Um es sich einfach zu machen, nennt man es Horror. Doch wo bewegt sich Filmemacher Jordan Peele tatsächlich, auch wenn es einem bei seinen Filmen oftmals eiskalt den Rücken hinunter läuft. Peele war hauptsächlich als Darsteller im Komödienfach unterwegs, schrieb durchaus auch mal Drehbücher für Drama-Serien. Doch mit seiner vor zwei Jahren eingeschlagenen Richtung, hat er so manchen seiner Kollegen wahrlich überrascht, als er sich mit seinem Regie-Debut für etwas ganz Eigenes entschied. Nach nur zwei Filmen, die bei Jordan Peele mit Buch und Regie einher gingen, macht er sein Gespür für das Erzählen deutlich. Und auch wenn er dabei gerne das Klischee bedient, so hat dies durchaus seine Bedeutung. So führt er sein Publikum dahin, wovon es kein Zurück mehr gibt.
„Das sind wir“, lautet der Satz, der nicht nur grundlegendes erklärt, sondern sich nach und nach auf weiteren Ebenen entfaltet. Natürlich ist die Ausgangssituation die eines Horrorfilms. Doch was sich bei WIR daraus ergibt, ist der Prämisse von Erstling GET OUT sehr ähnlich. Eine Familie wird von ihren Doppelgängern belagert, bedroht und schließlich gejagt. Aber dahinter, zu Anfang noch nebulös, verbirgt sich ein breit gefächertes Panoptikum von Bedrohung, Rätsel und Interpretationsmöglichkeit. Hier löst sich dann auch die Verbindung zu GET OUT, der schlüssig und stringent zu seinem Ende kam. WIR hingegen wird im weiteren Verlauf immer größer und größer. Fragen, die scheinbar beantwortet werden, werfen in Wirklichkeit nur noch mehr Fragen auf.
Die Kunst und das Ansinnen eines begierigen Publikums ist die Vielfalt von Sinnbildern und Andeutungen zu interpretieren. In erster Linie ist es Dualität und Reflexion. Doch ein Zusammenhang der verschiedenen Deutungsvarianten, welche sich daraus ergeben, wird zu einem weiteren Rätsel. Hinter dem offensichtlichen, möchte Peele eine Komplexität herausarbeiten, die nicht wirklich greifbar wird. Die Bildgestaltung von Kameramann Mike Gioulakis begleitet die Figuren in den jeweiligen Settings rein aus der Sicht des Zuschauers, er macht ihn zum Zeugen, und arbeitet dabei sehr manipulativ. Was hervorragend funktioniert, weil es einen Sog von Neugierde entwickelt. Als die Familie noch unbedarft am Strand entlang geht, ist die Kamera aufsichtig und man sieht die Schatten der Protagonisten über den Sand wandern, die gewaltiger sind, als die Charaktere selbst. Dieses Bild wird sich wiederholen, und einmal scheinen die Schatten der Eindringlinge sogar auf die Familie zu zugehen. Dualität, stets verbunden mit den Fragen, ob jeder wirklich ist, der er glaubt zu sein, und wie verbunden man mit einem anderen Ich wirklich sein kann.
Nicht lange in den Film hinein, bricht das Konstrukt des intimen Grauens auf und wird zu einer vielschichtigeren Betrachtung über allgemeine Zustände in allen Bereichen von Existenz und Weltbild. Jordan Peele beginnt sein Publikum zu überfordern, verlässt aber den Pfad der konventionellen Erzählung nicht. Irgendwann einmal fallen drei Worte, die zuerst schwer einzuordnen sind, aber die Absichten hinter dem Netz von Deutungen klar werden lassen. Jordan Peele hat mit seinem zweiten Spielfilm ein Publikum gefunden, welches nicht einfach nur neugierig ist, sondern die Kunst des Handwerks im Film zu schätzen weiß. In diesem Sinne ist vielleicht auch WIR im Genre des Horror einzustufen. Er weiß wie man Bildsprache, Musik und seine Darsteller einsetzen muss, um den richtigen Nerv zu treffen. Was darüber hinaus geht, und dies ist eigentlich auch die Essenz des Films, dürfte für die meisten im Publikum schwer zu fassen sein.
Darsteller: Lupita Nyong’o, Elisabeth Moss, Winston Duke, Shahadi Wright Joseph, Evan Alex u.a.
Drehbuch & Regie: Jordan Peele
Kamera: Mike Gioulakis
Bildschnitt: Nicholas Monsour
Musik: Michael Abels
Produktionsdesign: Ruth De Jong
USA / 2019
116 Minuten