HIGH LIFE – Bundesstart 30.05.2019
Liebhaber des Genres sind intelligenter Science Fiction nie abgeneigt. Hier und da sind Weltraumschlachten sehr schön anzusehen, oder man lässt sich durch futuristische Gedankenspiel herausfordern. HIGH LIFE fordert heraus. Er könnte auf hoher See spielen, oder irgendwo in der Wüste, in einem Hochhaus, oder auf dem Mond. Die Figuren könnten allesamt Akademiker sein, oder römische Legionäre. Die Räumlichkeiten könnten ein Penthouse sein, oder eine verfallene Blockhütte. Die Experimente könnten das Wachstum von Gräsern erforschen, oder das tragen von Angora-Socken. Aber HIGH LIFE spielt im Weltraum, in einem heruntergekommenen Raumschiff, mit ausschließlich hochgradig Kriminellen, die Experimenten zur menschlichen Fortpflanzung ausgesetzt sind. Das eherne Ziel der Reise ist letztendlich der Flug in ein schwarzes Loch.
Claire Denis, eine von Kritikern und Arthouse-Liebhabern respektierte Filmautorin, hatte mit ihrem ersten englischsprachigen Film nur ein Anliegen. Ihr ging es um Körperflüssigkeiten. Das ist genauso schwer zu erklären, wie nachzuvollziehen. Auf alle Fälle weckt es Erinnerungen an die Siebziger, wo Kino als Gegenbewegung zur Allgemeinunterhaltung, schwere Gedankenkost in das Zukunftsgenre einbettete. LAUTLOS IM WELTRAUM, oder SOLARIS. Aber auch in jüngeren Tagen pflegt man die alte Tradition zum Beispiel mit MOON, oder durchaus auch mit INTERSTELLAR. Natur, oder der Mensch, oder der Mensch mit der Natur. Auch HIGH LIFE nimmt das auf, allerdings expliziter und hemmungsloser als die vorangegangenen Beispiele.
Wenn Clair Denis von Körperflüssigkeiten spricht, dann ist das bei ihr keine Metapher. Eine Metapher ist höchstens, was sie damit ausdrücken will. So wie alles im Film eine Metapher sein kann. Die gnadenlose Enge des Raumschiffes, die Kaltschnäuzigkeit der Figuren, der vielfache Verzicht auf erklärende Dialoge, die spartanische Ausstattung, das schwere Atmen der Besatzung, die Beziehung eines Kindes zu ihrem Vater, die Einsamkeit in den Tiefen des Weltraumes. Und viele menschliche Absonderungen, wie Blut, Schweiß, Sperma oder Muttermilch. Alles kann man interpretieren, aber auch einfach nur wirken lassen. Monte ist ein Mörder, der sich anstelle der Todesstrafe, für das Weltraumexperiment mit Sex und Fortpflanzung entschieden hat. Wie alle an Bord, die wissentlich nicht dem Tod entrinnen, sondern ihn einfach nur hinauszögern.
Der Garten im Raumschiff, er ernährt und spendet gleichzeitig Luft. Der Garten im Raumschiff bedeutet Leben. In ihm füllen sich Monte und seine Baby-Tochter am wohlsten. Es ist die Selbstverständlichkeit der Natur, nicht die erzwungenen und demütigenden künstlichen Befruchtungen und sexuellen Missbräuche. Man möchte fast an ein Idyll glauben, bis man die Vorgeschichte erlebt. Erst am Ende wird der Zuschauer mit Monte und seiner Tochter Willow wieder alleine sein. Aber erst nach dem letzten Bild, wird es dem Zuschauer möglich sein, den Versuch zu wagen, alles zu deuten, in Verbindung zu bringen, die Gedankenspiele nachzuvollziehen. Ob es gelingt, oder nicht, ist für Clair Denis ein offensichtlich erwünschter Nebeneffekt.
Das Produktionsdesign ist spärlich, aber effizient. Wie sich die beiden Kameramänner die Beengtheit des Sets für ihre Bilder zunutze machten, ist immer wieder erstaunlich. Klärende Größenverhältnisse bleiben dem Publikum aber verwehrt. Das Raumschiff könnte ohne weiteres eine Hommage an das Science-Fiction-Kino der Fünfzigerjahre sein. Jeder Versuch, dem Film näher zu kommen, wirft neue Fragen auf. Sicher ist, dass das Design des schwarze Lochs lange vor den ersten Photografien eines selbigen entstanden war. Dafür ist es eine klare Reminiszenz an Gargantua aus INTERSTELLAR. Robert Pattinson ist zweifellos die Seele und das tragende Element in HIGH LIFE. Im ersten Teil, allein mit ihm und der kleinen Willow, beweist sich erneut sein Talent und seine Fähigkeit einen Film überzeugend zu transportieren. Das die Nebendarsteller allesamt wie festgefahrene Schablonen wirken, ohne Möglichkeit einer weiteren Entwicklung, scheint immer wieder Teil des gesamten Konzeptes zu sein.
Clair Denis hat die Co-Operation mit einer anderen Autorin am Drehbuch abgewiesen, weil deren Ansätze ihrer Ansicht nach nicht sexy genug waren. Betrachtet man HIGH LIFE, könnte diese Äußerung als Provokation verstanden werden, oder Denis‘ Ansicht über ’sexy‘ in Frage gestellt werden. Sicher ist, das man über den Film sehr viel diskutieren kann. Gute Science-Fiction ist ja bekanntlich sehr rar geworden. Ob sich der Genre-Freund das allerdings in dieser Form vorgestellt hätte, könnte schon wieder eine ganz andere Diskussion auslösen.
Darsteller: Robert Pattinson, Juliette Binoche, André Benjamin, Mia Goth, Agata Buzek u.a.
Regie: Claire Denis
Drehbuch: Claire Denis, Jean-Pol Fargeau, Geoff Cox
Kamera: Yorick Le Saux, in Polen – Tomasz Naumik
Bildschnitt: Guy Lecorne
Musik: Stuart Staples, Tindersticks
Produktionsdesign: Ólafur Eliasson, Francois-Renaud Labarthe, in Polen – Jagna Dobesz, Mela Melak
Großbritannien – Polen – Frankreich – Deutschland – USA
2019 / 113 Minuten