NÜRNBERG / Cinecitta 16.- 20.09.20
HAMBURG / Savoy Filmtheater 16.- 20.09.20
MÜNCHEN / Cinema 16.- 20.09.20
STUTTGART/ Metropol 23. – 27.09.20
KÖLN / Residenz-Astor 23. – 27.09.20
POSSESSOR
– Kein deutscher Verleih
– VOD ab2.11.20
.
Brandon Cronenberg ist ein Regisseur, der mehr mit Bilder erzählt, als mit ausgefeilten Dialogen. Schon im ersten Setting spielt er mit seinem Kameramann Karim Hussain geschickt den Grundtenor seiner Geschichte aus. Eine Gruppe von Frauen betritt einen Fahrstuhl, und ihre Gesichter spiegeln sich in den Scheiben der Kabine. Die Fahrt geht nach oben und gibt durch die Scheibe den Blick auf das Stadtpanorama frei, die Spiegelbilder der Frauen werden von diesen Ausblick überstrahlt und verschwinden. Unentwegt konfrontiert Cronenberg seine Zuschauer mit Spiegelungen, gedoppelten Szenen und überlagernden Bildern. Es geht nicht einfach um Gedankenkontrolle, sondern den Geist eines Menschen zu übernehmen. Tasya Vos hat das schon so oft und erfolgreich getan, dass ihr eigener Verstand zwangsläufig einmal rebellieren musste.
Die Kunst mit dem ‚Possessor‘ zu arbeiten, ist Körper und Geist des Zielobjekts komplett zu übernehmen, aber gleichzeitig ebenso vollständig das eigene Selbst zu nutzen. Die Aufgaben der hier nicht weiter benannten Firma sind Liquidationen von Personen welche anderen in irgendeiner Weise unangenehm oder im Weg sind. Tasya kann ihr eigenes Ich nur aus dem Wirt lösen, in dem sie den Körper tötet den sie infiltriert hat. Ihr jüngstes Opfer ist Colin Tate, mit dem sie jemanden umbringen soll. Aber Colins Geist will sich am Ende nicht umbringen lassen und stellt sich gegen die ihn dominierende Tasya.
Wie sein Vater auch, hat Brandon Cronenberg scheinbar auch ein Faible für Body-Horror. Ein Begriff, der eigentlich nur wegen David Cronenberg erfunden wurde, weil der Körper seiner Figuren immer das wesentliche Element der jeweiligen Geschichte ist. Der Körper ist schließlich die Kathedrale des Geistes, und wenn man diese angeht, bröckelt die Hülle der eigenen Persönlichkeit und ihre Essenz wird zerstört. Als Beispiel reichen Titel wie THE FLY, SCANNERS oder VIDEODROME. Bei POSSESSOR scheint es, als wolle der junge Cronenberg einen optischen Ausgleich dafür schaffen, wie das körperliche Äquivalent zu der geistigen Dualität zwischen Colin und Tasya aussehen würde. Solche Szenen gibt es nur sehr wenige in POSSESSOR, aber dafür ums so heftiger. Da haben sich die Effektspezialisten viel mit Blut und Brutalität einfallen lassen. Und Matthew Hannams Schnitt verweilt auch entsprechend ausführlich innerhalb dieser Bilder.
Eigenartigerweise fügen sich die schwer erträglichen Bilder aber sehr gut in dieses Konstrukt von Menschsein, Identität und Lebenswillen. Dabei ist Cronenberg aber mehr an der Verschmelzung der beiden Charaktere interessiert, und die Auswirkungen welche zu beider geistigen Verfall führt. In der Geschichte ist der Hintergrund von Colin irrelevant, alles was die Geschichte von ihm preis gibt, ist die intime Beziehung zu jener Frau deren Vater er, oder eben Tasya töten soll. Auch die Vollstreckerin bleibt ein relativ unbeschriebenes Blatt. Was man von Tasya Vos privatem Hintergrund erfährt, ist nur soviel wie es für die Geschichte letztendlich von Bedeutung sein wird. Und da wird so mancher Zuschauer an den Rand seines Sitzes rutschen, denn die Auflösung ist keine Wendung als spielerisches Gimmick. Die Überraschung folgt einer stringenten Logik, die man in dieser Umsetzung nicht vermutet, aber konsequent innerhalb der Geschichte ist.
Auch wenn Andrea Riseborough die Hauptrolle spielt, muss man Christopher Abbott zugestehen die Prämisse des Filmes wirklich verständlich zu machen und zu tragen. Denn Abbott spielt im Grunde keinen Mann als solchen, sondern er spielt eine Frau die einen männlichen Körper erst einmal verstehen muss. Und wie bravourös er das vermittelt, zeigen die Szenen in denen man wirklich überzeugt ist durch ihn Andrea Riseborough zu erkennen. Cronenberg gönnt es sich sogar, nur wenige male, bei Umschnitten in ein und der selben Szene die Schauspieler kurz auszutauschen. Und wenn dies den Zuschauer kurz aus der Spur bringt, dann hat er den erhofften Effekt erzielt, indem er den geistigen Kampf zwischen Tasya und Colin, auf den Zuschauer und seine Auseinandersetzung mit dem Film überträgt.
Es gibt viele Filme, die sich intellektuell oder zum reinen Schauwert mit Gedankenkontrolle, geistiger Manipulation, oder Körpertausch befassen. Es gibt aber nur wenige, die noch einmal einen ganz eigenen Ansatz finden und das Thema für sich neu definieren können. Da ziehen sich die Ansätze gleichwertig von wissenschaftlich zu psychologisch hin zur gereiften Unterhaltung. Brandon Cronenberg ist der filmische Spagat durchweg gelungen, auch wenn POSSESSOR dadurch kein leichter Film geworden ist. Schon allein weil die Dialoge weitgehend in den Hintergrund rücken, und er sich viel eindringlicher über die optischen Ebenen erzählt. Eine erhöhte Aufmerksamkeitsspanne ist dabei von Vorteil. Und man darf nicht zart besaitet sein.
Darsteller: Andrea Riseborough, Jennifer Jason Leigh, Tuppence Middleton, Christopher Abbott, Sean Bean u.a.
Regie & Drehbuch: Brandon Cronenberg
Kamera: Karim Hussain
Bildschnitt: Matthew Hannam
Musik: Jim Williams
Produktionsdesign: Rupert Lazarus
Kanada – Großbritannien / 2020
103 Minuten