Man muss zugeben, dass Luc Besson das europäische Kino verändert hat. Weg vom Mief der deutschen Selbstgeiselung, weg vom italienischen Neorealismus, weg vom französischen Intellektuellentum. Erfolge gab es nur mit amerikanischen Produktionen, was für Besson nicht besonders schwierig zu kopieren war. Doch Besson musste sich dieser Sache auf anderem Weg annähern. Das eine musste das andere nicht zwangsläufig ausschließen, und so gab es eine Prise von allem und ordentlich von dem, was das Publikum allgemein bevorzugte. Luc Besson erschuf seine eigene Nouvelle Vague. Großes Kino mit Tiefgang und Intellekt. SUBWAY und LA GRAND BLEU, schon gefolgt von dem Knaller LA FEMME NIKITA. So wie die Skandinavier ihre eigene Art von Thriller und Krimi machten, hatte das französische Action-Kino durch Besson seine eigene Sprache gefunden, ohne beim übermächtigen Bruder von Übersee hinten anstehen zu müssen.
Luc Besson hat das Unterhaltungskino neu definiert. Dabei haben es ihm die Frauen besonders angetan. Und da muss man sich aber ernsthaft fragen, ob Besson zu den überzeugten Feministen gehört, oder er vielleicht anderweitig etwas kompensieren muss. Nikita, Colombiana, Lucy und jetzt Anna. COLOMBIANA und LUCY wird jeweils ein zweiter Teil ereilen. NIKITA wurde schon mit einer eigenen Serie abgehandelt. Wer weiß, was mit ANNA passieren wird. Das Muster ist stets das selbe, der Typ Frauen auch. Junge, gut aussehende Damen mit einer üblen Vergangenheit, die zu mörderischen Bestien werden. Das tun sie natürlich nicht gern, sondern werden von bösen Männern dazu gezwungen, bis sich emotionaler Widerstand einstellt. Oder wie Jessica Rabbit beteuerte, „ich bin nicht böse, ich wurde nur so gezeichnet“. Die fesche Anna könnte das auch sagen, die offiziell als Fotomodel angeheuert wird, um letztendlich die Top-Killerin des KGB zu werden.
In der Machart hat sich also nichts verändert. Es gibt sogar die ältere, unerbittliche Ausbilderin, die nur so streng ist, weil sie ihren Killer-Schützling eigentlich so gern hat. Zweifelsfrei sind auch bei ANNA die Action-Sequenzen tadellos inszeniert. Hervorragend choreographiert sind die überstilisierten Schießereien und Prügelorgien. So kann sich Anna durchaus sehen lassen. Für den Rest war dann Sasha Luss doch nicht die beste Wahl. Auch wenn sie ihre reale Model-Karriere mit in den Film einbringt, fehlt ihr diese fesselnde Tiefe, welche ein nicht sehr anspruchsvolles Szenario gebrauchen würde, um es durchweg interessant zu halten. Dazu hat Sasha Luss noch die Bürde neben Helen Mirren, Luke Evans und Cillian Murphy bestehen zu müssen. Und das gelingt ihr eben nicht.
Besson lässt in seinem Drehbuch die Geschichte immer wieder in der Zeit vor und zurück springen. So beantwortet er dadurch offene Fragen, oder stellt neue Rätsel vorne an. Das hat Besson sehr geschickt gemacht, und generiert damit immer wieder clevere Spannungsmomente. Leider hat er dabei diese Taktik über den Showdown hinaus überreizt und macht das Ende vorhersehbar. Würde man ANNA in chronologischer Reihenfolge schneiden, wäre es ein eher einfältiges, Klischee beladenes Stück. Mit den Zeitsprüngen wird daraus aber ein sehr raffinierter Thriller.
Interessante Drehbücher schreiben zu können, hat Luc Besson wieder einmal bewiesen, auch das er dem noch lange nicht müde ist. Nur die Sache mit den Frauen sollte er bei seinen nächsten Projekten besser überdenken. Das funktioniert einfach nicht mehr. Und es wäre zu schade, um diese ausgefeilten, kreativen Action-Szenen. Natürlich strotzen auch die mit jedem erdenklichen Klischee von Schnittfolge und Kameraeinstellung. Aber so eindringlich umgesetzt, machen selbst Standards noch richtig Spaß.
Darsteller: Sasha Luss, Helen Mirren, Luke Evans, Cillian Murphy, Lera Abova u.a.
Drehbuch & Regie: Luc Besson
Kamera: Thierry Arbogast
Bildschnitt: Julien Rey
Musik: Éric Serra
Produktionsdesign: Hugues Tissandier
Frankreich / USA / 2019
119 Minuten