EDITORIAL: What a f***ing speech

golden-globes-09, Copyright HFPADie erste Frage am Morgen war, „und wer ist der große Gewinner?“, auf die ich antwortete, „1917.“ Die unsichere Wiederholung meiner sicherlich missverstandenen Antwort war, „Irishman?!“
„Hä?! 1-9-1-7!“
Kein wirklicher Film-Buff am anderen Ende, „nie davon gehört.“
Genau das macht für mich Sam Mendes‘ 1917 zum großen Gewinner. So weit unter dem Radar, stets nur die Hot Shots im Vordergrund, die Legenden, die Meister, die Kulthits nach Ansage. Golden Globes für Regie und Film, wunderbar. Ansonsten eine schon von vornherein absehbar leidenschaftslose Show. Als Ricky Gervais 2010 das erste mal als Gastgeber auf das Publikum losgelassen wurde, grenzten sein ungezügelten Respektlosigkeiten an einen Skandal. Die Hollywood Foreign Press Association musste reagieren, und wagte die Flucht nach vorne. Die Golden Globes wurden nun zum fünften mal von Ricky Gervais moderiert, und das Konzept hat sich mittlerweile merklich tot gelaufen. Gerade in dem Jahr, wo man massiv damit in die Werbung ging, wie unberechenbar der Gastgeber sein würde, und man wisse ja nicht, was passieren wird.

Zwei mal hat Gervais dieses Jahr die Schmerzgrenze überschritten, ansonsten gab es Taktlosigkeiten nach Plan. Empörungen aus dem Publikum hatten dabei immer etwas gespieltes. Die Ausreißer im Begrüßungsmonolog (Judi Denchs Katzenverhalten und die Folgen von Felicity Huffmans Verhaftung)  verdeutlichten nur, wozu der moderierende Brite wirklich fähig gewesen wäre. Stimmungsvoll und unterhaltsam war es dennoch, für den Zuschauer ist es ja nur Teil des großen Ganzen. Aber auch da könnte man sagen, war es eher durchwachsen. Während Michelle Williams‘ extrem feministische Dankesrede enthusiastisch aufgenommen wurde, wirkte sie doch etwas fehl am Platz. Und Patricia Arquettes sehr politische Rede mit der Warnung vor einem Krieg und der aktuellen Regierung im Besonderen, stieß auf sehr gemischte Reaktionen. Aber wenigsten war das der Aufreger, den man sich hinter vor gehaltener Hand bei solchen Festivitäten immer wünscht.

Sehr viel mehr Sympathien erweckte bei mir Russell Crowe, der als bester Hauptdarsteller für die Miniserie THE LOUDEST VOICE ausgezeichnet wurde. Er blieb der Preisverleihung fern, um bei seiner Familie in Australien zu sein. Die von Jennifer Aniston vorgelesene Rede, im Falle einer Auszeichnung, war ein rationaler, aber eindringlicher Appell den Klimawandel endlich als solchen wahrzunehmen. Australien und die Auswirkungen der Großbrände waren damit als roter Faden für die Show gesetzt. Aber nicht störend aufdringlich, oder mit nervenden Fanatismus, sondern wohl dosiert und immer wieder ehrlich von Herzen. Für genug Abwechslung war ja immer wieder gesorgt. Mit Joaquin Phoenix zum Beispiel, der als bester Hauptdarsteller als Favorit der Herzen gehandelt war, aber mit Jonathan Pryce und Adam Driver in der selben Kategorie nicht wirklich den Globe im Sack hatte. Erst als sein Name genannt wurde, konnte man sich mit einem Stoßseufzer und einem selbst belügenden ich-hab-es-doch-gewusst-Gefühl zurücklehnen.

JoaquinPhoenix, Copyright NBCPhoenix sorgte auch für die meisten Irritation im Saal und an den Bildschirmen. Es ist schon erstaunlich, dass sich dieser Mann vor Millionen von Zuschauern als Schauspieler auf der Leinwand so exzessiv extrovertiert darstellen kann. Denn wie unsicher, unbeholfen und verstört er vor 1400 seiner Berufskollegen agierte, war zum einen Teil sehr berührend und zum anderen leicht peinlich. In der Regie musste während der Show insgesamt sechsmal kurz der Ton wegen des F-Wortes weggedrückt werden. Drei F***s waren von Ricky Gervais offenhörlich hausgemacht. Die restlichen drei Tonaussetzer konnte der teilweise orientierungslos scheinende Joaquin für sich verbuchen, dem scheinbar nicht im Geringsten bewusst war, gegen verstaubt verlogenes Prüderiegesetz zu verstoßen. Oder es war ihm einfach verf***t nochmal egal, Phoenix‘ Charakter ist da etwas schwer zu durchschauen.

Das Gegenteil, aber nicht minder genau das, wonach der Filmfreak wirklich geifert, das ist Tom Hanks. Geehrt mit dem Cecil B. DeMille Award für herausragende Dienste an der Filmwelt, war eine leicht längere Rede von Hanks zu erwarten gewesen. Die nutzte dieser außergewöhnliche Mann auch, und bewies in siebeneinhalb Minuten was ihn so außergewöhnlich macht, und warum er auf lange Sicht diese Industrie auch weiterhin positiv beeinflussen wird. Kaum ein Mensch aus diesem Geschäft kann so charmant und eindringlich die Grenzen innerhalb dieses Geschäftes aufheben und Brücken schlagen. Er bringt in einem Satz den unumstößlich scheinenden Martin Scorsese mit dem wirren Ungestüm Jackie Chan zusammen. Hanks nennt wie selbstverständlich die gleichberechtigte Wichtigkeit des Schärfenziehers an der Kameraoptik und der Maskenbildner, welche Stellan Skarsgard für CHERNOBYL die Augenbrauen anbrachten, gegenüber den großen, allseits bekannten Namen. (Im Fall von Stellan Skarsgard bei CHERNOBYL waren das entweder Zaneta Jasiuniene, Jovana Jovanovic oder Ruta Miglinaite).

TomHanks, Copyright NBCWie nebenbei lässt Tom Hanks respektierte, aber weit im Hintergrund agierende Namen wie Holland Taylor und Peter Scolari einfließen. Er bringt den viel gepriesenen und ganz schnell wieder vergessenen Barkhad Abdi ins Spiel, der für sein Schauspieldebut in CAPTAIN PHILIPS eine Oscar-Nominierung erhielt. Und er erklärt den ganz jungen Zuschauern im Saal und Zuhause, dass vor ganz langer Zeit ein Filmstreifen durch die Kamera lief. Nach jeder Szene musste das Bildfenster auf Fusel oder Staub untersucht werden, die sich sonst eventuell auf dem Negativ mit abgelichtet hätten. Erst wenn der Kameraassistent rief dass das Fenster frei, also alles in Ordnung war, konnte die nächste Szene gedreht werden. Tom Hanks schloss mit den Worten, dass sein Fenster frei ist.

Es gibt sie also noch, die Momente, für die man sich diese Shows eigentlich antut. Aber immer weiter sinkende Zuschauerzahlen lassen sich einfach nicht verleugnen. Es gibt viele Menschen, die sehr viel Geld damit verdienen, sich für solche Ereignisse etwas auszudenken. Persönlich sitze ich immer noch begeistert und verträumt, aufgeregt und beleidigt vor dem Fernseher. Man kann aber gerade bei weniger begeisterungsfähigen Menschen nachvollziehen, wenn lieber ein Alternativprogramm bevorzugt wird. Ermüdungserscheinungen werden immer und immer wieder lautstark geäußert. Das ist trotz der persönlichen Begeisterung dennoch verständlich. Um wieder die mitzuziehen, die nicht im Fan sein verhaftet sind, müssen sich die Verantwortlichen eben etwas einfallen lassen. Nicht einfach Jammern, das Fenster ist eben nicht unbedingt sauber.

Bildrechte: Poster HOLLYWOOD FOREIGN PRESS ASSOCIATION, Screenshots NBC
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