THE GOOD LORD BIRD
– bei SKY Freitags Doppelfolgen
– ab 28.11.2020 komplette Serie
Wenn Henry Shackleford das erste mal auf John Brown trifft, ist er ungefähr 13 und ein schwarzer Junge. Und wie das mit Dialekten und Aussprache so ist, kann man sich schnell verhören. Aus Henry wird Henrietta, John Brown gibt ihm ein Kleid, und weil Henrietta eine Zwiebel isst, bekommt sie ihren Spitznamen ‚Onion‘. Denn John Brown fühlt sich jetzt für Onion verantwortlich, weil seinem Vater aus Versehen das Leben genommen wurde. Schuld daran war eben nun einmal Brown, der einen anderen töten musste, der den Namen des Herrn missbrauchte und nicht der Sklaverei abschwor. So war John Brown, selbstgerechter Prediger und fanatischer Abolitionist. Alles hier ist wahr. Das meiste ist passiert. Das verspricht die Einleitung. Und setzt den Ton.
Es ist 1858. Henry Shackleford ist in Sklaverei geboren. Ungewollt von John Brown befreit, wird er später einmal lakonisch äußern, dass es ihm mit einem Master besser erging. Henry, oder besser gesagt Henrietta, vielmehr Onion, ist die einzig erfundene Figur in dieser siebenteiligen Mini-Serie, alle anderen real. Brown, seine Söhne, die ergebenen Mitstreiter, alle auf dem Feldzug gegen die Sklaverei. Unterwegs begegnet der Zuschauer auch Persönlichkeiten die landläufiger bekannt sind, wie Harriet Tubman oder Frederick Douglass.
Alles ist wahr. Das meiste ist passiert. Es bedeutet Vorsicht für Geschichtsliebhaber, Detailfanatiker, Menschenrechtler und Gutmenschen. Wer sich über die hier dargestellten Ereignisse informieren möchte, wird schnell feststellen, wie wahr die einleitenden Worte sind. Es lässt sich wirklich nicht konkretisieren, ob John Brown ein geistig gestörter Mensch war, oder ein von Gott geführter Apostel, weitsichtiger Politiker, oder weltfremder Scharlatan.
Das die Geschichte aus der Sicht des fiktiven Henry, besser gesagt Onion, erzählt wird, hat viele Vorteile. Das führendste Argument dafür. Die Serie, wie wahrscheinlich auch die Romanvorlage, gibt dem Beobachter einen geistig gesunden Abstand zu den tatsächlichen geschichtlichen Ereignissen. Und in Ehrgeiz, Begründung, und Durchführung sind diese Ereignisse wahnsinnig, vernünftig, chaotisch, lächerlich, brutal, komisch, dramatisch, nachvollziehbar, oder schlichtweg erstunken und erlogen. Manchmal ein jeweiliges Attribut für sich, und manchmal alles zusammen.
Das hört sich nach verdammt viel Holz auf einmal an, aber ein prüfender Blick wird es schnell bestätigen. Sehr aufwendig, oder episch sind die sieben Teile von ihren fünf Regisseuren nicht inszeniert. Die sechs Autoren haben das aber auch gar nicht so angelegt. Die Handlung bleibt immer strikt bei den Hauptfiguren, oder eben bei Henry Shackleford, sollte er durch merkwürdige Umstände von der wackeren Armee der Abolitionisten getrennt werden.
Captain John Browns Armee nimmt sich dabei als fast schon jämmerlicher Haufen von gerade zwölf Mann Stärke aus. Der Wille, die Kraft und die Zuversicht es gegen alle Sklaven haltende Staaten aufzunehmen bleibt allerdings ungebrochen. Wenn nach dreieinhalb Stunden der geschichtlich und handlungstechnisch entscheidende Showdown in Harpers Ferry beginnt, glaubt man immer noch, dass nun das große Spektakel ausbrechen würde. Doch auch hier bleibt die Inszenierung dicht an den Personen, und zeigt sich auch hier an der charakterlichen Zeichnung viel interessierter, als an Effekten.
Man könnte GOOD LORD BIRD als Farce bezeichnen, als Satire, oft als Komödie. Aber es ist nie albern, unrealistisch, oder stumpfsinnig. Dafür ist die Serie ungemein subversiv. Immer wieder werden Aktionen und in Frage gestellt, da werden die vermeintlich Guten gerne mal zu den Bösen, der Feind zum Vernunftbegabten. Ja, und das nur hinter vorgehaltener Hand, die Abschaffung der Sklaverei auch einmal in Frage gestellt.
Es ist oftmals beeindruckend, wie die Serie ihr Gleichgewicht hält, und nie in verklärte Heldenverehrung abrutscht. Es wird an vielen Stellen auch deutlich, welch verworrene Zeiten es damals wirklich waren. Wo niemand im Lexikon für eine perfekte Revolution nachsehen konnte, und Meinungsbildung nur sehr einseitig stattfinden konnte. Und zum großen Glück sieht man den Wilden Mittleren Westen nicht als schießwütiges, mordlüsternes, rechtsfreies Land. Es wurde viel diskutiert, und geschossen wurde nur im äußersten Notfall.
Diese speziellen Wahrheiten sieht man sehr selten, und haben durchaus etwas erfrischendes. Realität verzerrende Versatzstücke sucht man vergeblich, oder werden konterkariert. Und da kommt Onion ins Spiel, der Erzähler. Er kann gut damit leben für ein Mädchen gehalten zu werden, und dafür immer Kleider zu tragen. Man genießt gewisse Vergünstigungen. Ob er ein Spiegel seiner Mitstreiter ist, oder ihr messianischer Bote, das wird nie klar. Macht aber auch um so mehr Spaß.
Vielleicht war der Gedanke auch, mehrere andere Personen des realen Lebens in Hanry Shackleford zu vereinen. Aber vielleicht ist er letztendlich auch vollkommen unbedeutend. Das ist tatsächlich eine Sache der Interpretation, die dem Zuschauer überlassen bleibt, und das eigentliche Konzept bildet. Ständig wird Onion in Diskussionen mit einbezogen, unentwegt wird er was gefragt, ohne dass er antworten könnte. Doch alle sind stets davon überzeugt, er hätte etwas intelligentes dazu beigetragen.
Ohne Übertreibung ist Henry Shackleford einer der kühnsten und interessantesten Charaktere, welche in letzter Zeit eine Serie bestimmen durfte. Niemand stellt sein ihm aufgezwungenes Mädchen in Frage. Natürlich muss sich dieser Umstand des vertauschten Geschlechts auf gewisse Weise auflösen. Aber das ist wieder eine Geschichte für sich, und sehr hintersinnig, ganz im Sinne dieser durch und durch verrückten, ehrlichen und absurd wahren Geschichte. Und Joshua Caleb Johnson gibt dieser Geschichte in seiner ersten Hauptrolle ein beeindruckend einnehmendes Gesicht.
Je nachdem welche Seite man befragt, war John Browns Angriff auf das Waffenlager Harpers Ferry der Beginn des Bürgerkrieges zur Befreiung der Sklaven, oder unbedeutende Fußnote der Geschichte. Sicher ist, das der Angriff auf Harpers Ferry zumindest die Kette von Ereignissen auslöste, die zum Bürgerkrieg führte.
Darsteller: Ethan Hawke, Joshua Caleb Johnson, Hubert Point-Du Jour, Beau Knapp, Daveed Diggs, Zainab Jah, Steve Zahn, Wyatt Russell, Mo Brings Plenty, Jack Alcott, Nick Eversman, Ellar Coltrane, McKinley Belcher III, David Morse, Orlando Jones u.a.
Meet The Lord
Regie: Albert Hughs
Buch: Mark Richards, Ethan Hawke
A Wicked Plot
Regie: Kevin Hooks
Buch: Erika L. Johnson, Mark Richards
Mister Fred
Regie: Darnell Martin
Buch: Erika L. Johnson, Jeff Augustin
Smells Like Bear
Regie: Kevin Hooks
Buch: Mark Richard
Hiving The Bees
Regie: Haifaa al-Mansour
Buch: Mark Richard, Lauren Signorino
Jesus Is Walkin
Regie: Haifaa al-Mansour
Buch: Mark Richard, Kristen SaBerre
Last Words
Regie: Kate Woods
Buch: Mark Richard, Erika L. Johnson
Kamera: Peter Deming
Bildschnitt: Christopher Nelson, Sue Blainey, Trevor Penna, Ron Rosen
Musik: Jamison Hollister
Produktionsdesign: John Blackie
USA / 2020
334 Minuten