris Bunton u.a.
Regie: Natalie Erika James
Drehbuch: Natalie Erika James, Christian White
Kamera: Charlie Sarroff
Bildschnitt: Denise Haratzis, Sean Lahiff
Musik: Brian Reitzell
Produktionsdesign: Steven Jones-Evans
Australien – USA / 2020
89 Minuten