Disney+: DER EINZIG WAHRE IVAN

One Only Ivan 1 - Copyright WALT DISNEY CompanyTHE ONE AND ONLY IVAN
– bei Disney+

Ivan wurde 1962 im Kongo geboren, mit zwei Jahren seiner Familie entrissen, in die Vereinigten Staaten entführt, und lebte 3 Jahre bei einer menschlichen Familie. Bis Ivan zu groß und erwachsen wurde. Von da an lebte er 27 Jahre alleine in einem Raum aus Beton und Stahl. Erst nach dieser unvorstellbar langen Zeit sorgten Aktivisten dafür, dass Ivan für seine letzten 18 Lebensjahre in einem Habitat leben durfte, das seiner Natur und einem natürlichen Lebensraum nahe kam. Dieses bewegende Leben war für Katherine Applegate Inspiration, ein Kinderbuch zu verfassen welches die Kleinen für die menschliche Verantwortung gegenüber der Natur sensibilisieren sollte. Erzählt aus der Ich-Perspektive des imposanten Flachland Gorillas, wurde ‚Der Einzig Wahre Ivan‘ ein erleuchtender Erfolg.

Was ein illustriertes Kinderbuch erfolgreich macht, muss nicht unbedingt auf filmische Ebene übertragbar sein. Oder um es weniger diplomatisch auszudrücken: Es funktioniert nicht. Kindern erklären, was der Mensch falsch macht, fordert wegen des allseits unbeliebten Zeigefingers nur Desinteresse heraus. Hingegen einer verunsicherten, ungerecht behandelten Kreatur eine eigene Stimme zu geben, wenngleich imaginär, stimuliert auf einer ganz anderen Ebene. Drehbuchautor Mike White orientiert sich nicht an der wahren Geschichte des Gorillas, sondern folgt viel zu selbstsicher der abstrakten Abwandlung der wahren Geschichte. Ein bequemes Unterfangen welches weder Ivan gerecht wird, noch der Bedeutung seines Lebens stellvertretend für alle anderen leidenden Lebewesen.

Es ist zweifellos beeindruckend und ausschlaggebend für die Faszination welche sogenannten Hybridfilme auslösen, wie photorealistisch generierte Tiere mit Realaufnahmen harmonieren und interagieren. Das der Technik, aber in erster Linie den herausragenden Künstler vor den Rechnern, keine Grenzen mehr gesetzt sind, wird den Zuschauer noch geraume Zeit viele besondere Erlebnisse bereiten. Und optisch gesehen reiht sich hier DER EINZIG WAHRE IVAN problemlos ein. Mit zu vernachlässigenden Mankos bei Elefantenmädchen Ruby, die schon deshalb nicht ins Gewicht fallen weil der titelgebende Held alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Und das zu Recht. Aber wirklich sehr dicht gefolgt von Bob, dem Streuner, was allerdings auch viel mit dem herrlichen Stimmenspiel von Danny DeVito zu tun hat.

Man kann über den EINZIG WAHREN IVAN sagen was man will, technisch ist er fast makellos. Was nicht nur das hervorragende Charakter-Design der tierischen Helden betrifft, sondern auch die sehr einfühlsame Kameraarbeit, welche sehr gut Stimmungen nicht nur einfängt, sondern auch zu unterstützen versteht. Dazu gehören natürlich auch die sehr sorgsam gestalteten Set-Designs, welche in einer zweckdienlichen Umsetzung von zurückgenommenem Realismus und offensiver Beschönigung gehalten sind. In erster Linie gilt dies natürlich der Unterkunft hinter der bunten Manege des Zirkus im Einkaufszentrum. Schließlich ist auch dieser Film aus dem Hause Disney ganz dem höchstmöglichen Effekt von einnehmender Familienunterhaltung und intellektueller Verträglichkeit unterworfen.

Schon immer auf die Rolle des Querulanten und Außenseiters abonniert, ist Sam Rockwell als Stimme von Ivan eine wahrliche Überraschung. Die Besetzung scheint zuerst fragwürdig, doch Rockwell überzeugt in einer seiner einfühlsamsten Darstellungen, die weniger nach Arbeit klingt, als viel mehr nach Herzensangelegenheit. Man kann nur hoffen, dass Rockwells sonst sehr passender deutscher Stammsprecher Dietmar Wunder auch hier dem Ansinnen gerecht wird. Nichtsdestotrotz haben die ebenfalls dem Maus-Haus entsprungenen JUNGLE BOOK und KÖNIG DER LÖWEN gezeigt, dass es vollkommen unnötig und längst nicht mehr zeitgemäß ist, Tieren menschliche Mimik auf das Gesicht zu rendern. Es spricht auf falsche Art nur die jüngsten Zuschauer an.

One Only Ivan 3 - Copyright WALT DISNEY Company

Jedoch dem EINZIG WAHREN IVAN in seiner filmischen Umsetzung eine relevante Bedeutung zuzusprechen, wäre geradewegs leichtfertig und nicht förderlich. Mit fragwürdiger Naivität hat Thea Sharrock den Film umgesetzt, der vielleicht emotional an ihren romantischen Erstling EIN GANZES HALBES JAHR erinnert, aber zu keinem Zeitpunkt die grundlegende Thematik von IVAN beherrscht. Das Kinder angetan, vielleicht sogar begeistert sein könnten, darf man dem Film nicht absprechen. Aber er beschönigt, bereinigt, und ignoriert den Kern von Geschichte und Botschaft.

Das Ivan gemalt und sich damit ausgedrückt hat, steht außer Frage. Dies aber sehr abstrakt, und dann bestimmt keine blühenden Landschaften. Und das ein Tierpfleger seinen Job aufgibt, um dem Willen seiner achtjährigen Tochter nachzugeben, mag dem Disney-Charakter entgegen kommen. Aber auch hier unterfordert man sämtliche Familienmitglieder, egal welcher Altersklasse. Dafür das die sonst nicht zimperliche Menschenrechtlerin Angelina Jolie als Produzentin (und Sprecherin von Elefantendame Stelle) das Projekt angestoßen hat, enttäuscht der Film durch unreflektierte Wohlfühlatmosphäre und einfältigem Gerechtigkeitsstreben.

Es gibt eine Szene gegen Ende, wo Ivan das erste mal seit 27 Jahren an eine Blume riecht. Sie ist einem legendären Foto nachempfunden, das den einzig wahren Ivan zeigt. Dieser Moment sollte unter die Haut gehen, im Film tut er es nicht, weil es Dank der vorausgegangenen inszenatorischen Defizite gestellt und nicht ehrlich wirkt. Man kann ehrlich zu Kindern sein, aber vor allem sollte man nicht durch Verharmlosung und Verfälschung eine alternative Realität schaffen. Nicht wenn es um so ein Thema geht, dass sich der Film auch noch selbst auf die Fahne geschrieben hat.

One Only Ivan 2 - Copyright WALT DISNEY Company

 

Stimmen:
Sam Rockwell / Dietmar Wunder – Ivan
Chaka Khan / Sandra Schwittau – Henriatta
Ron Funches / Christian Weygand – Murphy
Angelina Jolie / nn – Stella
Helen Mirren /  nn – Snickers
Danny DeVito / Hans-Rainer Müller – Bob
Brooklynn Prince / Zoe Durakovic – Ruby

Darsteller:
Bryan Cranston, Ariana Greenblatt, Ramon Rodriguez, Owain Arthur, Indira Varma u.a.

Regie: Thea Sharrock
Drehbuch: Mike White, nach dem Buch von Katherine Applegate
Kamera: Florian Ballhaus
Bildschnitt: Barney Pilling
Musik: Craig Armstrong
Produktionsdesign: Molly Hughes
USA / 2020
95 Minuten

Bildrechte: WALT DISNEY Company
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