MEASURE OF A MAN – Starttermin 13.06.2019
Als Fernsehregisseur hat sich Jim Loach viel Respekt verdient. Und mit seinem Kinoerstling ORANGES UND SUNSHINE konnte er emotional und einnehmend sogar an die Qualitäten seines Vaters Ken Loach anknüpfen. Letzterer geschätzt für seine Filme aus dem Arbeiter- und Sozialmilieu. Sohn Jim lässt sich dahingehend noch nicht einschätzen.
MEASURE OF A MAN ist schließlich erst Loachs zweiter Kinofilm, eine Romanvorlage, die mit viel Gefühl von den Fünfzigern in die Siebziger verlegt wurde. Doch nach wie vor handelt die Geschichte von dem vierzehnjährigen und ziemlich dicken Bobby Marks, der langsam nicht mehr damit umgehen kann, ständig wegen seiner Fülle schikaniert und gedemütigt zu werden.
Eigentlich kann man sich über die Anzahl von Filmen um das Erwachsenwerden nicht beschweren. Warum sich Autor David Scearce für eine weitere Thematisierung ausgerechnet den kaum bekannten Roman A FAT SUMMER des Sportjournalisten Robert Lypsite aussuchte, war dabei ein scheinbar zufälliger Glücksgriff. Der vermeintlich typisch deutsche Untertitel ist ausnahmsweise kein verirrter Geistesblitz des Verleihers. Auch wenn A FAT SUMMER nicht in Deutschland erschienen ist, und daher keine Assoziationen wecken dürfte. Vielleicht also doch der eher abträgliche Geistesblitz. Dem Film selbst tut es nicht weh, aber falsche Erwartungen könnte der Titel doch nähren.
MEASURE OF A MAN ist keine überdrehte Teenager-Farce, und kein moralisches Drama. Das hätte er leicht werden können, ganz leichte Anflüge von Beidem gibt es. Doch Drehbuch und Regie verschreiben sich lieber einer Erzählweise, die nicht nur für alle Altersgruppen nachvollziehbar bleibt, sondern auch den Druck des konventionellen Kinos außer Acht lässt. Auch wenn fast alle Versatzstücke eingearbeitet sind, die das Thema des Erwachsenwerdens mit sich bringen. Diese kommen ja nicht von ungefähr. Aber Loach nimmt sich die Zeit, überstürzt nichts, und bringt uns seine Hauptfigur so um einiges näher. Bobby Marks ist kein Verlierer, kein in sich zurückgezogener Junge, hat Freunde und erliegt keinen falschen Illusionen. Mit einem hinreißenden Charme verkörpert Blake Cooper diesen Bobby. In der Tat sind alle Figuren hervorragend besetzt, mit der Ausnahme von Beau Knapp als Willie, wo es an der Inszenierung gelegen wäre, ihn um einiges zurück zu nehmen.
Neben Blake Cooper sticht noch Urgestein Sutherland besonders hervor. Als knorriger Sommerhaus-Besitzer, für den Bobby den Garten pflegen soll, bereitet er dem Jungen eine schwere Zeit mit seiner kalten Art und belehrenden Strenge. Doch letztendlich ist es Doktor Khan, der dem Schwergewicht auf die Sprünge hilft, aber nicht im körperlichen Sinne. Die Zeit ist reif, dass Bobby endlich seinen Mann steht, doch in welcher Weise ist ungewiss. Am Ende wird man nie wissen, ob es die richtige Entscheidung war. Sich zurückziehen, oder eine Schlägerei riskieren, vielleicht doch jemanden um Hilfe bitten. Irgendwie könnte Bobby den Schikanen entfliehen, eine Erkenntnis, welcher er sich längst bewusst ist. Doch welche ist die richtige Entscheidung. Sie könnte den Rest deines Lebens prägen. Am Ende wird man es nie wissen.
Es gibt die heimliche Liebe, die Probleme zwischen den Eltern, den typischen Tyrannen, die als eigenes Ziel gesteckte Prüfung. MEASURE OF A MAN hat das alles, und das alles kennt man in verschiedenen Variationen und Konstellationen. Jim Loach ist sich dessen durchaus bewusst, wie man dem Film auch anmerkt. Alles ist etwas verhaltener, etwas hintergründiger, etwas ehrlicher. Was zum Beispiel zwischen den Eltern passiert, scheint nur allzu offensichtlich, aber es scheint nur. Die Geschichte nicht ganz in die Gegenwart zu holen, tut ihr merklich gut, kann sie sich doch auf das Wesentliche konzentrieren, ohne etwas durch moderne Einflüsse kompliziert zu machen. Die Bilder von Kameramann Denson Baker tun ihr Übriges. Schöne Farben, klassischer Aufbau, den Geist der Siebziger atmend, ohne altbacken zu wirken. Und Dany Coopers Schnitt wird diesen Bildern gerecht, wenn er ohne hektischen Bildwechsel die Atmosphäre der Zeit unterstützt.
Wunderbares, ruhiges Kino, mit tollen Schauspielern, und mit einer Geschichte die dadurch überrascht, dass sie erst gar nicht vorgibt etwas Besonderes sein zu wollen.
Darsteller: Blake Cooper, Judy Greer, Donald Sutherland, Luke Wilson, Beau Knapp, Luke Benward, Danielle Rose Russell u.a.
Regie: Jim Loach
Drehbuch: David Scearce
Kamera: Denson Baker
Bildschnitt: Dany Cooper
Musik: Ilan Eshkeri, Andreas Lucas, Tim Wheeler
Produktionsdesign: David J. Bomba
USA / 2018
100 Minuten