THE HATE U GIVE – Bundesstart 28.02.2018
Am Neujahrsmorgen 2009 werden Bahn-Polizisten wegen einer Schlägerei zur Fruitvale Station in Oakland gerufen. Der eigentlich unbeteiligte Oscar Grant soll ebenfalls festgenommen werden, allein, weil er ebenfalls Schwarzer ist. Wenig später erliegt Oscar Grant seinen Verletzungen. Der Polizeibeamte hatte seine Schusswaffe mit seinem Taser verwechselt, gibt er zu Protokoll. Weniger unschuldig war Michael Brown in Ferguson, der sich nur etwas Tabakware aneignen wollte, ohne zu zahlen. Das dies 12 Schüsse aus einer Polizeiwaffe rechtfertigte, wollte die Black-Community so nicht akzeptieren. Es kam zu Demonstrationen und Ausschreitungen. Als der verantwortliche Polizist nicht angeklagt wurde, weiteten sich gewalttätige Proteste über das ganze Land aus. Der 42 jährige Eric Garner wurde Opfer von Willkür auf Staten Island, als eine Polizei-Patrouille ihn ohne begründeten Verdacht festnehmen wollte. Garner starb durch einen Würgegriff, der seit fast über zwanzig Jahren bei der Polizei strengstens verboten ist. Die Polizisten und herbei geilte Kollegen unternahmen keine Wiederbelebungsversuche.
Im Jahre 2010 wird der 16 jährige Khalil von einem Polizisten erschossen. Ausschlaggebend war Khalils Haarbürste, die für eine Waffe gehalten wurde. Obwohl die Kamera im Streifenwagen eindeutig eine Bürste zeigt, wird der Beamte nicht zur Verantwortung gezogen.
Khalil ist ein fiktiver Fall, aber keiner, der nicht überall und ständig in Amerika passiert. Seine Freundin Starr muss ihm beim sterben zusehen, und ihr ohnehin verdrehtes Leben zwischen der schwarzen Gemeinschaft in Garden Heights und ihrer elitären Highschool in Williamson, stellt ihr Weltbild vollkommen auf den Kopf.
Als die Bewegung ‚Black Lives Matter‘ ins Leben gerufen wurde, kam Angie Thomas zu dem Entschluss einen Roman über das, was in Amerika vor sich geht, und wie es das Leben von Betroffenen beeinflusst und verändert. Eine fast schon allseits bekannte Geschichte, möchte man meinen. Aber Drehbuchautorin Audrey Wells hat es geschafft, die Geschichte auf vielerlei Ebenen zu erzählen, ohne dass die Komplexität darunter leiden musste. Da der Verlauf von THE HATE U GIVE dem von Nicholas Sparks KEIN ORT OHNE DICH nicht unähnlich ist, könnte Regisseur George Tillman Jr. vielleicht sogar entgegen gekommen sein. Bei beiden Filme beweist er stilsicher und ohne Scheu, dass man auch Spannung erzeugen kann, wenn man sich für die Charakterisierung seiner Figuren Zeit lässt. Tillman und Wells errichten erst eine Umgebung, die der Zuschauer Schritt für Schritt begreift und dann verinnerlicht. Nur, um sie dann brachial auseinander zu nehmen.
Starr Carter wird Zeugin und Opfer von einer Realität, die sie nicht versteht, und auch nicht verstehen will. Starrs ebenso schwarzer Onkel Carlos ist auch Polizeibeamter, und sie wird ihn fragen, wie er gehandelt hätte. Er gibt ihr eine ehrlich Antwort. Er entgegnet der schockierten Starr nur, das man in einer komplizierten Welt leben würde. Es ist eine sehr abgedroschene Phrase, auf der anderen Seite, könnte sie im Zusammenhang nicht treffender sein. Selbstverständlich hält Starr dagegen, dass es eben doch nicht so kompliziert ist. In einem Film zum wohlfühlen, wäre das der Ausschlag, das sich die Welt schnell verändern wird. Es ist eine längst überholte und kindliche Phrase, ähnlich der von Onkel Carlos. Aber die Realität lässt nur eine der zwei Aussagen gelten.
Dies ist eine fiktive Geschichte, bei der es nicht verwundern würde, wäre sie tatsächlich passiert. Wobei sie sich in ähnlicher Weise immer wieder zuträgt. Und Amandla Stenberg als Starr Carter gibt der Zerrissenheit zwischen verschiedenen Kulturen ein bemerkenswert authentisches Gesicht, das überzeugt und den Zuschauer versteht mitzunehmen. Den Vormittag verbringt sie umringt von ihren weißen Mitschülern in einer gehobenen Schule. Sie ist stets darauf bedacht ihre Herkunft aus Garden Heights bedeckt zu halten, während ihre Klassenkameraden glauben, unheimlich cool zu sein ‚Ghetto‘ zu sprechen. Am Nachmittag kommt sie nachhause, wohlwissend dass hier fallende Schüsse nicht aus Zeitvertreib abgegeben werden. Starr erzählt aus dem Off. Es ist kein Dialog mit dem Zuschauer, es sind Erklärungen, und Zeugnis über eine immerwährende Suche nach der eigenen Identität.
Der Film beginnt mit einer Lehrstunde. Starrs Vater bringt ihr und ihrem jüngeren Bruder bei, wie man sich gegenüber einem Polizisten zu verhalten hat. Da ist sie gerade neun Jahre alt. Trotz seiner längeren Laufzeit, gibt es kaum Leerlauf in der Inszenierung. Dadurch, dass der Zuschauer sich sehr schnell an Starr bindet, erlebt dieser auch geringe Längen als angenehm, und den späteren Verlauf umso intensiver. Selbstredend ist THE HATE U GIVE sehr suggestiv, was man auf Grund der Thematik allerdings akzeptieren muss. Denn für noch sehr lange Zeit wird weder Amerika, oder der Rest der Welt bereit sein Grenzen selbst über eine innere Einstellung hinaus zu überwinden. Starr Carter wird ihre eigene Identität finden, eine, die das Beste aus zwei Welten nicht zulässt. Die einzige Hoffnung, die THE HATE U GIVE geben kann, ist der Idealismus vieler Menschen. Der Film könnte sich als Ansporn präsentieren, aber dafür bleibt er sich selbst und dem Zuschauer gegenüber viel zu ehrlich.
Darsteller: Amandla Stenberg, Regina Hall, Russell Hornsby, Anthony Mackie, Issa Rae, Common, Algee Smith, Sabrina Carpenter u.a.
Regie: George Tillman Jr.
Drehbuch: Audrey Wells
Kamera: Mihai Malaimare Jr.
Bildschnitt: Alex Blatt, Craig Hayes
Musik: Dustin O’Halloran
Produktionsdesign: William Arnold
USA / 2018
133 Minuten