MISBEHAVIOUR
– Bundesstart 01.10.2020
Als 1951 der Brite Eric Morley seinen ersten Schönheitswettbewerb veranstaltete, war es noch eine Werbeveranstaltung für den gerade erst auf den Markt gekommenen Bikini. Der ‚Bikini Wettbewerb‘ war ein Fest für die Presse, welche ihm umgehend den Schlagzeilennamen ‚Miss World‘ verliehen. Morley war das Potential dieser Veranstaltung schnell bewusst, ließ sich Miss World als Markennamen schützen, und machte daraus einen jährliche Wettbewerb, der schließlich ab1959 im Fernsehen übertragen wurde. Die mit der Zurschaustellung von dürftig bekleideten Damen einhergehenden Kontroversen waren dabei grandiose Werbung anstatt erfolgreicher Anti-Diffamierungsprotest. Doch eine aktive aber etwas unorganisierte Frauenbewegung wartete nur auf eine Initialzündung, und die kam mit der Idee von Aktivisten Sally Alexander die Live-Übertragung des Miss World Wettbewerb zu nutzen.
Die Geschichte von MISSWAHL ist eine Erzählung in zwei Teilen die sich immer wieder überschneiden. Inwieweit sich das Buch von Rebecca Frayn und Gaby Chiappe an wahre Dialoge und wirkliche Szenen halten, ist nicht wirklich nachzuvollziehen. Die Struktur selbst ist aber sehr raffiniert, wenngleich auf den ersten Blick widersprüchlich in den Aussagen. Zum einen zeigt er Sally Alexanders Welt zwischen Studium in Oxford und ihre ersten Kontakte zur, später aktive Beteiligung in der Gleichberechtigungsbewegung. Mit fester Beziehung und einem Kind, ist Sally über das eigentliche Alter einer Studentin hinaus, aber ihre gereiftere Wahrnehmung bringt die Feministen-Gruppe ein bisschen auf Linie. Wobei sie sich anderseits auch sehr von der verspielten Spontanität der anderen jungen Frauen leicht anstecken lässt.
Aber nicht nur Frauenrechtsaktivisten machen der Akzeptanz von Miss World zu schaffen, sondern auch die weltweit steigenden Proteste gegen Rassendiskriminierung. In einer fast schon comic-haften Szene fordert Ausrichter Eric Morley auf die Schnelle noch schwarze Anwärterinnen aus entsprechenden Ländern für die Misswahl ein. Das führt später in den Vorbereitungen zu absurden, zum Teil bitterbösen Wortwechseln, welche die Scheinheiligkeit und Banalität so einer Veranstaltung wiedergeben. Unvermittelt gibt es da auf einmal zwei Miss Südafrika, eine schwarz, die andere weiß. Oder jemand hält die Tracht einer Prinzessin für das Kostüm eines Baumes. In diesem Mikrokosmos von peinlichen Momenten und Eitelkeiten steht Miss Grenada Jennifer Hosten, für die sich allein mit der Teilnahme ein Traum erfüllt.
Man darf Regisseurin Philippa Lowthorpe zu dem Casting eines außergewöhnlichen Ensemble nur gratulieren. Vielleicht hätte man Jessie Buckley als ununterbrochen aufgedrehte Schnodderschnauze etwas mehr Tiefe verleihen können, aber insgesamt ist es eine Riege fabelhafter, durchaus überzeugender Darsteller. Auch Rhys Ifans sehr fahriger und übersteigerter Eric Morley wird nie zu der Witzfigur, welche leicht möglich gewesen wäre. Jeder Charakter behält immer ein starkes Stück an Würde, Ehrlichkeit und Sympathie. Nur hätte dieses Team auch eine entsprechend zugängliche Inszenierung verdient. Doch Lowthorpe hat sich mit einer unumstößlichen Vehemenz dem Mittelweg von Drama und leichter Komödie verschrieben. Und das bedeutet zu unbeschwert für ein Drama und zu ernst für eine Komödie.
Spannend ist die Geschichte allemal, auch wenn das Erlebnis nicht wirklich nachhaltig bleibt. So vertreten beide ineinander verwobene Geschichten zwei absolut gegensätzliche Weltbilder, welche den Zuschauer emotional in der Schwebe lassen. Doch mit einem wirklich exzellenten Kniff löst sich dieses Dilemma in einer finalen Sequenz, die mit einer durchaus nachdenklich stimmenden Auflösung überrascht, die man emotional schon festgelegt, so nicht wirklich im Sinn hatte. Auf diese Art funktioniert DIE MISSWAHL durchaus als Spiegel seiner Zeit, die im perfekten Zeitkolorit geerdet ist.
Doch der Film lässt ein gravierendes Merkmal vermissen, und das ist seine Geschichte in einen aktuellen Kontext zu setzen. Es hat sich bei der Gleichberechtigung für Frauen seither viel getan, aber bei weitem nicht genug. Und hier fehlt einfach ein aktueller oder noch immer aktueller Bezug, welcher dieser Erzählung ein gewisses Maß an Allgemeingültigkeit verleiht, und nicht einfach nur zur historischen Anekdote macht.
Dem Buch geht jeder Art von subtilen Untertönen ab, und die Rolle der Frau bleibt eigenartig unreflektiert. So ordnet sich zum Beispiel Sallys Mutter einfach unter, obwohl sie sich des Unrechts bewusst ist. Allgemein führt der Film die Frauen in der Opferrolle vor. Auf der anderen Seite gibt es aber auch keine exemplarisch weibliche Figur, die dem Weltbild der untergeordneten Frau eine Berechtigung zusprechen würde.
Als Sally in einer Gruppe mit einem Professor ihre Arbeit über weibliche Selbstbestimmung erörtert, meint dieser nur unbedacht lapidar, sie bräuchte ein Thema von allgemeinen Belang und sollte sich von minderwertigen Interessen fernhalten. Sallys Kommilitonen verschwenden an dieser Aussage keinen zweiten Gedanken, und bleiben auf sich selbst konzentriert. Das ist eine der leider nur ganz wenigen Szenen, die dem Kern des Films am nächsten kommen. Wie zynisch und ignorant die Welt vor gerade einmal 50 Jahren noch war, vergisst dabei aber zu fragen, ob sich wirklich soviel geändert hat. Jene Szene verdeutlicht auch, dass der durchaus unterhaltsame und ansehnliche Film noch weit aus mehr Potential gehabt hätte.
Darsteller: Keira Knightley, Jessie Buckley, Keely Hawes, Gugu Mbatha-Raw, Rhys Ifans, Lesliy Manville, Greg Kinnear u.a.
Regie: Philippa Lowthorpe
Drehbuch: Rebecca Frayn, Gaby Chiappe
Kamera: Zac Nicholson
Bildschnitt: Úna Ní Dhonghaíle
Musik: Dickon Hinchliffe
Produktionsdesign: Cristina Casali
Großbritannien – Frankreich / 2020
106 Minuten