JONATHAN – Bundesstart 23.05.2019
Er scheint ein verschlossener junger Mann zu sein. Etwas schüchtern, mit einem Eindruck von biederer Routine. Das Mobiliar spärlich und farblos. Keine Frau, keine Freundin, keine Mädchen überhaupt, und auch keine Männer. Doch, ein Mann vielleicht. Und der ist etwas Besonderes. Jonathan ist einer der Jungs, die einem Angst machen können, zumindest unangenehm auffallen. Stoisch und abweisend. Pünktlich um sieben Uhr morgens erwacht er und steht auf, pünktlich um sieben Uhr abends geht er zu Bett. Und wenn er aufsteht, dann unterhält er sich per Videoaufzeichnung mit seinem Bruder John. Und eines Tages bricht John mit dem Kodex von Enthaltsamkeit und Verzicht auf soziale Kontakte. Das ist gefährlich, denn das könnte sehr schnell, sehr unangenehme Fragen in ihrem Umfeld aufwerfen.
Regisseur und Co-Autor Bill Oliver hat einen beachtlichen Start in die Filmwelt hinbekommen. Auch wenn er in weiten Teilen immer wieder den Charme eines Erstlingswerkes, von niedrigen Budget und künstlerischem Ehrgeiz versprüht. Doch JONATHAN fasziniert allein schon durch seine ungewöhnliche Prämisse. Zu Anfang soll der Zuschauer noch rätseln. Nach des Rätsels Lösung vollzieht sich eine Transformation im Charakter von Jonathan. Im dritten Akt sind die Brüder an einem Punkt angekommen, der unweigerlich kommen musste. Die Spannung zwischen John und Jonathan wird zu einem spannenden Exkurs für den Zuschauer. John und Jonathan befinden sich in ein und dem selben Körper, sind aber zwei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten. Es kommt einer Schizophrenie vielleicht nahe, ist es aber nicht. Keines der beiden Individuen übernimmt einfach die Identität des anderen, sondern bleibt eigenständig. Zwei Menschen in einem Körper.
Ständig steht es im Raum, inwieweit die beiden Charaktere tatsächlich Individuen sind, oder bleiben können. Jonathan muss sich selbst wiederholt fragen, wer er eigentlich ist, und was ihn ausmacht. Am Ende könnte das eigene Ich ein Trugschluss sein. Jonathan hadert und landet in einer emotionalen Falle. John hingegen ist wesentlich pragmatischer. Was sich über Jahre mit Vernunft regeln ließ, zerfällt an reiner Menschlichkeit. Um sich selbst zu finden, muss man zuerst an sich selbst denken. Man muss dieser Vernunft entgegen treten. Sich neuen Wegen zu verschließen, würde einer inneren Verwüstung gleichkommen. Bei Jonathan und John ist es natürlich eine Frau, das klassische Wesen der Begierde, des Schmerzes, und dem Wagnis. Wie viel kann man von sich selbst aufgeben, um noch eine eigene Persönlichkeit zu wahren. Wie viel darf man von anderen nehmen, ohne diese zu zerstören.
Langsam erzählt Bill Oliver seine Geschichte, sehr bedacht, fast etwas unterkühlt. So wie seine Bilder, hell, aber dafür fast farblos. Vornehmlich setzt die Kamera ihre Motive symmetrisch, übersichtlich und streng strukturiert. Erst nach und nach, mit der Entwicklung der Geschichte, ändern sich auch Farben, Einstellungen und die Schnittfolgen. Filmtechnisch steigert sich JONATHAN mit seiner erzählerischen Spannungskurve. Aber selbst bis in den Schluss hinein, wird der Film nicht einfacher, vielleicht etwas zugänglicher, doch immer intensiv in seinem Anspruch den Zuschauer zu fordern. Was Bill Oliver aber vermissen lässt, ist eine klare und eigene Aussage über die Exkursion durch die menschliche Individualität. Ein bisschen Psyche, viel Emotionen, interessante Gedankenspiele, vermischt zu einem Film der durchaus fasziniert, aber nicht vollkommen mitreißt. Dafür wirkt er durchweg viel zu bemüht.
Darsteller: Ansel Elgort, Suki Waterhouse, Patricia Clarkson, Matt Bomer, Douglas Hodge, Souleymane Sy Savane u.a.
Regie: Bill Oliver
Drehbuch: Gregory Davis, Peter Nickowitz, Bill Oliver
Kamera: Zach Kuperstein
Bildschnitt: Tomas Vengris
Musik: Brooke Blair, Will Blair
Produktionsdesign: Lisa Myers
USA / 2018
95 Minuten