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FATMAN
Jetzt wo sich die cinephile Gemeinschaft endlich geeinigt hat, dass DIE HARD – STIRB LANGSAM doch ein Weihnachtsfilm ist, geht es in eine neue Runde mit neuer Kontroverse. Auch wenn es thematisch und mit dem Hauptcharakter ziemlich eindeutig scheint. Wie viel Spaß darf es denn sein, und, muss es überhaupt sein? Man redet schließlich nicht über eine belanglos irrelevante Figur. Wir reden von der fleischgewordenen Katharsis kindlicher Begierden. Der Weihnachtsmann muss eigentlich über allem erhaben sein. Oder Santa Claus, wie er auch genannt wird, oder Kris Krinkle, oder hier in diesem speziellen Fall Chris Cringle. Wenn Sir Richard Attenborough in WUNDER VON MANHATTAN Kris Krinkle spielt, wissen wir das es gütig und besinnlich wird. Wenn Mel Gibson Chris Cringle spielt, darf man auf alles gefasst sein.
Was sich die Brüder Eshom und Ian Nelms ausgedacht, zu Papier gebracht und verfilmt haben, ist weniger verrückt als es sich anhört. Noch dazu wie elegant und hintersinnig sie sich ihrem Thema erst annähern und schließlich aufbauen, darf man durchaus als raffiniert und intelligent deklarieren. Das Weihnachtsfest im Actionfilm ist nicht neu, auch der Weihnachtsmann im Horrorfilm ist schon lange bekannt. Aber geschmückt mit gar nicht so weit hergeholten soziologischen Reflexionen, wird es zum originellen Fest.
Chris ist müde, desillusioniert, und nahe am Konkurs. Lediglich seine resolute, aber fürsorgliche Frau Ruth kann ihn mental in der Schlittenspur halten. Das er von seiner jüngsten Arbeitsnacht mit einer Schusswunde nachhause kommt, ist nicht das erste mal. Der Amerikaner als solcher traut niemanden, erst recht nicht, wenn man einfach durch seinen Kamin kommt.
Richtig unangenehm kann es werden, wenn das ungezogene Kind anstatt eines erfüllten Wunsches, das traditionelle Stück Kohle bekommt. Und wenn dieser verwöhnte Balg dann auch noch über unverschämte finanzielle Hilfsmittel verfügt. Sehr spannend ist dabei, wie die Nelms-Brüder ihre Handlung aufbauen, ohne den konventionellen Mythos des Mannes mit den Rentieren zu bemühen. Erstaunlich lange bleibt der spirituelle Aspekt auf Eis. Cringle und sein alter Ford Pickup, der Abstecher in die lokale Bar, die alte Farm.
Gibson und Marianne Jean-Baptiste sind das perfekte All-American-Couple aus der unteren Mittelschicht. Keiner von beiden muss wirklich spielen, sie sind es. Von den vielen Präsenten, die FATMAN aus dem Sack zieht, ist Jean-Baptiste und Gibson das wertvollste. Nicht finanziell, sondern substanziell.
Dem entgegen steht leider das Stück Kohle wofür sich der Film ungezogen zeigt, und das ist die Besetzung von Walton Goggins als manischen Auftragskiller mit persönlicher Attitüde gegen den ‚dicken Kerl‘. Goggins Vita ist geprägt von wirren Charakteren, welche eher die nicht ernst zu nehmende Komponente der Schießbudenfigur abgibt. Und leider gibt seine Ausstrahlung auch bei FATMAN nicht mehr her. Es schwebt immer das Gefühl mit, wie angestrengt Goggins bemüht ist, einen glaubhaft gefährlichen Psychopathen zu mimen.
Aber Eshom und Ian haben viel mehr verpackt, als man letztendlich bei der Bescherung genießen könnte. Sie haben sich einiges vorgenommen was immer wieder Luft aus jeweils anderen Teilen von Handlung und ihren vielen Untertönen nimmt. Der Aspekt der Elfen kommt dabei ebenso zu kurz, wie Chris‘ Beziehung zu seinem neuen Arbeitgeber. Die Action ist dünn gesät, und die blutigen Effekte sind zu willkürlich und weniger konsequent umgesetzt. Unter all dem leiden die sozialen und emotionalen Beziehungen, die angerissen werden, aber kaum eine tiefer greifende Auflösung erfahren.
Im gesamten Verlauf des eigentlich schon überraschenden Plots fehlt dieser definierende Moment des Besonderen. Auch wenn FATMAN immerzu Ornamente von raffinierten Überlegungen an den Baum hängt, die zum Nachdenken anregen. Der schwindende Glauben an die Essenz des Festes. Oder das Militär als neuer willkommener Auftraggeber für Santa und seine Elfen. Die bezahlen wenigstens Rechnungen. Und die stete Veränderung unserer Gesellschaft, wo alte Werte immer mehr wegbrechen.
Die raffinierten und unaufdringlichen Untertöne sind es, die FATMAN durchaus aus der Menge von ungewöhnlichen Weihnachtsfilmen herausheben. Die Inszenierung ist wunderbar subtil, zum Beispiel wie selbstverständlich Chris Cringle nichts weiter als ein weiterer respektierter Bewohner des kleinen Kaffs North Peak ist. Diese fast schon unscheinbaren Momente verleihen dem Film ein ganz eigenes Charisma, das immer wieder zu verhaltenden Lachern verleitet.
In FATMAN steckt wesentlich mehr, als die Nelms-Brüder letztendlich verpacken konnten. Nur geht am Weihnachtsmorgen beim auspacken kein erfreuter Kinderjubel durch das Haus. Aber der ‚dicke Kerl‘ ist wenigstens nicht im Kamin stecken geblieben, und man zeigt sich doch besinnlich durch all die wunderbaren Momente des Festes. Und Auspacken ist grundsätzlich immer spannend.
Darsteller: Mel Gibson, Marianne Jean-Baptiste, Chance Hurstfield, Walton Goggins, Robert Bockstael, Eric Wolfe, Ellison Grier Butler, Michael Dyson u.a.
Regie & Drehbuch: Eshom Nelms, Ian Nelms
Kamera: Johnny Derango
Musik: Mondo Boys
Produktionsdesign: Chris August
Großbritannien – Kanada – USA / 2020
100 Minuten