THE CURRENT WAR – DIRECTORS CUT
– Bundesstart 23.07.2020
Die Besprechung liegt der amerikanischen Blu-ray Fassung zugrunde.
Es ist schon ein Novum, dass ein Film bereits als Director’s Cut zum regulären Starttermin in die Kinos kommt. Sehr wohlwollend aufgenommen, war THE CURRENT WAR auf namhaften Festivals bereits 2017 gelaufen. Als die Weinstein Company wegen Harveys anstehender Gerichtsverhandlung kurz darauf die Rechte verkaufen musste, fand man im Vertrag des Produzenten Martin Scorsese eine, für diesen Fall sehr glückliche Klausel. Regisseur Alfonso Gomez-Rejon hatte das Recht auf den endgültigen Schnitt, den Final Cut. Einen Tag Nachdreh, ein paar Tage im Schneideraum, einen neuen Soundtrack, und eine Million Dollar später zeigte sich Gomez-Rejon auch endgültig zufrieden. THE CURRENT WAR hat zehn Minuten seiner Laufzeit eingespart, der Film wird straffer, und durch die Nachdrehs, sind die Figuren pointierter. So jedenfalls der Regisseur. Und das Gefühl trügt nicht, dass er damit Recht hat. Historienfilme über solch exaltierten Persönlichkeiten, und zeitgeschichtlich relevanter Thematik, neigen eher zu ermüdenden Überlängen.
Der Stromkrieg um 1890 ist in seiner geschichtlichen Tragweite ein Begriff für sich. Was immer den deutschen Verleih dazu bewogen haben muss, den Titel auf EDISON zu reduzieren und die Erweiterung EIN LEBEN VOLLER LICHT anzufügen, kann nur die Absicht gewesen sein, den Zuschauer zu täuschen. Denn wenngleich Thomas Alva Edison eine dem Thema geschuldete wichtige Rolle einnimmt, so ist er erfrischenderweise nicht die Hauptfigur. Verdientermaßen kommt in der Geschichte um eine der bedeutendsten Errungenschaften für die moderne Zivilisation, auch einmal der Erfinder und Ingenieur George Westinghouse zu Ehren. Als Großindustrieller finanziell gesegnet, kann Westinghouse ganz unabhängig und vorbehaltlos seinen Visionen nachjagen. Für beide konkurrierenden Erfinder ist die Beherrschung des Stroms die Schwelle zu einer neuen industriellen und gesellschaftlichen Revolution. Der eine getrieben von selbstgerechten Geltungsbedürfnis, der andere vom uneigennützigen Streben, Wissen und Möglichkeiten bestmöglich weiter zu geben.
Der Film baut hervorragend auf den zentralen Punkt auf, was gewesen wäre, hätten sich beide Männer zu einem klärenden Gespräch zusammen gefunden. Westinghouse sieht sich mit Edison ebenbürtig und sucht den Kontakt. Doch Edisons Arroganz lässt einen vernünftigen Austausch nicht zu. Mit alle Mitteln, sogar mit der gerade neuen Möglichkeit der Beeinflussung durch Medien, versucht Edison seinen Konkurrenten zu diskreditieren. Westinghouse hingegen will sich gar nicht auf einen direkten Machtkampf einlassen, sondern überzeugt Bürgermeister und Gouverneure mit Würde und Anstand von seiner Elektrifizierung mit Wechselspannung. Edison hingegen ist von Gleichspannung überzeugt, und zeigt sich kompromisslos. Immer wieder montiert Regisseur Gomez-Rejon diese eine Szene in den Verlauf des sich steigernden Wettlaufs, diese eine Szene, wie Westinghouse von seinem Kontrahenten ohne Erklärung einfach versetzt wird. Sehr geschickt stellt das immer wieder die Motivationen beider Erfinder in Frage. Was wäre wenn … Dem Zuschauer wird gewahr, was die Figuren erst am Ende des schmerzhaften Weges voller Entbehrungen, Enttäuschungen und angekratzter Egos erfahren werden.
Während Cumberbatch einen gleichbleibend einseitigen Edison spielt, der von seiner Überheblichkeit nicht abrücken will, brilliert Michael Shannon mit fast majestätischer Würde. Shannons Westinghouse ist ein in seine Idee verbissener Visionär, der aber stets den Boden unter den Füßen spürt. Wenn es im Wettstreit droht eng zu werden, fühlt sich Westinghouse nicht als möglicher Verlierer, sondern er beginnt ungeduldig und verhalten wütend zu werden, weil diese bremsende Auseinandersetzung schlichtweg unnötig ist. Mit nur wenigen Blicken und kleinen Gesten, akzentuierte Pausen in seinen Dialogen, damit erweckt Michael Shannon einen gefestigten und vernünftigen Mann zum Leben. Eine Figur, welche der Zuschauer nicht nur zu respektieren, sondern auch zu lieben lernt. Drehbuch und Regie, und die Gewichtung der Darsteller, räumen mit dem Mythos des unfehlbaren Edison auf und entlarven seine ohnehin zweifelhaften Methoden.
Ein wesentlicher Aspekt den die Geschichte sehr gut wiedergibt, ist die Manipulation und Einflussnahme auf Politik und Gesellschaft. Die exzessive Lobbyarbeit der konkurrierenden Elektrounternehmen war damals schon so erschreckend penetrant, wie sie sich auch heute noch in der aktuellen Wirtschaft ungebrochen hält. Ob es dem geringen Budget von 30 Millionen Dollar geschuldet ist, oder ein bewusster Kunstkniff, lässt sich über die teilweise leicht zu erkennenden visuellen Effekte nicht sagen. Tatsächlich haben die optischen Manipulationen einen fast hypnotischen Charme. Sei es die offensichtlich künstlich erzeugte Zugfahrt zu Edisons Demonstration, die vom Computer dargestellten und illuminierten Häuserblocks, oder der unverhohlen nachbearbeitete Blick auf die von Straßenlampen durchzogenen Landschaften. Das wirkt nicht sparsam oder billig, sondern kokettiert mit den Sehgewohnheiten eines von Effekten verwöhnten Publikums.
Ein von Geschichte faszinierter Zuschauer wird sicherlich die fast schon sträflich kurze Abhandlung von Nikola Tesla in der Geschichte bemängeln. Real betrachtet tut es dem Film und dem Hintergrund der Geschichte sehr gut, weil es dem Thema nicht gerecht werden könnte. Oder der Film wäre dann doch eine viel zu breit aufgestellte Geschichtsreise mit epischen Ausmaßen geworden. THE CURRENT WAR will aber nicht in die Breite gehen, sondern geht sehr geschickt in die Tiefe, und das macht ihn gleichermaßen spannend, interessant und informativ. Und genau mit dieser Erkenntnis, an diesem Punkt, kommt man dann ins grübeln. Der Film hat das richtige Tempo, den richtigen Rhythmus und exakt die Länge, dass man sich als Zuschauer dann doch wider der Vernunft eine kleine Überlänge gegönnt hätte.
Darsteller: Michael Shannon, Benedict Cumberbatch, Tom Holland, Tuppence Middleton, Nicholas Hoult, Matthew Macfadyen, Corey Johnson, Emma Davies u.a.
Regie: Alfonso Gomez-Rejon
Drehbuch: Michael Mitnick
Kamera: Chung-hoon Chung
Bildschnitt: Justin Krohn, David Trachtenberg
Musik: Danny Bensi, Saunder Jurriaans
Produktionsdesign: Jan Roelfs
USA – Großbritannien – Russland
2017 / 102 Minuten