GISAENGCHUNG – Bundesstart 17.10.2019
Der vielgepriesene Macher dieses preisgekrönten Films lässt vollkommen offen, ob seine im Zentrum stehende Familie nur alle dekadent faule Windbeutel sind, oder von anhaltendem Pech verfolgte Sozialfälle. Sicher ist, dass sich die Kims an ihr Leben gewöhnt haben, und den Müßiggang eher pflegen, während niedrigst bezahlten Nebenjobs ein lästiges Übel sind. Filmemacher Bong Joon-ho zeigt vier Hauptdarsteller, deren abenteuerlichen Weg man gleich von der erste Szene an unbedingt bis zu Ende sehen will. Was Bong auf diesem Weg alles in den Mix von Genre und Genre übergreifenden Sequenzen wirft, hört sich in der Theorie nach dramaturgischen Alptraum an. Als filmisches Erlebnis, wird PARASITE zum cineastischen Feuerwerk.
Zu viert sitzen die Kims in ihren klaustrophobisch beengten Räumlichkeiten, einem Halbkeller, wie man es zu nennen pflegt. Pinkeln die Besoffenen auf der Straße gegen die Hausmauer, läuft es bei ihnen zum offenen Fenster hinein. Der Laden über ihnen hat das Wi-Fi-Passwort geändert, was für die Kims auch die restlich verbliebene Verbindung zu Welt abschneidet. Doch der Zufall will es, dass Sprössling Ki-woo bei der Tochter einer sehr reichen Familie Nachhilfeunterricht geben soll. Ganz im Sinne der Familiensitte, verkauft sich Ki-woo mit Bravur weit über dem Marktwert. Bei Familie Park ist also einiges zu holen, was eine Kettenreaktion von glücklichen und unglücklichen Umständen auslöst. So rückt nach und nach auch für Familie Kim ein gehobener Lebensstandard näher.
Allein aus dieser Einführung in die Handlung, hätte so manch pfiffiger Filmautor schon große Dramen oder herzliche Komödie gezaubert. Das ist lange nicht ausreichend für Bong Joon-ho ist, muss man schon anhand seiner voran gegangenen Filmen folgern. THE HOST und SNOWPIERCER sind frenetisch bejubelte Juwele bei Genre-Freunden. Filme aus Südkorea werden auf dem weltweiten Markt scheinbar nur von Bong Joon-ho vertreten. Schon bei seinem fünften alleine geführten Langfilm, konnte Bong für SNOWPIERCER ein britisches und amerikanisches Ensemble in den Hauptrollen besetzen. Produziert wurde aber weiterhin in Südkorea. Bei Nachfolger OKJA kamen amerikanische Firmen hinzu. Vielleicht macht das Verleiher argwöhnisch, die seltsamerweise alle absagten. Zum Glück sprang Netflix OKJA zur Seite.
Bei PARASITE dürften nun einige große Verleiher in die Tischkante beißen. Gewinner der Goldenen Palme in Cannes und aussichtsreicher Kandidat für einige Oscars. Ausgezeichnet würde PARASITE dabei vielleicht nicht unbedingt als allgemeingültiges Meisterwerk, sondern für den unkonventionellen Umgang mit filmischen Stilmitteln und Genres. PARASITE ist pechschwarz humorige Komödie, er ist Drama, aber auch Psychothriller, kann Slapstick genauso wie leichten Splatter, und vor allem treffsichere Gesellschaftssatire. Diese Intentionen hatten andere Filme schon auch, so neu ist das nicht. Was aber Bongs Werk von den anderen weit abhebt, ist seine Homogenität in der Gestaltung verschieden dramaturgischer Ansätze. Einzelne Szenen fließen so unmerklich ineinander, oder verschmelzen in ihren Aussagen und Absichten, dass der Zuschauer keiner Reizüberflutung ausgesetzt wird. In angenehm angespannter Erwartung bleibt er aber durchweg.
Aber PARASITE ist nicht nur in seiner Erzählstruktur ein gelungenes Konstrukt. Schon bei SNOWPIERCER hat Kameramann Hong Kyung-pyo die baulichen Beschaffenheiten des Zuges als erweiterte Ebene für das Narrativ genutzt. Hier stellt er auf manchmal beklemmende Weise die beengte kleine Welt der Kims und den ausladenden Freiraum der Parks gegenüber. Es sind nicht nur Sinnbilder für Arm und Reich. Immer wieder verlieren sich die Akteure in den sonnendurchfluteten Weiten des Hauses der Familie Park, ein geistreicher Blick darauf, dass sich die Geschichte erst dadurch in diese Richtung entfalten konnte. Während der Keller der Kims seine klaren, offensichtlichen Grenzen aufzeigt, präsentiert sich das Anwesen der Parks in trügerischer Anmut von uneingeschränkter Freiheit.
Die beiden Welten prallen nicht aufeinander, die eine verschmilzt mit der anderen. Das macht alle Beteiligten blind und allzu selbstsicher. Daher sieht keiner der Figuren die überall lauernden, überraschenden Wendungen. Und von denen hält Bong Joon-ho mehr in seiner Geschichte bereit, als man am Ende noch nachvollziehen kann. So unerwartet diese Umbrüche einen auch erwischen, sind sie nicht bemüht aus der Luft gegriffen. Sie sind sinngebend eingesetzt und teilweise sogar in voran gegangenen Szenen unbemerkt angedeutet. Die letzten Minuten bilden dabei das Sahnehäubchen, wo sich der Film gleich zweimal wendet. Sich aber über PARASITE zu unterhalten, kann das Erlebnis nicht ersetzen, welches er bei einem Besuch dem Zuschauer beschert.
Ein Arthouse-Film, selbst in dieser Größenordnung, hat den besonderen Vorteil, dass viele Kinos auch Vorstellungen in originaler Sprachfassung mit Untertiteln anbieten. Da eine westliche Synchronisation einem asiatischen Film noch nie gerecht werden konnte, ohne ins alberne abzugleiten. Der eine Sprachduktus lässt sich einfach nicht mit der Mimik der anderen in Einklang bringen.
Darsteller: Kang-ho Song, Yeo-jeong Jo, So-dam Park, Woo-sik Choi, Seo-joon Park, Sun-kyun Lee u.a.
Regie: Joon-ho Bong
Drehbuch: Joon-ho Bong, Jin Won Han
Kamera: Kyung-pyo Hong
Bildschnitt: Jinmo Yang
Musik: Jaeil Jung
Produktionsdesign: Ha-jun Lee
Südkorea / 2019
132 Minuten