A NICE GIRL LIKE YOU
– Bundesstart 24.09.2020
Wer so aufgeräumt ist wie Lucy, der hat es schon zwangsläufig nicht sehr leicht. Wer gerade einmal die Dreißig erreicht hat, darf organisiert aber dennoch voller spontaner Ungezwungenheit sein. Nicht ganz so bei Lucy, wo selbst Merkzettel an der Pinnwand im rechten Winkel und exakt gleichem Abstand zueinander hängen. Und die ständig bereitliegende Liste für Erledigungen hat dann auch etwas Neurotisches. Beim Sex den Pyjama anzulassen, weil es ja unerwartet an der Tür klingeln könnte, ist eine Sache. Aber die Aufgabenlist während des Aktes vervollständigen zu müssen, schlägt dann doch gewaltig auf die Libido. Das ihr Freund sich dann doch lieber eine Auszeit mit Internet-Pornos nimmt, lässt Lucy in sich gehen. Und was wäre für eine konstruktive Selbstreflexion geeigneter als eine passende To-Do-List. Aus gegebenen Anlass und treffender Kritik heraus, besteht die List aus 12 versauten Dingen die Lucy abarbeiten muss.
Ganz im Sinne der verrucht, obszönen Komödien die ihren Fokus inhaltlich auf Frauen ausrichten und für ein weibliches Publikum konzipiert sind, setzt BRAVE MÄDCHEN auf eine gehörige Portion Schlüpfrigkeit und ordinäre Kalauer. Zumindest haben sich das die Autoren Ayn Carillo Gailey und Andrea Marcellus so ausgedacht, und die Brüder Chris und Nick Riedell (alphabetisch) offensichtlich auch vorgenommen. Doch alle verruchten Absichten verlaufen bei dem BRAVEN MÄDCHEN irgendwie in einer braven Abfolge von Lachern für verklemmte Gemüter und absehbaren Handlungselementen.
Da gibt es als Beispiel dreizehnjährige Jungs, die ihre ersten Erfahrungen mit Internet-Pornos machen wollen. Wie man so einen Film für ein spätpubertierendes Publikum inszeniert, dass er frech weg frivol bleibt, aber die Altersgrenze nicht verletzt, haben Gene Stupnitsky und Lee Eisenberg sehr eindrucksvoll und extrem originell mit GOOD BOYS demonstriert. Und das gleichermaßen für alle Altersgruppen. Es hätte den Riedell-Brüdern gut getan, hier einmal einen Blick zu riskieren. Denn für welches Publikum das BRAVE MÄDCHEN inszeniert ist, bleibt schleierhaft. Immer wieder möchte er vulgär sein und die Grenzen überschreiten, zieht aber dann den Schwanz ein, wenn es darauf ankommt. So, jetzt ist das böse Wort gefallen. Der Film hingegen wagt es nie, den ganzen Weg zu gehen.
Der letzte Punkt auf Lucys Liste ist zu einem Mann zu sagen „gib mir deinen pulsierenden Schwanz“. Worte die man nie zu hören bekommt, sondern immer nur als Grafik auf der Leinwand zu lesen sind. Auch wenn Lucy am Ende alle ihre zwölf selbstauferlegten Aufgaben erledigt hat. Ist sie am Ende dann ein veränderter Mensch, ist sie lockerer, unverklemmter, offener? Nicht nennenswert. Sie hat einen Sex-Shop besucht, eine Porno-Darstellerin kennen gelernt, war bei einer Sex-Therapeutin und so weiter. Aber es ist absolut uninspiriert umgesetzt, es ist nicht witzig, erst recht nicht versaut, die einzelnen Sequenzen enden auch immer sehr abrupt ohne eine erkenntnisreiche Auflösung. Man bekommt schnell den bitteren Beigeschmack, die Inszenierung bricht aus Gründen des guten Geschmacks an der Stelle ab, bei der die katholische Mädchengruppe zu kichern beginnt.
Da helfen auch die durchweg guten Schauspieler nicht, die allesamt eine angenehme Natürlichkeit versprühen, wo man als Zuschauer sehr gerne die Grenzen des guten Geschmacks mit ihnen überschritten hätte. Selbstverständlich ist so etwas nicht zwingend erforderlich, aber der gesamte Plot ist doch darauf ausgelegt. Und wenn man als Filmemacher wirklich die letzte Konsequenz umgehen will, dann sollte man sich wenigstens originell und inspiriert zeigen. Denn seit Apatows BRAUTALARM ist dieses taktlose Sub-Genre einfach auf einem längst etablierten Unterhaltungsniveau für Komödien die auf Frauen ausgerichtet sind.
Aber der kritisch abwertenden Betrachtung nicht genug, weil der Film auch bei seinem zweiten, in die Grundhandlung eingewobenen Erzählstrang vollkommen den Fokus verliert. In dem Bemühen ihre Prüderie zu widerlegen, und ihr schamhaftes Wesen abzulegen, lernt Lucy ganz nebenbei und wie zufällig ihren Traummann kennen. Der verständnisvolle, Rücksicht nehmende, man könnte sagen ritterliche Grant Anderson taucht unmotiviert, und mit den fadenscheinigsten Begründungen immer da auf wo es das Drehbuch für angebracht hält. Aber nie zu dem Zeitpunkt wo es Sinn machen würde, oder es eine plausible Erklärung geben könnte. Das verursacht eher Kopfschütteln als romantische Impulse.
Die Regie geht dabei sogar soweit, dass Grant für weite Teile vollkommen aus der Handlung herausfällt und er für Lucy obsolet wird. Nur damit er wieder in eine Szenen gequetscht wird, wenn der Verlauf den nötigen Zeitrahmen dafür frei machen kann. Oft vergisst man auch im Schlamassel unausgegorener Handlungsteile, dass es ja den Mann für Lucy Herzen überhaupt noch gibt, würde er nicht ab und an unvermittelt wieder im Bild erscheinen. Grant Anderson bleibt für die Erzählung irrelevant, weil sein Charakter nichts zu der Entwicklung der Geschichte oder der Figur Lucy beiträgt außer sie am Ende ins Bett zu bekommen. Das ist fatal für jede romantische Komödie, und noch sträflicher in einer verrucht derben Komödie. Da ist der Aufbau und die Festigung einer anstehenden Beziehung und die gegenseitige Befruchtung beider Figuren essenziell um dem tonalen Charakter eines solchen Films ein emotionales Gleichgewicht zu geben.
Darsteller: Lucy Hale, Leonidas Gulaptis, Jackie Cruz, Mindy Cohn, Adhir Kalyan, Stephen Friedrich, Leah McKendrick u.a.
Regie: Chris Ridell, Nick Riedell
Drehbuch: Ayn Carillo Gailey, Andrea Marcellus
Kamera: Nico Van den Berg
Bildschnitt: Jeff Castellucio
Musik: Aaron Zigman
Produktionsdesign: Traci Hayes
USA / 2020
94 Minuten