HOT AIR – Bundesstart 05.09.2019
Er ist ein erzkonservativer Radio Moderator. Er ist nicht im geringsten diplomatisch, er ist direkt, er ist respektlos. Wie ernst er es meint sieht man sofort, wenn er im maßgeschneiderten Anzug seine Krawatte zurecht rückt, in ein abgedunkeltes Studio, vor das Mikrophon tritt, wo ihn eigentlich keiner sieht. Er ist die Nummer Eins im Radiogeschäft. Er ist Lionel Macomb. Und dann kommt ein freches aufgewecktes junges Mädchen die Straße entlang. So ein Typ Mädchen, welches Lionel Macomb bestimmt nicht mag. Und dann steht sie vor ihm, und jeder weiß was sie ihm offenbaren wird. Diese ersten Minuten an Exposition sind tatsächlich sehr erheiternd. Nicht brüllend komisch, aber sehr angenehm amüsant. Wäre da nicht der kleine Fauxpas, denn die Macher vielleicht nicht bedacht, oder ignoriert haben. Muss nicht sein, aber unangenehme Fragen könnten auftreten. Denn die junge Tess ist Mischlingskind, oder Mix, oder wie die politisch Korrekten es gerne haben möchten. Jedenfalls ist eine Hälfte ihrer Gene schwarz, und im weiteren Verlauf der Geschichte könnte es ein klitzekleines bisschen fragwürdig werden, wenn jemand so einen Film ganz genau nehmen sollte. Aber gespoilert wird trotzdem nicht.
Was Willi Reichel mit seinem Drehbuch vor hatte, ist eindeutig. Irgendwie sollte HOT AIR wohl ein Kommentar auf die augenblickliche Trump-Ära werden. Sehr feinsinnig ist das aber nicht umgesetzt, sondern lediglich mit Schlagworten und verhärteten Überzeugungen der Hauptfigur thematisiert. Lionel Macomb wettert gegen Immigranten, fordert einen Mauerbau, und eifert nach einem Amerika für Amerikaner. Witzig, dass dies vom gebürtigen Briten Steve Coogan kommt. Zugegeben sind eigentlich fast alle Amerikaner britischen Ursprungs. Doch man darf Steve Coogan diese Freude an der Rolle einfach nicht absprechen, die er mit merklicher Hingabe wunderbar zelebriert. Bitter, verbissen, und durch und durch narzisstisch vertritt er seine für ihn allgemeingültigen Wahrnehmungen.
Wäre da nicht Tess. Die mit sechzehn Jahren schon die Welt versteht und in ihr besser zurecht kommt, als mancher ihrer erwachsenen Nebendarsteller. Taylor Russell verkörpert diesen für den Zuschauer eigentlich unerwünschten Klugscheißer, mit sehr viel einfühlsamen Gespür für den Charakter. Sie vermeidet sehr geschickt, die für so eine Rolle typische Überheblichkeit und verhindert mit ihrer angenehmen Ausstrahlung, dass sie zu nerven beginnt. Überhaupt gönnt sich HOT AIR einige sehr eigenwillige Figuren und entsprechend gut besetzten Darstellern. Was die Regie angeht, zeigt Frank Coraci ein sicheres Gespür für seine Protagonisten. Die durchaus für den ein oder anderen Lacher sorgen, oder dem Thema gerechte Glaubwürdigkeit vermitteln. Auf platten, erzwungenen Humor verzichtet Regisseur Coraci, scheinbar schon in dem Wissen, sich auf die Schauspieler und ihre Präsenz verlassen zu können.
Woran die Regie scheitert, ist das akribische festhalten an einer Klischee überladenen Handlung. Nichts wird ausgelassen, was selbst weniger erprobte Kinogänger nicht schon absehen können. Und da verliert HOT AIR sehr viel von seinem Potential. Dabei bereitet es diebische Freude, den rücksichtslos polternden Egomanen Macomb zu zuhören, auch wenn man seine Ansichten etwas weltfremd und teils auch unverschämt finden wird. Aber die politisch korrekten Gutmenschen mit denen er sich auseinandersetzen muss, haben genau das liberale Gerede auf ihrer Agenda, für das viele Menschen kein Verständnis mehr aufbringen. Was der Mann von der Straße braucht, sind ehrliche Aussagen mit verständlichen, und nachvollziehbaren, realen Fakten. Auch Macomb befindet sich in dieser Lage von Erklärungsnot, deswegen tritt er die Flucht nach vorne an und redet dem Volk auf der Straße nach dem Mund.
Als lockere Polit-Boshaftigkeit mit seriösem Einschlag hätte HOT AIR durchaus funktioniert, wenn ihm die einfallslose, uninspirierte Geschichte nicht im Wege stehen würde. Frank Coraci hat bei seinen zehn Kinofilmen fünf mit Adam Sandler und zwei mit Kevin James inszeniert. Sein Hang zum leicht Verständlichen, der Verzicht auf tiefgründiges, das könnte damit ohne weiteres zusammen hängen. Nicht jedem ist das Gespür für bitterböse Satire gegeben, die anspruchsvoll inszeniert, auch extrem schwierig ist. Ansätze dazu wären bei HOT AIR durchaus möglich gewesen. Und da ging man letztendlich den Weg des geringsten Widerstandes, und den gingen schon unzählige andere auch. Manchmal auch unterhaltsamer.
Darsteller: Taylor Russell, Steve Coogan, Neve Campbell, Griffin Newman, Lawrence Gilliard Jr., Skylar Astin, Pico Alexander, Judith Light, Tina Benko u.a.
Regie: Frank Coraci
Drehbuch: Will Reichel
Kamera: Frank Prinzi
Bildschnitt: Tom Lewis
Musik: Rupert Gregson-Williams, Andreas Lucas
Produktionsdesign: Liz Toonkel
USA / 2019
99 Minuten