bei Sky: AVENUE 5

Avenue 5 b, Copyright HBOAVENUE 5 – bei SKY ab 23.06.2020

Avenue 5 a, Copyright HBOEin Film der gehobenen Preisklasse braucht einige Zeit, um als Endprodukt auf die Leinwand zu kommen. Erste Konzepte, Produzenten finden, Entwürfe gestalten, Drehbücher schreiben, das Casting, Produktion, Nachproduktion. Das kann Jahre dauern. Bei Serie geht es meist ein klein wenig schneller. Da kann noch am Konzept gearbeitet werden, wenn die erste Klappe schon geschlagen ist. Aber auch das verschlingt einiges an Zeit. Steve Carells SPACE FORCE veranschlagte 18 Monate von der Idee bis zur Ausstrahlung. Umso erstaunlicher, was da bei AVENUE 5 passiert ist. Das fing 2017 an und ging April 2019 in Produktion. Exakt ein Jahr später sieht sich die Geschichte des vom Kurs geratenen Kreuzfahrtraumschiffes an, als wäre Handlung und Hintergrund genau aus den aktuellen Ereignissen heraus entnommen. Erstaunlich, erschreckend und unheimlich komisch.

Science Fiction boomt. Sie boomt vor allem in Serienform. Die Wiederauflage von LOST IN SPACE, zwei STAR TREK Serien, Disneys MANDALORIAN, oder THE EXPANSE, ALTERED CARBON, ANOTHER LIFE, um nur die Matadore zu nennen. Doch was ist für diese Welle verantwortlich, … natürlich die Machbarkeit. Eine Zukunft mit neuen Städteentwürfen, realistisch wirkenden Raumschiffen, noch nie gesehenen Galaxien, die Umsetzung von Schwerelosigkeit, die Vermittelbarkeit des bisher nicht Greifbaren. Es sind die immer einfacher, und immer billiger zu realisierenden Visuelle Effects, welche die Grenzen überwinden und bisher unbekannte Welten entstehen lassen. AVENUE 5 braucht das alles nicht. AVENUE 5 muss auch keine Grenzen überwinden, weil sie ganz irdisch gebunden ist, und das irgendwo im Schlingerkurs um den Saturn. Ganz augenscheinlich hat AVENUE 5 nicht die aufwendigsten Effekte, für eine Weltraumserie sogar sehr wenige. Aber diese visuellen Appetithappen sind auf den Punkt, zeigen dabei immer noch mehr als nötig wäre, und unterwerfen sich der Geschichte und dem optischen Gesamtkonzept. Nicht wie gewöhnlich anders herum.

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Eigentlich ist der Kreuzfahrtraumer ‚Avenue 5‘ schon auf der fünfwöchigen Heimreise vom Saturn zur Erde. Ein kleines Malheur bei der künstlichen Schwerkraft lässt das Schiff um nullkommaetwas Grad vom Kurs abweichen. Im heimischen Wohnzimmer irrelevant, im Weltraum eine Katastrophe. Anstatt der fünf Wochen braucht ‚Avenue 5‘ nun 3 Jahre zur Erde. Mit tausenden von verwöhnten, dekadenten, ständig nervenden Snobs an Bord, kein leichter Auftrag für die Crew. Doch die erweist sich als unqualifiziert, dilettantisch, und überfordert, schon allein weil die meisten davon nur Schauspieler sind, die mit Raumfahrt nicht das Geringste zu tun haben.

Serienerfinder Armando Iannucci hatte mit seinem Autorenteam sehr viel zu tun, aber dies mit offensichtlich sehr viel Energie und Freude absolviert. An erster Stelle steht natürlich überragend, unglaublich wandlungsfähig innerhalb seines Charakters,  Hugh Laurie als Captain Ryan Clark. Ein Mann, bei dem selbst geschmacklose Ausrutscher, natürlich und ehrlich wirken. Wie sich herausstellen wird, auch nur ein Schauspieler, der nur angeworben wurde, um den überheblichen Passagieren einen respektablen und ansehnlichen Kapitän zu präsentieren. Lauries Talent bringt eigentlich jede Szene auf den Punkt. Überhaupt ist die Inszenierung aller neun Episoden auf den Punkt. Jeder Gag, jeder humoristische Einschub, was im Hintergrund geschieht, oder im Vordergrund abläuft, ist locker und unaufdringlich umgesetzt. Keine Szene wird um des Lachers Willen ausgespielt oder überzogen, kein Witz maximal ausgereizt. Jede Folge behauptet sich über dreißig Minuten in einem steten Fluss, ohne sich in seiner eigenen Genialität zu sonnen.

Als unterdrücktes und verkanntes Ingenieursgenie Billie darf sich Lenora Crichlow behaupten, die scheinbar Einzige an Bord, die weiß wovon sie spricht. Allerdings ist Billie als Charakter nicht so kantig ausgearbeitet. Was dafür Rebecca Front als großspurige Nervensäge Karen wieder wettmacht. Eine Passagierin die man auf der Stelle hasst. Man könnte versucht sein zu behaupten, Front hätte sich mit dieser Rolle keinen Gefallen getan. Jeder kennt so eine Karen, aufdringlich, laut, nervend und jemand dem man einfach mit der flachen Hand ins Gesicht schlagen möchte. Jedes mal, wenn sie den Mund aufmacht. Vollkommen aus dem Ruder der Vernunft läuft Zach Wood als Passagierbetreuer. Sein Matt Spencer ist ein nihilistischer Alptraum, der ununterbrochen äußerst unangebrachte Dinge von sich gibt, und noch nie von Taktgefühl gehört hat. Von bemitleidenswerter Freudlosigkeit geprägt ist Iris Kumura, die rechte Hand des Chefs wird mit viel energischer Verbissenheit von  Suzy Nakamura dargestellt. Ständig am Rand des Nervenzusammenbruchs, versucht sie immer wieder das Gröbste zu verhindern, um die geistigen und geschäftlichen Schäden für das Unternehmen mit der Avenue 5 so gering wie möglich zu halten. Wenngleich sie weniger zu tun hat, muss man unbedingt Daisy May Cooper als Pilotin Sarah erwähnen, die mit ein und dem selben Namen für zwei verschiedene Rollen ihres Charakters, für Verzweiflung sorgt.

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Hingegen ziemlich fehl am Platz und kaum ausgearbeitet, nervt Ethan Philips als ausgedienter Astronaut ohne wirklichen Unterhaltungsfaktor. Nicht ganz so fehlbesetzt, aber nicht wirklich stimmig wirkt Josh Gad als Multimilliardär Herman Judd, Besitzer der ‚Avenue 5‘. In Erscheinung und mit seinem Gehabe, seine gesamte extrovertierte Art, macht den Mann mit viel Geld leider zu einer eindimensionalen Karikatur, die mit viel Übertreibungen zu punkten versucht, aber zu den anderen Figuren und ihren Darstellern nur abfällt. Dabei steht dieser Herman Judd dem am nächsten, was man von der Serie in die Wirklichkeit übertragen kann. Ein Mann, der glaubt alles zu wissen, sich für keine Lüge zu dumm ist, vor Unwissenheit nur strotzt, wissenschaftliche Vorschläge macht, die jeder Vernunft spotten, und sich in wirklich jeder Beziehung und zu jedem Thema als inkompetent erweist. Ein stabiles Genie eben.

Wer gerne lacht, ist bei AVENUE 5 sehr gut aufgehoben. Und dabei ist es egal auf welches Humor-Niveau man eingestellt ist. Von Slapstick zu Wortspiel, vom Fäkalhumor zu hintersinnigen Sprüchen, von zeitgeistigen Ergüssen über abgedroschene Flegeleien, schwarzhumorig, satirisch, bitterböse, beschwingt, zynisch, der derbe Schenkelklopfer, und das erheiterte Glucksen. Es wird an nichts gespart, und dies nicht im Minutentakt, sondern tatsächlich darunter. Es wird kaum vor etwas Halt gemacht. Särge im Orbit um das Schiff. Die Kunst ein Baby loszuwerden. Der Stand-up Comedian, dem es verboten wird witzig zu sein. Ein virtueller Spieleraum, der gar nicht so virtuell funktioniert. Das permanente Entsetzen über den Dialekt des vermeintlichen Captains. Der ständige Zeitversatz bei der Tonübertragung. Man muss sich an dieser Stelle darauf verlassen, dass dies alles sehr gut und originell umgesetzt ist, und wirklich für jeden etwas geboten ist. Erklärungen würden auch ausufern, und den Witz nur zerstören. Das man während eines Lachers einen anderen Gag nicht mitbekommt, kann des Öfteren vorkommen.

Und wie sich diese Serie, obwohl schon viel früher geschrieben und gefilmt, an die aktuellen, weltweiten Gegebenheiten annähert, würzt das Vergnügen auch noch mit einer besonders bissigen Note. Oder kommt es niemanden sonst so bekannt vor, wie gelassen die Passagiere anfangs mit der Situation umgehen, um am Ende doch nur schwierig unter Kontrolle zu bringen sind. Nicht zu verschweigen, die aufkommende Verschwörungstheorie, ‚Avenue 5‘ hätte in Wirklichkeit die Erde niemals verlassen. Oder die kompetenten Figuren, auf die einfach keiner hören will, gar ernst nimmt. Dafür Spinner und Schaumschläger, denen man allein schon aus Bequemlichkeit viel mehr Vertrauen schenkt. Gruselig, wenn es nicht so komisch wäre.

Die beste Science Fiction ist die, welche auch ein Spiegelbild unserer Gesellschaft zeigt. Dazu braucht es eben keine alles verzehrenden Special Effects, sondern viel Originalität und den richtigen Blick auf Menschen. Und jeder Menge Humor, und den Mut dabei nicht gefällig zu werden. Im Übrigen haben die Macher eine wirklich geniale Idee einfließen lassen, wie man eine gegebenenfalls längere, oder eben auch abgekürzte Laufzeit von AVENUE 5 schon mit der ersten Staffel erklärt. Denn wie im richtigen Leben, fühlen sich auch hier im Falle eines Problems sehr viele umgehend als Spezialisten berufen. So stellt jeder einmal so seine eigene Rechnung auf, wie lange das Raumschiff tatsächlich zurück zur Erde braucht.

Avenue 5 e, Copyright HBO

 

Darsteller: Hugh Laurie, Lenora Crichlow, Zach Woods, Suzy Nakamura, Josh Gad, Rebecca Front, Nikki Amuka-Bird, Andy Buckley, Jessica St. Clair, Kyle Bornheimer, Adam Pålsson, Daisy May Cooper, Himesh Patel, Ethan Philips u.a.

Regie: Natalie Bailey, Peter Fellows, Annie Griffin, Armando Iannucci, Becky Martin, David Schneider, William Stefan Smith

Drehbuch:  Armando Iannucci (Erfinder), Peter Fellows, Ian Martin, Georgia Pritchett, Will Smith, Peter Baynham, Simon Blackwell, Jon Brown, Daisy May Cooper, Sean Gray, Tony Roche

Kamera: Eben Bolter
Bildschnitt: Robin Peters, Gary Dollner
Musik: Adem Ilhan
Produktionsdesign: Simon Bowles
USA / 2020
1 Staffel 9 Episoden
267 Minuten

Bildrechte: HBO
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