BLACKBIRD
– Bundesstart 24.09.2020
Würde man beide Filme parallel sehen, müsste man sich wie so oft fragen: Warum? Der Hang amerikanischer Produzenten besonders skandinavische Dramen einer Neuverfilmung zu unterziehen, ist wegen derer ungewöhnlichen Sensibilität gegenüber ihren Themen durchaus nachvollziehbar. Fast schon ad absurdum wurde diese Praktik bei COLD PURSUIT geführt, der mit den fast selben Machern, inklusive Regisseur den Thriller IN ORDER OF DISAPPEARENCE wieder verwertete. Ähnlich trifft es Bille Augusts Drama SILENT HEART von 2014, wo Autor Christian Torpe fünf Jahre später auch die aktuell amerikanische Fassung verfasste. Und sieht man nun beide Filme parallel, bleibt die Frage – warum?
Lily und Paul haben die Familie, einschließlich Lilys beste Freundin Liz, auf ein letztes gemeinsames Wochenende in ihr Haus am Meer geladen. Es sollen noch einmal ungezwungene Tage, wie ein normales Wochenende werden, an dessen Ende der endgültige Abschied steht. Die sterbenskranke Lily hat beschlossen, ihr Leben selbst zu beenden, bevor die Krankheit sie in Kürze zu einem handlungsunfähigen Gemüse macht. Obwohl sich im Vorfeld alle mit Mutters Entscheidung des verkürzten Daseins einverstanden zeigten, brechen an diesen letzten zwei Tagen doch die ein oder anderen Befindlichkeiten durch die heil scheinende Fassade.
Es dürfte nicht verwundern, dass vor dem eigentlich heiklen Thema, zuerst einmal das Ensemble Aufsehen erregen dürfte. Und in dieser Riege an Darstellern sticht auch noch der Unbekannteste unter den Namen hervor, Anson Boon, der sich mit seinem bescheidenen, ehrlichen Spiel einen gleichwertigen Rang inmitten der anderen Schwergewichte erarbeitet. Was im Umkehrschluss eigentlich bedeutet, dass man über den Rest schon gar kein Wort mehr verlieren muss. Das Buch und die feinfühlige Inszenierung von Roger Michell legen die Charakter aber auch sehr genau auf eine gleichberechtigte Gewichtung.
Was noch einmal den Vergleich angeht, so sind die Dialoge weitgehend identisch mit denen des Originals. Genau wie sich die Inszenierung zum größten Teil an exakt wiederholten Kameraeinstellungen bedient. Ein wirklicher Versuch des parallelen Sehens ist ein sehr interessantes Experiment. Es gibt einige kleine Änderungen, die allerdings keinerlei Relevanz besitzen, oder gar an Aussagen oder Bedeutung etwas ändern würden. Selbst aus einem vormals männlichen Charakter eine Frau zu machen ist ohne jede Bedeutung. Eine Ausnahme in dieser Regel folgt natürlich auf dem Fuß, und das betrifft das Ende, wo Mutter Lily mit ihren Töchtern Anna und Jennifer noch einmal für eine Szene alleine verbringt. Das Fehlen im Original könnte man als rational bezeichnen, in BLACKBIRD ist es emotional. Letztendlich also eine Frage der persönlichen Einstellung des Beobachters.
Dieses Ende welches man, unberechtigterweise, als emotionale Übersteigerung beschreiben könnte, fügt sich allerdings viel besser in den tonalen Kontext des gesamten Films. Tragen skandinavische Filme aus nicht nachvollziehbaren Gründen stets eine melodramatische Atmosphäre vor sich her, bleibt BLACKBIRD stets bei einer versöhnlichen Grundstimmung. Ein Paradebeispiel, wie die magischen Mechanismen des Kinos funktionieren, auch wenn sich in den Dialogen und Einstellungen nichts nennenswertes verändert. Allein Peter Gregsons einfühlsamer Soundtrack ist keineswegs so melancholisch, sondern viel tröstlicher und beruhigend. Das Haus am Meer ist immer Licht durchflutet, als eines der vielen lebensbejahenden Elemente.
Christian Torpes Geschichte ist auch keine Auseinandersetzung mit dem Tod an sich, sondern ist in erster Linie an den Hintergründen der Menschen interessiert, die sich mit einer unumkehrbaren Situation konfrontiert sehen. Nicht der sterbenden Lily wird die Endlichkeit zur Last, es sind ihre Töchter die sich plötzlich um ihre Möglichkeiten, ihren Komfort und ihre Zeit betrogen fühlen. Wobei es für Lily keine Frage des Sterbens ist, sondern ein Bekenntnis zum Leben. Beim Rest der Familie geht es um verpasste Gelegenheiten, die plötzlich zu Versäumnissen werden könnten. Paul hingegen verdrängt seine wahren Empfindungen hinter der Verpflichtung gegenüber seiner Frau. Nicht was gesagt werden muss ist wichtig, sondern wann man es sagt, und wem. Und plötzlich verfällt man in einen Egoismus, den man nicht wahrhaben will, und dafür eine angebliche Sorge um jemanden Anderen vorschiebt.
BLACKBIRD ist eine sehr dichte und glaubwürdige Inszenierung, die absolut auf vordergründigen Kitsch zu verzichten versteht und dennoch immerzu berührt. Über das Ensemble braucht man ja nicht mehr zu reden, weil man sich vor Begeisterung zu schnell in leere Worthülsen stürzen würde. Es sind die Charakterzeichnungen selbst, die mit einer packenden Ehrlichkeit überzeugen. Immer wieder ertappt man sich als Zuschauer die Wesenszüge einer Figur durchschaut zu haben, und in dieser dann ein inszenatorischen Stereotyp festlegen zu wollen. Doch auf eine sehr wohltuende und beeindruckende Weise agieren die Protagonisten dann immer wieder gegen althergebrachte Blaupausen, obwohl sie ihre jeweiligen Charakter nie auf den Kopf stellen. Da finden auch die nervigsten Eigenschaften plötzlich eine Vernunft basierte Rechtfertigung. Wann immer BLACKBIRD anfängt bei seinen Figuren schwarz zu sehen, kehren sie sich unvermittelt wieder ins Gegenteil.
Also, warum? Weil es ein sehr eindringlicher, exzellent gespielter Film ist. Er glänzt nicht mit einer Fülle an Originalität, sondern strahlt mit seiner greifbaren Lebensnähe. Selbst wenn man das Gefühl haben sollte, dass Filme dieser Art und mit dieser Thematik bereits zur Genüge gemacht sind, steht BLACKBIRD über diesem Vorurteil. Es gibt viel zum nachdenken, oftmals was zum weinen, es darf viel gelacht werden, aber vor allem dieses unglaublich homogene Ensemble.
Darsteller: Susan Sarandon, Sam Neill, Mia Wasikowska, Rainn Wilson, Lindsay Duncan, Kate Winslet, Bex Taylor-Klaus, Anson Boon
Regie: Roger Michell
Drehbuch: Christian Torpe
Kamera: Mike Eley
Bildschnitt: Kristina Hetherington
Musik: Peter Gregson
Produktionsdesign: John Paul Kelly
Großbritannien – USA / 2019
97 Minuten